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Porträt

Reno Sommerhalder: «Das Leben in den Städten ist viel gefährlicher als das Leben in der Wildnis». Bild: Nicolas Y. Aebi

Ein Zürcher Koch unter den Raubtieren des Nordens

Von: Sacha Beuth

28. Oktober 2014

Angefangen hatte Reno Sommerhalder (49) als Koch in der ETH, ehe er sich vor rund 30 Jahren für ein ­Leben unter Bären entschloss. Nun hat er ein Buch über seine Erlebnisse herausgebracht und in Zürich vorgestellt.

An seine gefährlichste Begegnung mit einem frei lebenden Bären kann sich Reno Sommerhalder noch heute gut erinnern. «Es war vor etwa 12 Jahren im Südosten von Alaska. Ich war an einem Nachmittag im Wald unterwegs, als ich plötzlich schräg hinter mir einen Wuff-Laut hörte. Mich umdrehend, sah ich ein riesiges Braunbärmännchen auf mich zugerannt kommen», erzählt der 49-Jährige. «Das Tier muss im nahen Dickicht in einer Mulde gedöst haben, und ich habe es wohl überrascht. Jedenfalls konnte ich in diesem Moment nichts anderes tun, als ruhig auf ihn einzureden – was zum Glück funktioniert hat. Der Bär trollte sich und ich blieb mit rasendem Puls und weichen Knien zurück». Derartige Fälle würden allerdings die Ausnahme bilden. «Ich hatte tausende Begegnungen mit Bären. Fast alle verliefen absolut harmlos. Gerade mal bei einer Handvoll kam es zu Scheinattacken, wobei ich jedoch nie verletzt wurde.»

Sein Interesse an Bären entdeckt Sommerhalder über Umwege. In Zürich geboren und in Kloten aufgewachsen, findet er in seiner Jugend Gefallen an Eishockey und wird Fan der Kloten Flyers. «Beim Einkaufen habe ich dann gelegentlich die kanadischen Eishockeyprofis getroffen und wollte mehr über deren Herkunftsland erfahren. Als meine Mutter nach Kanada reiste und hinterher davon schwärmte, hat es auch mich gepackt.» Nach seiner Kochlehre in der Mensa der ETH reist Sommerhalder mit 18 das erste Mal für einen Kurztrip in das nordamerikanische Land. Ein Jahr später will er auf einer abgelegenen Insel im Norden von British Columbia mit zwei Kollegen einen Abenteuerurlaub verbringen. «Wir hatten Survival-Ausrüstung und jede Menge Waffen im Gepäck, jedoch keine Ahnung, wie man in der Wildnis überlebt», erinnert sich Sommerhalder. Nach einer Woche haben die drei gerade mal eine Forelle gefangen und ein Wildhuhn geschossen und sind ziemlich entkräftet, als sie per Boot von einem Ranger abgeholt werden. Sommerhalders Kollegen kehren darauf in die Schweiz zurück. Er aber bleibt und tourt durch Kanada, bis er im Jasper Nationalpark in einer Lodge das Angebot erhält, dort als Koch zu arbeiten, wenn ein entsprechendes Visum genehmigt wird. Der Zürcher sagt zu, bringt aber erst einmal seinen sechsmonatigen Urlaub zu Ende und streift durch den Nationalpark. Und hier geschieht etwas, das sein ­Leben für immer verändern wird. «Bekannte hatten mir ein Glöcklein geschenkt, das ich jeweils ans Zelt gehängt habe. Eines Nachts klingelt plötzlich das Glöcklein. Ich schrecke hoch und bemerke, wie ein Schwarzbär die Zeltwand aufreisst, weil ich aus Unerfahrenheit Essen im Zelt gelagert hatte. Er streckt also den Kopf herein, und wir sehen uns aus etwa einem Meter Distanz direkt in die Augen. Nach ein paar Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, hat er sich zurückgezogen und ist davongetrottet.» Sommerhalder ist völlig fasziniert und möchte nun alles über Bären erfahren.

Nach seiner Rückkehr in die Schweiz sitzt er wie auf glühenden Kohlen, bis endlich das Arbeitsvisum eintrifft und er in Kanada sein neues Leben beginnen kann. Jede Minute seiner Freizeit verbringt er nun mit der Suche nach Grizzlys und Schwarzbären, kommt in Kontakt mit Rangern und Forschern, leistet bei Bärenprojekten Freiwilligenarbeit und lernt die Sprache der Bären kennen, etwa wann man sich vorsichtig rückwärts gehend zurückziehen und wann man Imponiergehabe zeigen muss. Schliesslich hängt er seinen Beruf als Koch an den Nagel, um sich als Bärenführer und -forscher seine Brötchen zu verdienen. Inzwischen gilt er als international angesehener Bärenexperte und kümmert sich nicht nur in Nordamerika, sondern auch in Sibirien um den Schutz von Bären. Dort hat er sich auch zusammen mit seiner Frau Andrea Pfeuti (die zuvor in Afrika für diverse Naturschutzprojekte tätig war) auf die Spur des Sibirischen Tigers begeben. Die spannenden Begegnungen mit Meister Petz und der gestreiften Grosskatze haben die beiden vor kurzem im Buch «Unter Bären und Tigern – Mein Abenteuer in der sibirischen Taiga» (Wörtherseh-Verlag, www.woerterseh.ch) veröffentlicht. Zurzeit befindet sich Sommerhalder in der Schweiz, um seine Vortragsreihe mit Explora im Januar/Februar 2015 vorzubereiten. So sehr Sommerhalder die Annehmlichkeiten seines Geburtslandes schätzt, so zieht es ihn doch wieder zurück in die Wälder Kanadas. «Die Leute fragen mich immer, warum ich ein solch gefährliches Leben führe. Meiner Ansicht nach ist das ­Leben in den Städten aber viel gefährlicher als in der Wildnis. Und Bären sind viel friedvoller, als viele glauben. Wichtig ist einfach, dass man ihr Verhalten zu deuten weiss».

Am Donnerstag, 30. Oktober 2015, bringt SRF ab 20.05 h mit «Mit Bärenwaisen durchs Tigerland» einen Beitrag über Reno Sommerhalder.

Das «Tagblatt» verlost 3 Exemplare von «Unter Bären und Tigern». Senden Sie ein E-Mail an gewinn@tagblattzuerich.ch (Adresse und Stichwort «Bär» angeben). Einsendeschluss: Sonntag, 2. 11. 2014.

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