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Interview

Jürg Rothweiler: "Man darf Parkinson nicht aufs Zittern reduzieren."

"Viele verwechseln Parkinson mit Demenz"

Von: Ginger Hebel

26. Mai 2015

Die Vereinigung Parkinson Schweiz unterstützt, berät und begleitet die rund 15 000 Betroffenen in der Schweiz. Jörg Rothweiler kennt sich mit der Krankheit aus und beantwortet die wichtigsten Fragen.

Tagblatt der Stadt Zürich: Die meisten Menschen verbinden Parkinson mit Zittern, doch ungefähr ein Drittel aller Betroffenen zittert nie. Wie macht sich die Nervenkrankheit bemerkbar?

Jörg Rothweiler: Die Symptomatik der Krankheit ist sehr individuell, ­jeder Patient hat seinen eigenen ­Parkinson. Zentrale motorische Symptome sind Muskelsteifheit, oft verbunden mit Krämpfen, allgemeine Verlangsamung und das bekannte Zittern in Ruhe. Deutlich vielfältiger sind aber die nicht motorischen Symptome. Diese reichen von Verstopfung, vermindertem Geruchssinn, Schluck- und Schlafstörungen, Harninkontinenz bis zu Depressionen und Angstzuständen. Man darf Parkinson nicht aufs Zittern reduzieren. Da Parkinson keine «einfache» Diagnose wie ein Knochenbruch ist, die durch ein Röntgenbild zweifelsfrei gestellt werden kann, sondern rein klinisch erkannt werden muss, was viel Erfahrung seitens des Arztes bedingt, kann es Monate bis Jahre dauern, ehe die Diagnose mit hoher Sicherheit festgestellt werden kann.

Schweizweit leiden rund 15 000 Personen an Parkinson, die meisten sind über 60 Jahre alt, doch es gibt auch unter 40-Jährige. Viele von ihnen verstecken ihre Krankheit.

Vor allem jüngere Betroffene verstecken ihre Krankheit oft. Aus Angst, den Job zu verlieren. Wir kennen Patienten, die mitten im Berufsleben stehen und Führungspositionen haben. Erst wenn der Leidensdruck zu gross wird, gehen sie an die Öffentlichkeit oder informieren ihr Umfeld. Viele Betroffene leiden zu Beginn an unerklärlichem Unwohlsein, depressiven Phasen, verminderter Leistungsfähigkeit. Das führt zu Stress im Job, was die Symptomatik zusätzlich verstärkt. Wir empfehlen allen, die im Berufsleben stehen, niemals freiwillig das Pensum zu reduzieren, ohne vorher einen Arzt konsultiert zu haben, der eine eventuelle Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer Erkrankung attestieren kann.

Parkinson Schweiz begeht 2015 das 30-Jahr-Jubiläum. Wie gut ist die ­Öffentlichkeit über die Krankheit informiert?

Wir stellen fest, dass viele Menschen jemanden kennen, der an einer Form von Parkinson leidet. Doch sie reduzieren die Krankheit meist auf das Symptom des Zitterns, wissen nicht, dass Parkinsonbetrof­fene oft auch unter dem Verlust der Gesichtsmimik leiden, nicht mehr ­lächeln und Emotionen nur schwer zeigen können. Das kann auf Aussenstehende den Eindruck erwecken, desinteressiert zu sein. Auch verwechseln leider viele Menschen Parkinson mit Demenz. Doch Parkinsonpatienten sind geistig voll da. Sie nehmen ihre Krankheit bewusst wahr. Die Vereinigung setzt sich daher gezielt für die Aufklärung der Öffentlichkeit über die Krankheit ein. Denn Mitwissen hilft.

Ist Parkinson heilbar?

Nein, bislang leider nicht. Die Krankheit ist langsam fortschreitend, bei nahezu normaler Lebens­erwartung. Es gibt verschiedene ­Therapieformen, operative wie Hirnschrittmacher und Medikamentenpumpen, welche die wirksamen Substanzen direkt in den Darm oder unter die Haut abgeben; am häufigsten aber ist die medikamentöse Behandlung. Letztere kann jedoch auch Nebenwirkungen haben, etwa Impulskontrollstörungen wie Sex- und Spielsucht. Es ist daher wichtig, dass auch das persönliche Umfeld reagiert, wenn Ver­änderungen der Persönlichkeit beim Patienten auftreten. Wir setzen uns dafür ein, dass Betroffene ihre Lebensqualität bewahren können, fördern die Forschung und organisieren neben Informationstagungen und Seminaren auch Kletter- sowie Tanz- oder Tai-Chi-Kurse. Denn Bewegungen, fliessend und zu Musik, sind, das zeigt die Forschung, bei Parkinson sehr förderlich.

Am 16. Juni findet im Unispital Zürich von 14 bis 17.30 Uhr eine Parkinson-Tagung statt. Neurologen und Forscher diskutieren über neue Erkenntnisse aus Therapie und Forschung, auch Spiel-, Kauf- und Sexsucht als Folge einer Impulskontrollstörung werden thematisiert. Infotelefon: 043 277 20 77

www.parkinson.ch

Lesen Sie hier unser Porträt über den Parkinsonbetroffenen Daniel Kühler

 

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