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Porträt

Lisa Feldmann: "Ich habe so viel von der Schweiz angenommen." Bild: Roman Goebel

Die Lotsin der Frauen geht von Bord

Von: Jan Strobel

02. April 2013

Seit neun Jahren leitet Lisa Feldmann "Annabelle", die grösste Frauenzeitschrift der Schweiz. Im August allerdings verlässt sie Zürich und folgt einem Ruf aus Berlin.

Einer erfolgreichen Frau eilt immer ein Ruf voraus, und meistens sind es nicht besonders charmante Zuschreibungen, die, leichtfertig in einer Tischgesellschaft geäussert, die Runde machen. In ihnen liegt oft ein Hauch Neid, oder auch Ärger, der sich gleichzeitig mit Ehrfurcht mischt. So eine Frau wird mit Worten modelliert. Das ist auch bei Lisa Feldmann, Chefredaktorin der grössten Schweizer Frauenzeitschrift «Annabelle», nicht anders. Sie ist die «harte, kantige Deutsche», dann plötzlich wieder «eine Diva, besonders Frauen gegenüber», oder, weil auch die Schweiz hungrig nach etwas Glamour ist, die «Schweizer Anna Wintour». Wintour, die exzentrische «Vogue»-Chefin, wurde der breiten Masse vor sieben Jahren durch den Film «Der Teufel trägt Prada» erst richtig bekannt – und natürlich sassen danach auf einmal in jeder Chefredaktion einer Modezeitschrift ebenfalls solche Teufelinnen.

Lisa Feldmann lächelt all diese hysterischen Zuschreibungen gelassen weg. Sie blättert in der ersten Nummer der «Annabelle» vom März 1938. Damals hiess die Chefin Mabel Zuppinger, die sich mit viel Geschick Zutritt in die Männerdomäne der Presse verschaffte, ohne dabei ins Elitäre davonzuschweben. Genau dieser Tradition fühlt sich auch Lisa Feldmann verpflichtet. «Die Annabelle war immer mehr als ein Heft. Sie hat die Frauen durch die Umwälzungen der vergangenen 75 Jahre begleitet, von der Kriegszeit über die Frauenbewegung bis zur heutigen Diskussion um die Frauenquote», sagt die 54-Jährige. Die «Annabelle» will auch immer wieder Themen aufgreifen, die an Tabus rühren. Gegen die Verletzung liberaler Prinzipien anzuschreiben, das ist der bürgerlich geprägten Chefredaktorin ein Anliegen. So finden sich aktuell Artikel über die Sexualität der Frau in der arabischen Welt oder über Ehrenmorde in Albanien.

Aber natürlich ist diese «Annabelle» immer auch die perfekt gestylte Freundin, die der Leserin zuflüstert: «Du kannst die Welt verändern, lass dich durch Zweifel nicht aufhalten.»

«Ich konnte nicht ablehnen»
Zumindest Lisa Feldmann hat dieses Streben verinnerlicht. Das zeigt sich auch jetzt wieder: Ende August verlässt sie nach neun Jahren die «Annabelle», um in Berlin die deutsche Ausgabe der amerikanischen Kultzeitschrift «Interview» zu leiten. «Mit Mitte 50 noch ein solch reizvolles Angebot zu bekommen – das konnte ich einfach nicht ablehnen.»

Die Spekulationen, wonach ihre geplante publizistische Kampagne für die Frauenquote der Unternehmensleitung von Tamedia nicht passte und sie deshalb den Hut nehmen wolle, lässt sie ins Leere laufen. «Ich respektiere das Kampagnenverbot. Ich kann es nicht genug wiederholen: Es hat nichts mit meinem Wechsel nach Berlin zu tun.» Aber vielleicht gehört auch das zur Realität einer sogenannten «starken Frau» – die Kritiker warten nur auf einen vermeintlichen Stolperstein in der Karriere, gar auf ein Eingeständnis des Scheiterns. Diesen Gefallen tut ihnen Lisa Feldmann nicht.

Was eine starke Frau ausmacht, diesen unbeirrbaren Durchsetzungswillen, wurde ihr bereits in ihrer Kindheit im westfälischen Sauerland vorgelebt. «Meine Grossmutter und meine Mutter, das waren Frauen, die sich im Krieg ohne die Männer durchschlagen mussten. Sie waren ganz selbstverständlich in das Elektrohandelsgeschäft meines Vaters aktiv involviert und trugen durch ihre Leistung und die ganzen Anstrengungen zum Erfolg bei. Für mich sind sie meine ersten Vorbilder.»

Ein kleiner Kulturschock
Haltung zu bewahren, sich nicht gehen zu lassen, aber gleichzeitig den Sinn für die Schönheit zu kultivieren, auch das wurden schon früh bestimmende Charakterzüge der Frau, die davon überzeugt ist, dass es keinen schnelleren Weg gibt, zu sagen, wer man ist, als durch sein Outfit. Zuerst ging die junge Zielstrebige an die Uni, studierte Germanistik und machte zusätzlich eine Ausbildung zur Psychotherapeutin. Doch schliesslich zog es sie in die Medien, «ich war wirklich nicht aufzuhalten», sagt sie rückblickend.

Sie arbeitete als Assistentin beim «Stern», avancierte mit 34 zur stellvertretenden Chefredaktorin von «Elle», führte später die Redaktion der Frauenzeitschrift «Cosmopolitan» und wurde schliesslich Ressortleiterin beim Magazin der «Süddeutschen Zeitung», das ihr Ehemann, der Journalist Christian Kämmerling, mitgegründet hatte.

Als er schliesslich nach Zürich übersiedelte, folgte ihm bald darauf auch Lisa Feldmann. Hier arbeitete sie zuerst im Trend-Bund der «Sonntags Zeitung» und übernahm schliesslich 2004 die Leitung der «Annabelle». Als sie in die Schweiz kam, erinnert sich Lisa Feldmann, sei das ein kleiner Kulturschock gewesen. «Es wurde mir bewusst, wie ungehobelt wir Deutschen eigentlich sind. Ich kam in ein Land mit einem unglaublich hohen Niveau, das heisst mit einem fein ausgeprägten Bewusstsein für Qualität, für Lebensstil.»

Besonders die Schweizerinnen, findet sie, seien absolut «sophisticated», also äusserst weltgewandt, differenziert und anspruchsvoll. «Während in Berlin die schicken Boutiquen unter der Woche meistens leer sind, steht man in Zürich selbst bei Louis Vuitton immer in einem sehr gut besuchten Haus.» Die Stadt sei alles andere als Provinz, findet die «Annabelle»-Chefin, «sondern sie hat ihren eigenen Stil entwickelt.»

Aber da gibt es auch die ewige Sehnsucht des Zürchers nach der Metropole. Er wähnt sich selbst am beschaulichen Idaplatz plötzlich im Berliner Prenzlauer Berg oder sitzt an den jährlichen Zürcher Fashion Days im Publikum und hält seine Stadt kurz für das neue Antwerpen oder London. Lisa Feldmann findet das alles absolut legitim. «Wer klein ist, hat immer einen schweren Stand, und jeder möchte ja schliesslich ernst genommen werden. Der Blick auf andere Städte hat Zürich schon immer gut getan.»

Dass sie bald die Schweiz verlassen wird, erfüllt Lisa Feldmann bereits jetzt mit etwas Wehmut. Aber immerhin: «Ich habe so viel von der Schweiz angenommen, das wird mich auch in Berlin immer begleiten.» Bis Herbst gilt es, noch einige Projekte zu verwirklichen, feiert doch die «Annabelle» ihr 75-Jahr-Jubiläum. Mabel Zuppinger hatte sich einst für die «Annabelle» ein Symbol ausgedacht – die Nelke. «Wohl hat jede Zeit ihre Blüte, der wir freudig huldigen», schrieb sie 1938, «die Nelke aber ist zeitlos und ungebunden, Vertraute und liebliche Freundin der Frau.» Lisa Feldmann wiederum sagt: Die Leserin ist bis heute der Massstab aller Dinge. Eine Diva klingt anders.

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