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Interview

Stadtpräsidentin Corine Mauch: «Es gibt schlicht keinen Anlass, jetzt alles auf den Kopf zu stellen.»Bilder: Nicolas Zonvi

«Wie eine Operation an einem gesunden Menschen»

Von: Jan Strobel

04. September 2018

Am 23. September entscheiden die Stadtzürcher Stimmberechtigten über die Reduktion der Stadtratsmitglieder von neun auf sieben. Für Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) hat die Volksinitiative 7 statt 9 rein ideologische Argumente. Sie blende die effektive Arbeit der Exekutive völlig aus

Geht es nach den Initianten der städtischen Volksinitiative 7 statt 9, dann soll am 23. September die Initialzündung für die grösste Verwaltungsreform in der Geschichte der Stadt Zürich erfolgen, vorausgesetzt, die Stimmberechtigten heissen die Vorlage gut. Mit der Reduktion der Stadtratsmitglieder von neun auf sieben soll unter anderem die Stadtverwaltung effizienter, Departemente zusammengelegt, sich überschneidende Zuständigkeiten reduziert und Entscheidungsprozesse vereinfacht werden. Damit sollen mithin auch finanzielle Einsparungen erzielt werden. Die Reorganisation soll bis Februar 2022 abgeschlossen sein. Der Gesamtstadtrat lehnt die Volksinitiative ab. Für Stadtpräsidentin Corine Mauch ist eine Reduktion der Exekutivmitglieder nicht zielführend, schon gar nicht effizienzsteigernd. Die Fixierung auf die Zahl sieben stehe in keinem Bezug zu den Aufgaben, welche der Stadtrat effektiv wahrnehme. 

Der Bundesrat besteht aus sieben Mitgliedern, ebenso der Regierungsrat des Kantons Zürich. Warum soll dieses «Siebnermodell» nicht auch in der Stadt Zürich funktionieren?
Corine Mauch: Bundesrats- wie auch Regierungsratsmitglieder haben ganz andere Aufgaben als wir Stadträtinnen und Stadträte auf kommunaler Ebene. Als städtische Exekutive erbringen wir in erster Linie Dienstleistungen zugunsten der Bevölkerung und der Unternehmen, während eine Bundesrätin oder ein Regierungsrat vor allem gesetzgeberisch tätig ist. 

Andere Städte haben eine Regierungsreform allerdings längst durchgeführt. Die Stadt Bern zum Beispiel beschloss 2004, die Zahl der Gemeinderäte (Anm. d. Red.: so heissen die Stadträte in Bern) von sieben auf fünf zu reduzieren. 
Auch dieser Vergleich hinkt. Die Stadt Zürich nimmt wesentlich mehr Aufgaben wahr als andere Städte. Bern hat zum Beispiel keine eigene Stadtpolizei. Die Stadt Zürich betreibt auch die VBZ oder den Elektrizitätsversorger EWZ, wir haben eigene Spitäler, anders als beispielsweise Winterthur. Wir stehen hier in der Stadt Zürich also einem viel grösseren und breiteren Aufgabenfeld gegenüber. Ein Zürcher Stadtrat hat auch viel mehr Führungsverantwortung, ist er oder sie doch im Durchschnitt für rund 3000 Mitarbeitende verantwortlich. In Bern sind es übrigens 640. 

Alt-Stadtrat Andres Türler (FDP) sprach in der NZZ von dieser Volksinitiative als einem «gefährlich-nebulösen Experiment mit Risikopotenzial». Wo sehen Sie die Risiken?
Die Zahl sieben ist willkürlich gesetzt. Sie steht in keinem Bezug zu den Aufgaben, die wir im Stadtrat effektiv wahrnehmen. Würde die Initiative umgesetzt, müssten die gleichen Aufgaben durch weniger Leute wahrgenommen werden. Schliesslich verschwinden diese Aufgaben ja nicht einfach so. Irgendjemand muss sie erfüllen. Die Verantwortung, die heute bei von der Bevölkerung gewählten Politikerinnen und Politikern liegt, müsste durch Kadermitarbeitende oder Stäbe wahrgenommen werden, die über keine demokratische Legitimation verfügen. Die Bevölkerung würde in der Regierung weniger gut abgebildet. Kleinere Parteien hätten weniger Chancen, im Stadtrat vertreten zu sein. 

Mit einer Reduzierung der Stadtratsmitglieder sollen auch finanzielle Einsparungen einhergehen. Das gesparte Geld soll zum Beispiel in die Bildung fliessen. Ist das nicht ein nachvollziehbarer Ansatz?
Die Behauptung, man könne mit einer Reduktion der Stadtratsmitglieder Geld sparen, konnte bis jetzt nirgends belegt werden. Im Gegenteil: Die Reorganisation würde zuerst einmal Kosten in Millionenhöhe verursachen. Die Initiative müsste bis zum Ende der Legislatur 2022 umgesetzt werden. Der Stadtrat wäre mindestens zwei Jahre sehr stark mit sich selber beschäftigt. Das würde unglaublich viele Ressourcen binden. Es ist, wie wenn man einen gesunden Menschen operiert. Die Stadt Zürich funktioniert bestens. Sie ist zu einer vielfältigen, attraktiven, lebenswerten Stadt geworden. In Umfragen stellen Bevölkerung wie auch die Unternehmen der Stadtverwaltung regelmässig Bestnoten aus. Es gibt schlicht keinen Anlass, jetzt alles auf den Kopf zu stellen. 

Aus Sicht der FDP, welche die Initiative unterstützt, tut eine Vereinfachung der Verwaltungsarbeit not. Durch Kompetenzordnungen und Aufgabenzuweisungen seien für ein Projekt jeweils mehrere Amtsstellen in verschiedenen Departementen zuständig. Was entgegnen Sie diesem Kritikpunkt?
Es ist ein Irrtum zu glauben, dass es diese Schnittstellen nicht mehr geben würde bei einer Reduzierung des Stadtrats. Diese Aufgabenteilungen haben ihren Sinn und Zweck. Betrachten wir zum Beispiel das Thema Integration. Die Integrationsförderung liegt bei meinem Präsidialdepartement. Der ganze Asylbereich liegt in der Verantwortung des Sozialdepartements. Das sind klar voneinander abgegrenzte Bereiche. Dazu kommt die Schule, welche eine der wichtigsten Institutionen im Bereich der Integration darstellt. Auch die Kantonsregierung arbeitet im Übrigen mit solchen Schnittstellen. Sie sind schlicht Teil unseres politischen Systems. Es gibt hier niemanden, der ganz oben sitzt und für alles die Verantwortung trägt. 

Die Diskussion um die Zahl der Stadträte läuft eigentlich bereits seit der ersten Eingemeindung 1893. Und 1987 hiess eine Mehrheit der Stimmberechtigten eine Reduktion von neun auf sieben gut. Die Frage stand also immer irgendwie im Raum. Wäre es nicht überfällig, sie endgültig zu regeln?
1987 hat tatsächlich eine Mehrheit der Stimmberechtigten in einem ersten Grundsatzentscheid einer Reduktion zugestimmt. Als es aber in einem zweiten Urnengang um die konkrete Umsetzung und ihre Auswirkungen ging, liess sich die Bevölkerung nicht mehr überzeugen. Es reicht eben nicht, ins Blaue hinaus irgendwelche Versprechungen zu machen, die dann möglicherweise nie eintreten. Zürich befand sich damals, 1987, in einer ganz anderen Situation. Seither ist die Stadt enorm gewachsen. Das Arbeitsvolumen der Verwaltung hat noch viel stärker zugenommen, sie wurde aber auch immer professioneller. Dass man dabei Bestehendes immer wieder infrage stellt, das unterstützt der Stadtrat ausdrücklich. Es ist eine Daueraufgabe, sich möglichst optimal zu organisieren, die Arbeitsteilung möglichst schlank, fair und effizient zu halten. Ich sehe keinen Vorteil darin, wenn man aus zwei grossen Departementen ein noch viel grösseres machen würde. Unser System hat sich sehr gut bewährt.  

Als Zürich 1893 auf einen Schlag zur Grossstadt mit 100 000 Einwohnern wurde, war dieser Bevölkerungszuwachs unter anderem ein Argument für neun Stadträte. Heute wächst Zürich wieder. 2035 soll voraussichtlich eine halbe Million Menschen hier leben. Wäre es da umgekehrt nicht sinnvoller, den Stadtrat zu vergrössern?
Die Arbeit in der Exekutive würde mit 11 oder sogar 13 Mitgliedern irgendwann schwierig. Neun Stadträte haben sich einfach als Modell bewährt. Auch 1934, bei der zweiten Eingemeindung, hat man daran nichts geändert. 

Sollte die Initiative am 23. September angenommen werden; wie würde sich Ihre alltägliche Arbeit verändern?
Auf der kommunalen Ebene sind wir viel vor Ort, kommen in direkten Kontakt zu den Zürcherinnen und Zürchern. Die Bevölkerung hat den Anspruch, Zugang zum Stadtrat zu haben. Diesen Kontakt hätten wir bei einer Reduzierung der Stadtratsmitglieder nicht mehr in der gleichen Intensität. 

Was sagen Sie den Leuten, die vom «Amtsschimmel» und vom «Bürokratiemonster» Stadtverwaltung sprechen?
Das sind Vorurteile. Das Engagement, das unsere Mitarbeitenden jeden Tag für diese Stadt erbringen, ist einmalig und verdient höchste Anerkennung.  

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