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Interview

Bringen die orthodoxen Kirchen einander näher: Emmanuel Simandirakis (l.) und Peter Wittwer. Bild: Vera Markus

«Durch den Zusammenschluss sind wir stärker»

Von: Sacha Beuth

07. Oktober 2014

Über viele Jahrzehnte schaute jede orthodoxe Kirche des Kantons Zürich nur für sich. Nun aber haben sich die byzantinisch- und die orientalisch-orthodoxen Kirchen zu einem Verband zusammengeschlossen. Das «Tagblatt» sprach darüber mit Peter Wittwer und Emmanuel Simandirakis. Ersterer amtete bis zu seiner Pensionierung als reformierter Pfarrer an der Predigerkirche und unterstützte zuletzt auf Wunsch der katholischen Kirche die Verbandsgründung der orthodoxen Kirchen. Letzterer ist seit 50 Jahren Pfarrer der Griechisch-Orthodoxen Kirche in Zürich.

Tagblatt der Stadt Zürich: Herr Simandirakis, Herr Wittwer, warum haben sich die orthodoxen Kirchen des Kantons Zürichs zusammengeschlossen?

Emmanuel Simandirakis: Ein wichtiges Ziel ist die öffentlich-rechtliche ­Anerkennung in der Zürcher Kantonsverfassung. Gegenwärtig sind wir Orthodoxe in manchen Bereichen benachteiligt. So können unsere Geistlichen – anders als unsere reformierten oder katholischen Kollegen – nicht ohne weiteres Gefangenen- oder Spitalseelsorge betreiben. Auch möchten sie mehr Mitspracherecht bei der Gestaltung des Religionsunterrichts. Durch den Zusammenschluss sind wir stärker und können unsere Anliegen gemeinsam vorbringen.

Peter Wittwer: Vor allem wird der Verband die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen orthodoxen Kirchen erleichtern und intensivieren.

Die Probleme bestehen schon lange. Warum kam es erst im September diesen Jahres zur Verbandsgründung?

Wittwer: Weil man erst einmal zur Erkenntnis gelangen musste, dass man grundsätzlich den gleichen Glauben teilt. Die unterschiedliche Kultur und Sprache der jeweiligen orthodoxen Gemeinden hatten dies oft verhindert. Erst im Nachgang zur Ausstellung «Ein Stück Himmel auf Erden», die 2011/12 durch die Kulturabteilung der Stadt veranstaltet wurde, wurden vielen Angehörigen der orthodoxen Kirchen ihre Gemeinsamkeiten so richtig bewusst. Mit Unterstützung der katholischen Kirche fand man sich an einem Tisch zusammen, wobei das Festlegen gemeinsamer Ziele und die Akzeptanz dieser durch die weltweit verstreuten kirchlichen Oberhäupter der jeweiligen orthodoxen Kirchen auch seine Zeit brauchte.

Ein weiterer Pluspunkt wären die finanziellen Vorteile – sprich eine staatliche Kirchensteuer –, die durch eine Anerkennung entstehen würden.

Simandirakis: Aus traditionellen Gründen will das die griechisch-orthodoxe Gemeinde nicht. Unsere Aufwendungen werden allein durch Spenden, Kollekten und gelegentliche Veranstaltungen gedeckt. Und das wird auch bei einer Anerkennung so bleiben.

Wittwer: Das wurde den orthodoxen Kirchen von verschiedener Seite unterstellt. Die sogenannte «Kleine Anerkennung» – entsprechend den beiden jüdischen Gemeinden –, die der Verband anstrebt, beinhaltet keine Eintreibung von Kirchensteuern durch den Staat. Fairerweise muss man sagen, dass nicht alle orthodoxen Gemeinden finanziell so gut dastehen wie die griechisch-orthodoxe und darum einen Zustupf über Steuerabgaben gut gebrauchen könnten. So haben kleinere Gemeinden Mühe, nur schon den Lohn für ihren Pfarrer zusammenzubringen.

Besteht nicht die Gefahr, dass bei einer Anerkennung der orthodoxen Kirche Sekten mit zahlreichen Mitgliedern dies ebenfalls fordern?

Wittwer: Es steht jeder religiösen Gemeinschaft frei, ein solches Gesuch zu stellen. Entscheiden wird darüber ja das Stimmvolk. Allerdings müssten diese Gemeinschaften dann rechtsstaatliche und demokratische Grundsätze beachten sowie gegenüber der ­Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit Rechenschaft ablegen. Das aber wollen viele nicht.

Worin unterscheiden sich überhaupt die verschiedenen orthodoxen Kirchen, und wo sind die Gemeinsamkeiten?

Wittwer: Als orthodoxe Kirchen bezeichnen sich Gemeinden des byzantinischen und der orientalischen Riten. Im Kanton Zürich gehören zu Ersteren serbische, russische, rumänische und griechische Kirchgemeinden. Zu orientalischen Riten gehören Gemeinden aus Armenien, Syrien, Eritrea und Äthiopien sowie die Kopten aus Ägypten. Zwischen einzelnen Gemeinden gibt es sicher auch dogmatische, vor allem aber kulturelle Unterschiede.

Simandirakis: Ein paar Beispiele. Gemeinsam ist allen die Verwendung von Ikonen. Zudem haben Mystik und Spiritualität ein viel stärkeres Gewicht als in den westlichen Kirchen, also bei den Reformierten und Katholiken. Auch die Kirchenmusik ist unterschiedlich. Doch während sich etwa die meisten Orthodoxen nach dem julianischen Kalender richten, orientieren sich andere wie die Westkirchen nach dem gregorianischen.

Und wie unterscheiden sich die orthodoxen Kirchen von den westlichen Kirchen?

Simandirakis: Allen Christen gemeinsam ist der Glaube, dass Jesus Gottes Sohn ist, und allen dient die Bibel als Fundament ihres Glaubens. Allerdings gilt bei uns der Papst anders als bei den Katholiken nicht für unfehlbar, und anders als bei den Reformierten wird Maria als Heilige verehrt.

Wittwer: Was uns theologisch trennt, sind oft alte Dogmen, die heute kaum mehr eine Rolle spielen. Ich habe jedenfalls nie einen katholischen Pfarrer über die Unfehlbarkeit des Papstes predigen hören.

Wie geht es nun weiter?

Wittwer: Die Verbandsgründung war der erste Schritt. Nun muss eine fruchtbare Zusammenarbeit entstehen. Vor allem müssen die grossen orthodoxen Gemeinden ihre Verantwortung gegenüber den kleineren Gemeinden erkennen und ihnen bei der Integration behilflich sein. Wenn alles optimal läuft, dann gibt es in einigen Jahren die Volksabstimmung – mit einem hoffentlich positiven Ergebnis.

Infobox

Der Verband Orthodoxer Kirchen im Kanton Zürich wurde am 21. September 2014 gegründet. Das Präsidium teilen sich Siham Müller (koptische Kirche) und Kyriakos Papageorgiou (griechisch-orthodoxe Kirche). Die Zahl der aktiven Mitglieder wird auf etwa 15 000 geschätzt. Den grössten Teil davon stellt die serbische Kirchgemeinde. Die 1933 gegründete russisch-orthodoxe Gemeinde des Heiligen Pokrow ist die älteste orthodoxe Kirche des Kantons.

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