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Interview

Lilly Toriola (32) war früher Journalistin. Jetzt hat sie die erste Scheidungsagentur der Schweiz gegründet. Bild: PD

"In einer Scheidung stehen Menschen unter Druck"

Von: Clarissa Rohrbach

30. Juni 2015

Sie hilft jenen Paaren, die sich trennen wollen. Lilly Toriola hat die erste Scheidungsagentur der Schweiz gegründet. Im Interview erklärt sie, wieso das unbedingt nötig war.

Lilly Toriola, Sie helfen Menschen, die sich scheiden lassen wollen. Wieso?
Ich erlebte, wie die Scheidung eine gute Freundin total aus der Bahn warf. Obwohl sie mit beiden Beinen fest im Leben stand, überforderte sie zu diesem Zeitpunkt der Berg an Formalitäten. Die Idee, diese Agentur zu gründen, hatte ich, als sie mir sagte: «Ich möchte am liebsten die ganze Scheidung outsourcen.»

Welche Formalitäten sind das?
Eine Scheidung betrifft jeden ­Lebensbereich. Steuererklärung, AHV- und Pensionskassenauszug sind nur drei von den zahlreichen Dokumenten, die es braucht. Wir sammeln und prüfen die Unterlagen und nehmen dann Kontakt mit dem Anwalt auf. Je nach Situation organisieren wir auch den Immobilienmakler, um das Haus zu verkaufen, den Versicherungsexperten, um die Policen zu ändern, und den Treuhänder für die Unternehmensbewertung, falls das Paar eine Firma besitzt. Unsere Psychologin unterstützt in dieser emotionalen Extremsituation.


Das Interesse ist so gross, dass Sie morgen in Zürich das erste Scheidungsseminar anbieten. Sind so ­viele scheidende Paare überfordert?
Sie stehen unter grossem emotionalem Druck: Für viele ist mit der Trennung ein Lebenstraum gescheitert. In dieser Situation ist Unterstützung das Wichtigste.

Wie fühlen sich die Menschen, die bei Ihnen anrufen?
Viele sprechen zum ersten Mal mit jemandem über ihren Trennungswunsch. Es gibt Betroffene, die sich schämen oder sogar den Partner verteidigen. Viele meiden Schuldzuweisungen: man habe sich schlicht auseinander­gelebt. Uns fällt auf, dass Betroffene zum Teil Angst haben, dass sie die Gründe für die Scheidung detailliert erklären und damit ihr Innerstes ausbreiten müssen. Es hilft, wenn wir ihnen sagen, dass für uns nicht relevant ist, wer die «Schuld» am Scheitern der Beziehung hat. Auch vor Gericht spielt die Schuldfrage grundsätzlich keine Rolle.


Wie sagt man seinem Partner, dass man getrennte Wege gehen will?
Die Trennung sollte auf eine faire Art kommuniziert werden. Das klingt einfach, ist aber in einer solchen Situation nicht selbstverständlich. Unsere Psychologin rät, sich an einem externen Ort zu treffen und den Trennungswunsch ruhig und einfühlsam zu formulieren. Die Beweggründe sollte man offen und ehrlich erklären. Streit gilt es zu vermeiden. Beginnt erst mal eine Negativspirale, ist das für die Betroffenen sehr belastend und kostet in einem späteren Scheidungsverfahren auch noch mehr.

Wie viel?
Eine einvernehmliche Scheidung kostet in der Regel zwischen 3000 und 6000 Franken. Können sich die Parteien nicht einigen, kann das Verfahren schnell mehrere Zehntausend Franken kosten.

Vorletztes Jahr liessen sich im Kanton Zürich 3195 Ehepaare scheiden, so viele wie sonst in keinem anderen Kanton. Wieso halten Zürcher den Rekord?
Zum einen ist Zürich der Kanton mit der grössten Bevölkerung. Andererseits liegt der Anteil an kulturell gemischten Ehen hier über dem nationalen Mittelwert, was auch ein Grund sein könnte. Binationale Ehen scheitern häufiger, weil das Zusammenleben und die Verständigung nicht immer einfach sind.

Fast 40 Prozent der Ehen gehen in die Brüche. Das war früher nicht so.
Scheidungen haben in der Schweiz ab den 70er-Jahren deutlich zugenommen, seit 2006 nimmt die Zahl leicht ab. Ein Grund dafür, dass sich heute mehr Paare scheiden lassen als vor 40 Jahren mag sein, dass unsere Gesellschaft mehr zum Individualimus neigt. Ich würde aber nicht sagen, dass Ehepaare deswegen früher glücklicher waren. Man verharrte womöglich eher in einer Beziehung, die nicht funktionierte, weil die Frauen aus ökonomischen Gründen an ihre Männer gebunden waren.

Auch heute noch sind weniger Mütter als Väter berufstätig. Ändert sich das nach der Scheidung?
Die finanziellen Folgen einer Scheidung sind die grösste Angst der Betroffenen und bereiten vor allem den Frauen Sorgen. Die Lebenshaltungskosten sind nach der Trennung rund 40 Prozent höher. Viele Mütter arbeiten nach der Scheidung mehr, denn das Armutsrisiko ist gross.

Wie geht man mit gemeinsamen Freunden um?
Am besten man teilt den Freunden die Trennung oder Scheidung aktiv mit, ohne jemandem die Schuld zu geben. Es ist jedoch  nicht immer zu verhindern, dass ein Teil des Freundeskreises mit einem Partner solidarisiert und umgekehrt.

www.scheidungsagentur.ch

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