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Interview

Stefan Kurt spielt zurzeit Werschinin in den «Drei Schwestern» im Pfauen. Bild: Steffi Henn

"Das Theater schmeckt mehr nach Schweiss"

Von: Clarissa Rohrbach

16. September 2014

Die Saison im Schauspielhaus ist mit Tschechows «Drei Schwestern» eröffnet worden. Gast auf der Bühne ist der Schauspieler Stefan Kurt, den man aus Filmen wie «Akte Grüninger» kennt.

Herr Kurt, im Stück «Drei Schwestern» spielen Sie den Offizier Werschinin, einen verheirateten Mann, der sich auf eine Affäre einlässt, während ihm seine Frau ständig mit Suizid droht. Keine leichte Kost.


Stefan Kurt: Tschechows Figuren sind immer mit Tragik untermalt. In seinen Stücken geht es um Sehnsucht: Die Menschen sind unzufrieden, lügen sich etwas vor. Ich spiele die Rolle eines Verdrängers, der von seiner Frau tyrannisiert wird und Veränderungen in seinem Leben immer wieder verschiebt. Trotz aller Ernsthaftigkeit liest sich Tschechow aber leicht, er schreibt menschlich, vielschichtig und ­sollte nicht tragisch gespielt werden.


Regie führt Barbara Frey, die Intendantin des Schauspielhauses. Ist sie eine gute Regisseurin?


Ich wollte schon immer mit ihr ­zusammenarbeiten. Aussergewöhnlich an Barbara Frey sind ihre spitzen Ohren. Als Musikerin hört sie alles: Welchen Rhythmus der Text verlangt oder wie die Bühne sowie das Stück klingen. Für «Drei Schwestern» war das wichtig, denn im Stück reden die Figuren mehr, als sie sich bewegen.


Ihren Durchbruch schafften Sie 1996 mit dem Film «Der Schattenmann». Seither arbeiten Sie als Theater- wie auch als Filmschauspieler. Was gefällt Ihnen besser, Bühne oder Filmset?


Die beiden Kunstformen gehen anders mit der Zeit um. Beim Theater sind die Probezeiten länger – ich kann Szenen ausprobieren –, und es ist archaischer, physischer, schmeckt mehr nach Schweiss und Tränen. Auf dem Filmset ist viel Technik im Spiel, es geht zügig zu, proben muss ich zu Hause. Aber beide Formen haben ihre Reize: ob Livepublikum oder Nahaufnahmen.


Vor einem Jahr sagten Sie der NZZ, die Schweiz sei nicht unbedingt gesegnet mit guten Drehbuchautoren. Leben Sie deswegen seit rund 30 Jahren in Deutschland?


Als ich 1985 mein erstes Engagement in Bochum erhielt, wurde ein Traum für mich wahr. In Deutschland läuft in dieser Branche einfach mehr. Vor 20 Jahren produzierte das Schweizer Fernsehen nur einen «Tatort» pro Jahr. Doch es tut sich auch hier etwas in der Filmszene. Mit den neuen Medien entsteht eine neue, freche und lebendige Generation von Filmemachern, die es anpacken.


Hierzulande haben wir nicht allzu viele Stars. Sollte jeder Schweizer, der bekannt werden will, ins Ausland?


Weggehen schafft sicher einen weiteren Horizont. Ich kann mir aber auch vorstellen, in der Schweiz anstatt in Berlin zu leben. Es hat sich bis jetzt einfach noch nicht ergeben.


Was vermissen Sie aus der Heimat?


Die Berge, die Sicht ins Tal, wo die Kühe grasen. Und saubere, kleine Bäche. Ich könnte stundenlang ­Bäche stauen. Das weckt Kindheits­erinnerungen in mir.


In der Schweiz kennt fast jeder Ihr Gesicht aber weniger Ihren Namen. Stört Sie das?


Nein. Die Leute erkennen mich trotzdem. Sie sagen: «Ich habe dich in ‹Der Verdingbub› oder der ‹Akte Grüninger› gesehen, toll.» Solche Reaktionen genügen mir. Dass mein Name in der Schweiz nicht so bekannt ist, liegt wohl daran, dass ich bei den wichtigen Promi-Anlässen nicht dabei bin.


Sie sagen, Sie bemerkten oft Ihre Fehler, wenn Sie sich auf der Leinwand sähen. Ist Selbstkritik der Schlüssel zum Erfolg?


Ich bin nun 55 Jahre alt. Je mehr ich erlebe, desto weniger weiss ich, wie das Leben funktioniert. Ein Schauspieler darf nicht eitel sein, sondern muss in seiner Seele forschen, um zu verstehen, wie die Menschen ticken und sie glaubwürdig darzustellen. Deswegen stelle ich mir immer mehr Fragen.


Sie sind seit 30 Jahren Schauspieler. Und doch fühlen Sie sich vor einer Premiere aufgeregt wie am ersten Schultag. Wieso?


Die Bühne ist für mich ein heiliger Ort. Es braucht Spannung im Körper und Konzentration im Kopf. Deswegen ist Lampenfieber gut. Doch das Wichtigste beim Spielen ist, loszulassen: alles Verabredete, Auswendiggelernte zu vergessen und einfach in die Rolle hineinzufallen. Das ist an manchen Tagen schwieriger als an anderen.


Haben Sie es jemals bereut, Schauspieler geworden zu sein?


Schauspiel ist meine Lebensaufgabe. Der liebe Gott hat mir diese Gabe gegeben, dafür bin ich auf dieser Welt. Wenn ich spiele, fühle ich mich ganz. Kann ich dabei die Zuschauer berühren, ist die Erfahrung fast schon mystisch. Es ist ein Glück, dass ich damit auch mein Geld verdienen kann.


«Die Wahrhaftigkeit des Augenblicks ist das oberste Ziel.» Das ist ein ­Zitat von Ihnen. Was bedeutet das?


Auf der  Bühne  versuche ich, wahrhaftig zu sein. Schaff ich es, einen wahren Moment zu erzeugen, berühre ich die Zuschauer. Es soll sich so anfühlen, wie wenn Kinder beim Kasperlitheater für ein paar Sekunden so mitgenommen sind, dass sie nicht mehr merken, dass es nur Puppen sind. Ich bin immer auf der Suche nach der Wahrheit.


Wer ist die interessanteste Person, die Sie in Ihrer Karriere getroffen haben?


Das war wohl Tom Waits. Wir haben zusammen das Musical «Alice» geprobt. Wir deutschsprachigen Schauspieler haben seine Lieder mit furchtbarem Akzent gesungen. Das war sicher nicht einfach für ihn. Aber er hat uns immer nur Mut gemacht. Er ist eine kraftvolle und doch bescheidene Person.

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