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Interview

Sie kennt keine Ermüdungserscheinungen: Stadtpräsidentin Corine Mauch. Bild: Nicolas Zonvi

«Die Stadt Zürich wird weiter wachsen, das ist sicher»

Von: Ginger Hebel und Jan Strobel

31. Dezember 2018

Stadtpräsidentin Corine Mauch spricht im traditionellen «Tagblatt»-Interview über den angespannten Wohnungsmarkt, Wachstumsängste und ihre Lieblingsprojekte.

Im März 2019 wird es zehn Jahre her sein, seit Sie zur ersten Stadtpräsidentin Zürichs gewählt wurden. Hand aufs Herz: Jedes politische Amt bringt, je länger es dauert, mit der Zeit manchmal auch Ermüdungserscheinungen mit sich. Wie sehen Sie das in Ihrem persönlichen Arbeitsalltag?
Corine Mauch: Ich bin sehr gerne Stadtpräsidentin. Mein Amt bereitet mir viel Freude. Ich schätze den Kontakt und den Austausch mit den Zürcherinnen und Zürchern, und ich fühle mich in meiner Politik von der Bevölkerung getragen.

Wie ist die Stimmung im Stadtrat seit den Erneuerungswahlen? Es heisst, der neu gewählte Stadtrat Andreas Hauri von den Grünliberalen habe frischen Wind in die Exekutive und besonders in sein Gesundheits- und Umweltdepartement gebracht. 
Jedes Mal, wenn sich die Zusammensetzung im Stadtrat ändert, was ich jetzt schon mehrere Male miterlebt habe, hat das Einfluss auf die Zusammenarbeit im gesamten Gremium. Die Veränderung war nach den vergangenen Wahlen natürlich gross: Es kamen mit Karin Rykart, Andreas Hauri und Michael Baumer gleich drei neue ­Mitglieder dazu, und mit der Neukonstituierung erhielten fünf Departemente neue Vorstehende. Ich erlebe den neuen Stadtrat als konstruktiv und lösungsorientiert, wir arbeiten gut zusammen. 

Mit Stadtrat André Odermatt besuchten Sie im Oktober San Francisco, die Partnerstadt von Zürich, und führten vor Ort Gespräche mit Politikern. Welche konkreten Erkenntnisse nahmen Sie von dieser Reise nach Zürich mit? 
Mich hat erstaunt, wie massiv das Obdachlosenproblem in San Francisco ist. Dazu kommt eine offene Drogenszene, die an Zürcher Platzspitz- und Lettenzeiten erinnert. Ich hatte die Möglichkeit, mich mit der neuen Bürgermeisterin, London Breed, auszutauschen. Die Behörden in San Francisco interessieren sich sehr für unsere Strategie, was den Umgang mit der Drogenszene betrifft. Doch die ­Voraussetzungen in den USA sind andere als hier. Die Abgabe von Drogen ist dort ein politisches Tabu. Auch der Mangel an bezahlbaren Wohnungen in San Francisco war ein zentrales Thema. Die Lage ist diesbezüglich noch deutlich angespannter als bei uns in Zürich. 

Aber was bringen diese Erfahrungen den Zürcherinnen und Zürchern, die mit dem Zürcher Wohnungsmarkt kämpfen?
Wir haben gesehen, wohin es führen kann, wenn der Wohnungsmarkt aus den Fugen gerät. Junge Menschen, Familien und Seniorinnen und Senioren ziehen aus der Stadt. Die Politik, die wir in Zürich verfolgen, wirkt diesem Druck entgegen. Im Interesse der Durchmischung setzen wir uns für ein breites Wohnungsangebot ein, das eben auch Menschen berücksichtigt, die über wenig Mittel verfügen. Die sehr intensiven Bemühungen, welche die Stadt Zürich für preisgünstigen und gemeinnützigen Wohnungsbau unternimmt, müssen wir auch in Zukunft weiterverfolgen.  

Jüngst gerieten gemeinnützige Stiftungen mit ihren Sanierungs- und Ersatzneubauprojekten in die Kritik. Die Stiftungen würden günstigen Wohnraum vernichten. Wie geht die Stadt mit diesem Unmut um?  
Die Stadt hat leider keine grosse Handhabe, wenn es sich um private Bauherrschaften handelt. Wir sind auf den Dialog angewiesen und können nur appellativ und beratend einwirken. Das tut die Stadt auch. Dabei dürfen wir aber auch nicht übersehen: Wenn zu lange nicht investiert wird, besteht die Gefahr, dass der Investitionsbedarf am Ende derart gross ist, dass es zu massiven Erhöhungen der Mieten kommen würde. Deshalb bin ich der Überzeugung, dass es besser ist, laufend in die Bausubstanz zu investieren. Der kommunale Richtplan, den die Stadt erarbeitet und im Herbst mit der Bevölkerung an mehreren Veranstaltungen diskutiert hat, ist ein ganz wichtiges Instrument, damit das Wachstum, das den Wohnungsmarkt direkt betrifft und das auf die Stadt Zürich auch in Zukunft zukommen wird, qualitätsvoll und sozial verträglich geschieht. 

Gerade dieses Wachstum macht vielen Sorgen. Wie wollen Sie diese Bürger ins Boot holen? 
Veränderungen können Angst machen, ich kann die Sorgen dieser Zürcherinnen und Zürcher verstehen. Damit Zürich eine lebenswerte Stadt für alle bleibt, ist es dem Stadtrat wichtig, die Bevölkerung bei Entscheidungsprozessen einzubeziehen. Wir müssen den Menschen etwas anbieten, um ihnen Sicherheit zu geben. Veränderung muss nichts Negatives sein. Wir dürfen nicht vergessen, dass es andere Zeiten gab, in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, als die Bevölkerung der Stadt Zürich schrumpfte und die Stadt als Wohnort an Attraktivität verlor. Die Stadt arbeitete hart dafür, eine Trendwende herbeizuführen. Das hat sie geschafft. Zürich ist heute sehr gut aufgestellt, sehr erfolgreich und solidarisch. Es ziehen wieder vermehrt Familien nach Zürich, das ist ein Riesenkompliment für unsere Stadt. Zürich wächst heute nicht mehr wegen der Zuwanderung, sondern auch wegen der Geburten. 

Die Stadt Zürich hat heute rund 430 000 Einwohner, Tendenz steigend. Wo liegt für Sie die Traumgrenze?
Der Kanton gibt vor, dass das künftige Bevölkerungswachstum im Kanton zu 80 Prozent durch Verdichtung in urbanen Gebieten geschehen soll. Die Stadt Zürich wird also weiter wachsen, das ist sicher. Der Grund ist auch, dass die Landschaft nicht weiter zersiedelt werden soll, dass Natur- und Erholungsräume erhalten bleiben. Bis 2040 könnten Szenarien zufolge etwa 520 000 Personen innerhalb der Stadtgrenzen wohnen. Auch die Zahl der Arbeitsplätze dürfte entsprechend zunehmen.

Sie erwähnten vorher die Zuwanderung. Manche Linke warfen Ihnen Mutlosigkeit vor im Umgang mit der Idee einer Züri City Card, eine Identitätskarte, die insbesondere in Zürich lebenden Sans-Papiers mehr Sicherheit geben soll. Was entgegnen Sie diesem Vorwurf? 
Mutig wollen wir sein, aber sicher nicht mutwillig oder tollkühn. Auch ich möchte, dass diese Menschen einen besseren Zugang zu ihren Rechten und den städtischen Dienstleistungen bekommen. Sans-Papiers sind ein Teil unserer Gesellschaft. Es geht uns um den Schutz der Betroffenen, weshalb wir zu unserem Handlungsspielraum ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben haben. Wir wollen wissen, inwieweit eine solche Citycard diesen gewährleisten kann. Würden Menschen sich mit ihr in einer falschen Sicherheit wiegen, könnte das ein Bumerang für die Betroffenen sein. Denn in der Schweiz sind wir als Stadt gezwungen, das geltende Ausländerrecht zu vollziehen. Da haben wir keine Wahl, anders als etwa Städte in den USA, die sich zu sogenannten Sanctuary Cities erklären können. Wir wollen aber alle gangbaren Wege ausschöpfen zur Verbesserung der Situation. 

Ein völlig anderes Projekt brockte Ihnen eine Strafanzeige und eine Aufsichtsbeschwerde ein: Ab 2020 soll eine Seilbahn anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums der ZKB die beiden Seeufer verbinden. Sie machten sich dafür in einem Video stark. Einem Bürger passte das gar nicht. Er findet, Sie hätten die Rolle einer «Lobbyistin» eingenommen.  
Bei der Seilbahn handelt es sich um ein Projekt der Zürcher Kantonalbank. Sie will den Zürcherinnen und Zürchern und Gästen unserer Stadt während fünf Jahren eine Attraktion bieten. Dem Stadtrat gefällt die Idee. Er ist sich aber auch bewusst, dass zusätzliche Attraktionen in der Innenstadt ein sensibles Thema darstellen und für die direktbetroffenen Anwohnenden Belastungen mit sich bringen. Für die Bewilligung des Gesamtprojekts Züri-Bahn ist der Bund zuständig. Die Aspekte, die in der Zuständigkeit der Stadt liegen, prüfen wir sorgfältig.

Zürich bekommt endlich sein Fussballstadion auf dem Hardturm-Areal. Ihre eigene Partei, die SP, kämpfte gegen das Projekt. Zusätzlich drohen jetzt Rekurse. Was sagen Sie denjenigen, die sich weiter gegen das Projekt engagieren wollen?
Die SP hat den Abstimmungsentscheid respektiert und ihre Initiative zurückgezogen. Das begrüsse und schätze ich. Die Mehrheit der Stadtbevölkerung hat sich klar für ein Stadion auf dem Hardturm-Areal und für das Projekt «Ensemble» ausgesprochen. Ich appelliere darum an diejenigen, die sich dagegenstemmen, den Entscheid der Bevölkerung in ihre Überlegungen einzubeziehen. Die Zürcherinnen und Zürcher wollen endlich ein richtiges Fussballstadion.

Auf welche Projekte in Ihrem Departement freuen Sie sich 2019 besonders?  
Es stehen spannende Kulturprojekte an. Ende diesen Monats wird die permanente Zürich-Ausstellung «Einfach Zürich» im Landesmuseum ihre Tore öffnen. Daneben werden wir das neue Fördersystem für die Tanz- und Theaterlandschaft präsentieren. Im Mai wiederum öffnet der Pavillon Le Corbusier nach der umfassenden Instandsetzung wieder. Eine Herzensangelegenheit ist auch das «Nexpo»-Projekt, in dem die zehn grössten Städte der Schweiz zusammen eine Landesausstellung durchführen wollen. Das möchten wir 2019 gemeinsam weiter vorantreiben.  

Eine Frage in eigener Sache: Die Übernahme des «Tagblatts der Stadt Zürich» durch Christoph Blocher sorgte für politischen Protest. Was ist Ihre Haltung?
Es hat uns bei der Stadt natürlich nicht erfreut, als wir von der Übernahme des Zürcher Traditionsblatts erfuhren. Es gibt Vorgaben, die das Amtsblatt erfüllen muss. Dazu gehört eine ausgewogene Berichterstattung. Wir werden ein aufmerksames Auge darauf richten, dass die Vorgaben eingehalten werden. Denn schliesslich gehören das «Tagblatt» und Zürich seit Jahrhunderten zusammen. 

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