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Interview

Auf dem städtischen Durchgangsplatz in Altstetten stehen rund 15 Wohnwagen von Jenischen und Sinti.Bilder: CLA

«Man wirft uns in einen Topf»

Von: Clarissa Rohrbach

22. August 2017

Für Jenische und Sinti wird es immer schwieriger, Plätze und Arbeit zu erhalten. Laut Daniel Huber, Präsident der Dachorganisation, hat das mit dem wachsenden Rassismus zu tun.


Sie wehren sich dagegen, als «Fahrender» bezeichnet zu werden. Was ist falsch an dem Begriff?

Daniel Huber: Zuallererst bin ich ein Schweizer Jenischer. Das Wort «Fahrende» ist verallgemeinernd, es wirft uns alle in einen Topf. Wenn eine Familie den Platz dreckig hinterlässt, ist das nicht die Schuld des ganzen Volkes. Doch die Medien berichten immer von «Fahrenden», so schürt man den Rassismus. Wenn eine jüdische Person negativ auffällt, sagt man auch nicht, dass «die Juden» schuld seien. Letztes Jahr hat Bundesrat Alain Berset die Schweizer Jenischen und die Sinti offiziell als nationale Minderheiten anerkannt. So wollen wir auch genannt werden. 

Jenische, Sinti und Roma. Was ist der Unterschied?

Es gibt praktisch keine Schweizer Roma, die fahren. Reisegruppen von Romas stammen aus dem Ausland und sind nur temporär in der Schweiz. Sie bewegen sich in grösseren Konvois von rund 100 Wohnwagen. Die Jenischen und Sinti in der Schweiz zählen rund 40 000 Personen. Viele Sinti – einige Hundert – sind hier geboren und haben sich mit uns Jenischen vermischt. Heutzutage ziehen schweizweit nur noch rund 3500 Jenische und Sinti umher, die anderen sind sesshaft. Alle Gruppen aber haben Mühe, Plätze zu finden.

In der Stadt Zürich gibt es für Jenische und Sinti einen Standplatz und einen Durchgangsplatz, auf dem man auch überwintern kann. Genügt das?

Es braucht dringend einen weiteren Standplatz; es wird Sache des Kantons sein, einen solchen zu schaffen. Wir sind mit der Situation in der Stadt aber grundsätzlich zufrieden. Der Standplatz Eichrain in Seebach besteht aus rund 30 baulichen Einheiten. Dort kehren wir für den Winter zurück und schicken unsere Kinder in die Schule. Auf dem Provisorium in Altstetten haben zudem 15 Wagen Platz. 

Im Richtplan der Kantone steht, dass der Staat dafür sorgen muss, dass Fahrende genügend Lebensraum bekommen. Wieso gibt es dennoch zu wenig Plätze?

Die Kantone versuchen, ihren Auftrag umzusetzen. Trotzdem wird bei der Raumplanung unser Lebensraum oft nicht miteinberechnet. Falls dann doch Platz für uns vorgesehen ist, sind es oft die Gemeinden, die sich weigern. Gerade letzthin haben die Bewohner von Wileroltingen BE gegen einen Transitplatz protestiert. Wenn die Gemeinden nicht mitmachen, gibt es für Jenische und Sinti schlichtweg zu wenig Platz. Die Folge davon ist, dass sie andere Haltemöglichkeiten bei Privaten suchen oder sich illegal irgendwo niederlassen. Einige Bauern geben uns ihr Land, doch auch diese sind misstrauischer geworden, weil der Rassismus stärker wird und die Gemeinden oft dagegen sind. 

Macht es der wachsende Rassismus auch schwierig zu hausieren?

So ist es. Wir leben davon, unser Handwerk anzubieten. Doch sobald wir klingeln, sagen viele, sie wollen nichts mit uns zu tun haben. Dabei brauchen wir Schweizer Jenischen und Sinti ein gesamtschweizerisches Gewerbepatent und einen sauberen Leumund, um dieses zu bekommen. Nun haben einige Kantone sogar Vorstösse eingereicht, die das Hausieren einschränken sollen. Ohne Arbeit wären wir Jenischen und Sinti auf die Sozialhilfe angewiesen, könnten nicht mehr reisen und somit unsere Kultur nicht mehr ausleben. Das macht mir Angst. 

Woher stammen die Vorurteile?

Wir leben anders als die Sesshaften, wir sind Überlebenskünstler. Viele haben Mühe, unsere Lebensweise als Schweizer Jenische zu verstehen und kennen uns schlicht nicht. Das Misstrauen führt auch dazu, dass wir auf offener Strasse als «Dreckszigeuner» beschimpft werden. Dabei sind wir die am besten kontrollierten Schweizer, die es gibt. Neben dem Gewerbepatent müssen wir auf den Durchgangsplätzen unsere Personalien angeben. Aber wir haben einen Schweizer Pass und erfüllen unsere Pflichten, wir verlangen also auch unsere Rechte. 

Wie kann man der Diskriminierung ein Ende setzen?

Es ist nötig, die Schweizer Jenischen und Sinti-Minderheiten und die Roma in den Schulbüchern zu besprechen. Und man muss sich kennen lernen, miteinander reden. Wir wünschen uns ein friedliches Nebeneinander auf Augenhöhe. 

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