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Porträt

Die Stille beruhigt ihn, auch wenn er zittert

Von: Ginger Hebel

26. Mai 2015

Daniel Kühler leidet an Parkinson, seit er 34 Jahre alt ist. Somit gehört er zu den jüngsten Betroffenen der Schweiz. Aus der Berufswelt musste er sich zurückziehen. Heute fotografiert er Vögel und sucht die Ruhe in der Natur.

Es begann mit einem leichten Zittern in der Hand. Daniel Kühler, damals 34-jährig, hatte gerade den MBA (Master of Business Administration) abgeschlossen, und das neben seinem Vollzeitjob. Er dachte noch, das sei bestimmt der Stress, die Anspannung. Er fuhr in die Ferien, doch auch die Erholung half nichts, das Zittern hörte nicht auf. Er arbeitete damals als Abteilungsleiter in einer Firma, die Hüft-, Knie- und Schultergelenke herstellte. Es war seine Aufgabe, sicherzustellen, dass die behördlichen Anforderungen erfüllt sind und die Produkte vertrieben werden dürfen. Er arbeitete viel, mit einem Ziel: «Ich wollte mit 50 so viel verdient haben, dass ich mich zurückziehen kann.» Doch dann machte ihm sein Körper einen Strich durch die Rechnung.

Das Zittern breitete sich in der rechten Körperhälfte aus. An Sitzungen konnte er sich kaum noch lesbare Notizen machen, keine Protokolle mehr schreiben und auch nicht mehr locker in die Computertasten hauen, er, der das 10-Finger-System blind beherrschte. Er hatte plötzlich Mühe, sich zu konzentrieren und mehrere Dinge parallel zu erledigen. «Da merkte ich, dass da was nicht stimmt mit mir», resümiert er. Daniel Kühler suchte einen Neurologen auf, der Hirnscans machte. Das Zittern sei ungewöhnlich in seinem jungen Alter. Die Symptome deuteten auf eine beginnende Parkinson-Erkrankung hin. Als er die Diagnose erhielt, musste er erst einmal leer schlucken, aber eine Welt sei für ihn damals nicht zusammengebrochen, «ich musste eher meine Frau aufbauen, die immer nach Hinweisen suchte, dass es doch nicht Parkinson ist», erzählt er. Er informierte seinen Chef über seinen Gesundheitszustand, dieser reagierte verständnisvoll und bot ihm an, andere Aufgaben in der Firma zu übernehmen, was er auch tat. Doch mit 40 Jahren war Schluss. Daniel Kühler war nicht mehr arbeitsfähig. Seither lebt der 42-Jährige von der IV. «Man muss es annehmen und loslassen. Ich kenne viele, die das nicht können. Doch wenn man nicht runterfährt und ruhiger wird, dann wird der Parkinson schlimmer.» Mit der Krankheit hat er sich arrangiert, auch wenn es ihn betrübt, dass er kaum noch von Hand schreiben kann. Manchmal ereilt ihn der Gedanke, was passiert, wenn er mal gar nicht mehr schreiben kann. «Wie mache ich dann meine Unterschrift? Muss ich sie mit der linken Hand schreiben lernen, und ist sie dann noch gültig?»

"Ich sehe es nicht als Krankheit. Parkinson ist ein Teil von mir"

Er sitzt im Café und bestellt einen Latte macchiato, obwohl er nicht schmeckt, was er trinkt. Der verminderte Geruchssinn ist eine weitere Begleiterscheinung von Parkinson. Er muss sich konzentrieren, damit er den Kaffee nicht verschüttet. Mit der linken Hand hält er seinen zitternden Arm fest und führt die Tasse zum Mund. Daniel Kühler versteckt sich nicht, sondern klärt die Leute auf, wenn sie fragen oder komisch schauen. «Ich sehe es nicht als Krankheit. Parkinson ist ein Teil von mir.» Die Medikamente, die er täglich schlucken muss, wirken und unterdrücken die Symptome, die Parkinson auslösen kann. «Mein Krankheitsverlauf ist glücklicherweise sehr langsam, meine Lebensqualität dementsprechend hoch.» Parkinson ist bislang nicht heilbar, es existieren jedoch verschiedene Therapieformen, neben den medikamentösen auch operative wie Hirnschrittmacher. Für ihn keine Option. «Dafür geht es mir zu gut, als dass ich das Risiko einer Operation eingehen möchte.» Viele Parkinsonbetroffene leiden an Muskelsteifheit mit schmerzhaften Krämpfen und haben Sprechstörungen oder Schluckbeschwerden. Daniel Kühler ist davon bisher verschont geblieben, doch der Krankheitsverlauf lässt sich nicht beeinflussen. Niemand weiss, was auf ihn zukommen wird. Aber er war noch nie einer, der den Teufel an die Wand malt. «Die Zeit arbeitet für mich, es wird viel geforscht. Es muss nicht heissen, dass ich in fünf Jahren schlechter dran bin als jetzt.»

«Hektik und Lärm vertrage ich nicht»

Heute lebt er ein entschleunigtes Leben. Die Beziehung ist an der Krankheit nicht zerbrochen, im Gegenteil, seine Frau und er halten zusammen, sie sind glücklich darüber, dass sie heute mehr Zeit zu zweit haben. Sie hatten schon immer die gleichen Vorstellungen vom Leben. Bereits vor seiner Krankheit haben sie sich gegen Kinder entschieden, heute ist Daniel besonders froh über diesen Entschluss. «Das Schlimmste, was man mir antun könnte, wäre ein Kindergeburtstag mit schreienden Kindern. Hektik und Lärm, das vertrage ich nicht mehr.»

Er hat für sich eine neue Lebensaufgabe gefunden – er fotografiert Vögel. Seine Frau, eine Hobby-Ornithologin, hat ihn mit dem Virus infiziert. Stundenlang verweilt er in der Natur, besucht Brutgebiete und Rastplätze und fotografiert die schönsten Vögel, die am Himmel kreisen.

Er setzt sich in die Wiesen beim Katzensee und hält nach Bachstelzen Ausschau, nach Meisen und Amseln. Am Greifensee erblickte er einen Eisvogel, so schön, dass er den Moment nicht mehr vergisst. Bis auf vier Meter konnte er sich ihm nähern und ihn ablichten, ein gestochen scharfes Porträtbild. Trotz Profi-Equipment ist Daniel Kühler nie restlos zufrieden, «ich habe immer höhere Ansprüche an mich selbst». Aber er macht sich keinen Druck, das Fotografieren macht ihm Spass. Mit seiner Frau reist er viel, gerade war er im Donau-Delta in Rumänien, im Sommer gehts nach Island, in die Stille, die beruhigt ihn, auch wenn er zittert.

 

 

 

 

 

  

 

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