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Porträt

"Als ich das E-Mal von der Academy bekam, fühlte es sich surreal an." Bild: Nicolas Y. Aebi

Jungfilmerin schnappt sich den Oscar

Von: Clarissa Rohrbach

21. Mai 2013

Das gab es noch nie: Zwei Schweizer gewannen gleichzeitig einen Studenten-Oscar. Die Regisseurin Talkhon Hamzavi ist eine davon. Ihr Film wird am 8. Juni in Los Angeles ausgezeichnet. Darin reist eine Migrantin nach Zürich.

Die Filmspule dreht sich im alten Projektor, ein Lichtstrahl durchquert das Wohnzimmer mitten in Teheran, wo die junge Talkhon Hamzavi tonlos «Road Runner» schaut. Der rasend schnelle Vogel rennt dem vom Pech verfolgten Coyote davon, während sich draussen die Iraner dem strikten Regime Khomeinis fügen müssen. Dieser hatte 1979 gewaltsam den ­Islamischen Staat ausgerufen. In diesem Jahr wurde Hamzavi geboren, in eine Familie von Künstlern. Der Vater und die Mutter hatten sich in der Kunstgewerbeschule kennen gelernt und lebten in einer Welt, die stark von Kunst geprägt war.

Und so wuchs auch das Mädchen auf, sie tauchte in Filme ein, folgte mit den Augen dem Lichtstrahl, der die Realität draussen aus- und neue Möglichkeiten einblendete. Als sie sieben Jahre alt war, zog sie mit der Familie in die Schweiz. «Ich verstand damals nicht, was passierte. Ich erinnere mich nur noch, dass ich alles als verwirrend empfand.» Heute ist Hamzavi 34, Regisseurin und hat soeben den Studenten-Oscar gewonnen.

Bei der Preisverleihung im Samuel-Goldwyn-Theater in Beverly Hills feiert die Schweiz dieses Jahr eine Premiere. Denn gleich zwei Schweizer räumen gleichzeitig eine Statuette ab, das kam noch nie vor. Hamzavi mit «Parvaneh» als bester ausländischer Film und Mauro Müller in der Kategorie «Narrative». Am 8. Juni erfahren die Jungfilmer, ob sie Gold, Silber oder Bronze gewonnen haben. Seitdem die Oscars für Filmstudenten 1973 ins Leben gerufen wurden, haben nur zwei Schweizer die begehrte Trophäe erhalten, Reto Caffi und Michael Schaerer. Einige Award-Gewinner, wie Robert Zemeckis oder Spike Lee, entwickelten sich zu bekannten Regisseuren. Denn es handelt sich um eine wichtige Plattform, nicht zuletzt weil die Gewinnerfilme an renommierte Institutionen weltweit verschickt werden. Hamzavi wird während der Workshops auch die Möglichkeit haben, mit den wichtigsten Persönlichkeiten der Branche Kontakt zu knüpfen.

«Als ich das E-Mail von der Academy bekam, fühlte es sich surreal an», erzählt Hamzavi. Die Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK) hatte ihren Film eingeschickt, sie hatte es fast schon wieder vergessen. Obwohl ihre Abschlussarbeit «Parvaneh» bereits an rund zehn Festivals zu sehen war, hätte sie eine solche Auszeichnung nicht für möglich gehalten. Doch ihr Film berührt, Kontinente übergreifend.

Hamzavi erzählt darin die Geschichte von Parvaneh, einer jugendlichen Migrantin aus Afghanistan, die in einem Durchgangszentrum in den Bergen lebt. Von der Schweiz kennt sie nur das Heim. Sie ist alleine, eingeschüchtert, aber auch neugierig und voller Fragen. Um ihrem kranken Vater per Western Union Geld zu schicken, reist sie nach Zürich. Das Rattern der Trams, die grellen Lichter, die hektischen Menschen überfordern sie. Nur ein Punkmädchen will ihr helfen, es entwickelt sich eine Freundschaft.

«Verloren sein in einer neuen, fremden Welt und der Kontrast zwischen den Kulturen, das sind Themen, die mich interessieren. Ich wollte sie anpacken und schauen, was sich daraus entwickelt.» Hamzavi hat viel recherchiert, Bücher gelesen und mit Bewohnern von Asylheimen geredet. Vieles sei heute bei Migranten anders als früher, aber irgendwie kam ihr alles ein bisschen bekannt vor. Sie fand es schockierend, welch langen Weg und unschöne Dinge diese Menschen auf sich nehmen. Und das alles mit diesem Idealbild der Schweiz im Kopf. Sie wollte zeigen, wie aufwühlend es ist, in einem fremden Land anzukommen, hilflos, alleine, ohne die Sprache zu kennen. Im Film geht es ihr hauptsächlich darum, dass die Menschen überall gleich sind, nur die Erlebnisse, die uns prägen, unterscheiden sich von Ort zu Ort. Deswegen finden die zwei jungen Frauen auch zueinander.

Hamzavi arbeitet immer gerne mit weiblichen Hauptdarstellern. «Es fällt mir leichter, weil ich mir besser vorstellen kann, wie Frauen in gewissen Situationen reagieren.» Während des Studiums an der ZHDK hat sie Kurzfilme gedreht über ein Paar, das sich nicht mehr liebt, und über einen jungen Mann, der eine Diskussion mit dem Tod führt. Ernste Themen, aber nie dick aufgetragen. Humor ist für Ham­zavi trotz Drama wichtig, denn auch das ­Leben ist ungewollt voller Situations­komik.

Ihre Ideen sammelt die Regisseurin in ihrem Alltag. Impulse kommen von überall: Gespräche, Beobachtungen, Zeitungen. «Ich gehe sehr aufmerksam durch die Welt, denke sehr viel nach und habe ein Gespür für Menschen.» Oft fragt sich Hamzavi: Woher kommt mein Gegenüber, wie lebt er, was trägt er mit sich? In den Momenten, in denen sie dann ganz bei sich ist, meistens im Zug, schreibt sie ihre Gedanken in einem Notizbuch auf.

Ursprünglich hat Hamzavi eine Lehre als medizinische Praxisassistentin absolviert. Doch ihr Herz schlug schon immer für die Kunst. In der Schule brillierte sie in künstlerischen Fächern wie Zeichnen. Aber erst als sie mit 24  Jahren den gestalterischen Vorkurs besuchte und mit der Kamera experimentierte, wusste sie: Film ist das Richtige für mich, davon will ich leben. Sie holte die Berufsmatura nach und studierte dann Regie an der ZHDK.

Leben kann Hamzavi von ihren Filmen noch nicht. Zurzeit schreibt sie am Drehbuch ihres ersten Langspielfilms. Die Recherche bedeutet viel Arbeit und erfordert grosse Geduld. Doch Talkhon Hamzavi weiss, was sie will. Als Jungregisseurin hat sie sich durchgesetzt. Diesmal wird der Lichtstrahl ihren eigenen Film projizieren, in Los Angeles, über den Köpfen der Besten.

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Leserkommentare

Asghar Naghizadeh - Bravo Talkhon, ich bin stolz auf dich

Vor 10 Jahren 10 Monaten  · 
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