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Porträt

«Reichtum wird überbewertet.Was nützt dir eine Villa, wenn du alleine drin hockst?" Bild: PD

No Money, no Cry

Von: Clarissa Rohrbach

16. September 2014

Elijah (27) galt vor sieben Jahren als Jungstar des Reggaes. Dann ging er pleite und putzte Abwasserrohre. Nun haut er mit seinem zweiten Album wieder alle um. Darin singt er von Rebellion und Liebe.

Elijah trommelt und lächelt, als ob es kein Morgen gäbe.  Die dumpfen Töne füllen den Bandraum in Neu­affoltern. «Das ist ein Herzschlag, hörst du das?», sagt er, während sein Blick irgendeinen Punkt im Leeren ­fixiert. Vielleicht erinnert sich der 27-Jährige an die Baracken in Water­house, dem Ghetto Kingstons, der jamaikanischen Hauptstadt, von wo er gerade zurückgekehrt ist. Dort hat der Musiker sein zweites Album aufgenommen, im Studio, das einst Bob Marley gründete. Ein Foto von ihm hängt an der Wand. Der jamaikanische Gründer des Reggae strahlt den Oerliker in Kapuzenpulli und Jeans an, wie wenn er ihn ermutigen möchte, sein Erbe weiterzutragen.


Sieben Jahre ist es her, dass Elijah sein Erstlingswerk «Beweg di» herausbrachte. Mit 20 hatte er bereits 6000 Alben verkauft, einen Preis als bester europäischer Reggae-Newcomer gewonnen und mit der Single «Sie isch wäg» eine halbe Million Klicks auf Youtube erreicht. Die Reggae-Welt feierte ihn als Jungstar. Er gab Hunderte von Konzerten in Europa, Afrika und Zentralamerika. Und dann passierte lange nichts mehr. Bis heute. Elijahs neues Album «Eat Ripe Fruit» ist soeben erschienen. Fans und Kritiker sind sich einig: Das Album ist gut, äusserst professionell und internationaler als das erste.


«Alles hat seine Zeit und seinen Ort», sagt Elijah mit einem bedeutungsschweren Nicken. Er habe den Baum wachsen lassen müssen, fügt er hinzu und wippt mit den Beinen. Der Titel seines Werks bezieht sich auf ein  Sprichwort: «Ein geduldiger Mann wird reife Früchte essen.» Es scheint als ob Elijah nicht nur wie ein Jamaikaner spricht, sondern auch wie einer denkt. Unterschiede gebe es zwischen Menschen verschiedener Herkunft keine, erklärt er, Kultur sei nur eine Form, eine Hülle. «Wenn du einen Menschen respektierst, dann kannst du ihn auch lieben, also als Menschen umarmen.» Und wieder ein breites Lächeln.


Reggae spricht von Liebe
Geboren wurde Elijah als Elia Gunnar Salomon, sein Vater ist Italiener, seine Mutter halb Norwegerin, halb Schweizerin. Er wuchs in der Nähe des Milchbucks auf, war als Kind «viel unterwegs im Quartier», mochte die Schule nicht, sondern alles andere, vor allem die Musik. Er lernte Querflöte spielen, dann brachten ihm Freunde Schlaginstrumente und Gitarre bei. Dank ihr begann er zu singen, mit 13 Jahren komponierte er sein erstes Lied «Unverstande».  Seitdem lebt er für den Reggae.


«Diese Musik ist wie eine Sprache, sie redet zu mir und erzählt mir von Rebellion, aber auch Harmonie und Liebe.» Sein Debüt bestand hauptsächlich aus Liebesliedern. Mit einem erstaunlich weichen Züritüütsch und einer gefühlvollen Stimme erzählte er von gebrochenen Herzen. Heuer wechseln sich ­romantische Songs häufiger mit politischen Statements ab. «Ungerechtig­keiten brennen mir unter den Nägeln.» Auf die Frage, was denn ungerecht sei, antwortet er mit einem Rap:


«Wer isch de wo dis Tunnel bohrt /
s Land repräsentiert i dim Lieblingssport   / dini Strasse und din Teller suber macht / häsch ne schomal Respekt entgegebracht / uf dim Wahlpapier lies ich nur Verachtig / jedesmal wänn i de Fernseh ischalt / reded sie vo Migrante als die bösi Gstalt. Ez wänd ois alli nüm.»


Elijah lässt sich kaum stoppen. Er trägt die Verse von «Wänd ois nüm»   so hingebungsvoll vor, dass man ihm ewig zuhören könnte. Das Schicksal von Migranten beschäftigt ihn. Sie würden von gewissen politischen Kreisen in der Schweiz heuchlerisch und respektlos als Angstobjekt missbraucht, um Stimmen zu gewinnen. Dabei seien sie das Rückgrat der Gesellschaft.


Er hat zwar die Matura im Sack, spricht und singt auf Italienisch, Französisch, Englisch sowie Spanisch und ist mit vielen Talenten gesegnet, doch Elijah bleibt bescheiden. «Reichtum wird überschätzt. Was nützt dir eine Villa, wenn du alleine drin hockst?» Er war oft pleite, putzte Abwasserrohre, um über die Runden zu kommen. Für das neue Album musste er einen Kredit aufnehmen. Nach einem Rechtsstreit mit seinem alten Management hatte er all sein Geld ausgegeben. «Sie hielten mich mit einem endlosen Vertrag gefangen, ich musste mich von den Verpflichtungen befreien.» Er räumt ein, damals etwas naiv gewesen zu sein, das Musikgeschäft sei halt auch ein Business.


Elijah hat seitdem vieles gesehen. Im Lied «Gun Cry» singt er über die Kriminalität in Kingston, wo sich Leute gegenseitig umbringen und blutige Leichen im Morgengrauen auf der Strasse liegen. Und doch glaubt er nicht, dass in Entwicklungsländern mehr Unrecht passiert. «Es gibt überall Böses und Gutes.» Um gut leben zu können, sei es wichtig, dass sich die Menschen gegenseitig stützen, anstatt sich von einander fernzuhalten.


«Yeah man»

Elijahs Handy klingelt. Er antwortet auf Patois, dem kreolischen Englisch aus Jamaika. «Yeah man, alright, mi a go tonight (Ja, ist gut, ich komme heute Abend).» Sprachen habe er von den Menschen gelernt, die ihn zu sich eingeladen haben, bei denen er gewohnt und gegessen hat. Der Musiker macht sich zuerst einen Tee und zeigt dann das Aufnahmepult, mit dem er nun auch Musik von Freunden aufnimmt. Neben den Computern stehen Kerzen. Er pflege eine Art von nicht religiöser Spiritualität, erklärt er, das Spirituelle finde er im fliessenden Wasser, im Wind oder in Vögeln, die singen. Elijah lächelt, es ist, wie wenn er in seinem Bandraum in Zürich-Nord einen ewigen Moment des Glücks leben würde. Auf die Frage, wie spät es jetzt sei, antwortet er nicht. Er ist wieder am Trommeln.

Elijah gibt morgen am FOR-Festival im Hauptbahnhof um 19 Uhr ein Gratiskonzert.

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