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Porträt

Filmregisseur Samir: "Ich wusste, dass die Welt rund ist und es ein Lanf namens Swisra gab." Bild: Michel Gilgen

Samirs filmische Suche nach seinen Wurzeln

Von: Irene Genhart

03. März 2015

Samir ist einer der aufmüpfigsten und innovativsten Filmemacher der Schweiz. In seinem neuen Film «Iraqi Odyssey» erzählt er die Geschichte seiner über die ganze Welt verstreut lebenden, irakischen Familie.

Ein bisschen ist Samir ein bunter Hund. Einer, der ab und zu in die Schlagzeilen gerät. Nicht weil er, wie nun mit «Iraqi Odyssey», immer wieder formal aufregende und inhaltlich anregende Filme dreht, sondern weil er interveniert, wenn die Kulturpolitik in Schieflage gerät. Weil er sich auf Podien unerschrocken mit jedem anlegt und Forderungen aufstellt, die andere haarsträubend finden; jüngst etwa, die Zürcher Filmförderung von 10 auf 40 Millionen Franken zu erhöhen.

Doch wie man Samir diese Tage in seiner Filmproduktionsfirma am Helvetiaplatz trifft, ist er nach der ­internationalen Premiere von «Iraqi Odyssey» an der Berlinale ziemlich entspannt und findet es vor allem «lustig», dass Journalisten ihn so kämpferisch wahrnehmen. Denn ­eigentlich, sagt er, interveniere er in der Sache, und das tue in diesem Land not. Tatsächlich haben nicht nur Samirs Kampfgeist, sondern auch seine Filme – die verschmitzte Kleinganoven-Lovestory «Filou», die Secondo-Doku «Babylon 2», das Kokain-Märchen «Snow White» – die Schweizer Filmlandschaft der letzten Jahre nachhaltig geprägt.

Mit dem Schulbuch in die Schweiz
Mit «Iraqi Odyssey» hat Samir, der mit vollem Namen Samir Jamal ­Aldin heisst, einen Film über seine irakische Familie gedreht. Die Idee dazu kam ihm während der Arbeit am Dokumentarfilm «Forget Baghdad». Die darin vorkommenden irakisch-jüdischen Kommunisten gehören der gleichen Generation an wie sein Vater und dessen sechs Geschwister. Sie haben wie diese die Heimat, weil es da politisch zu unruhig wurde, in den 1950er-, 1960er-Jahren verlassen. Samir, am 29. Juli 1955 als Sohn einer Schweizerin und eines Irakers in Bagdad geboren, kam mit Eltern und Geschwistern 1961 in die Schweiz. Bloss vorübergehend, wie er meinte, und mit einem arabischen Schulbuch unter dem Arm, das er noch heute besitzt und das auch im Film vorkommt.

Damals in Bagdad, erzählt Samir, habe seine Familie – Eltern, Grosseltern, Tanten, Onkel, Geschwister, Cousinen, Cousins – zusammen in einem riesigen Haus mit Garten in einem Neubauquartier gelebt. Der Grossvater war Richter. Die Grossmutter nahm Samir mit in die Moschee, mit den Tanten schaute er im Kino ägyptische Filme. Bagdad war fortschrittlich, Samir, obwohl aus ­einer ursprünglich religiösen, schiitischen Familie stammend, wurde im «sozialistischen Geist erzogen» und wuchs «im Wissen um Tschaikowsky, Beethoven, Shakespeare und die modernen Wissenschaften auf.» Zudem wusste er, «dass die Welt rund ist und es ein Land namens ‹Swisra› gibt»: Als er in die Schweiz kam, wusste er mehr über die westliche Welt als seine Schulkameraden über die arabische.

Fortan geriet Samir immer mehr zwischen die Welten. «Ich bin ein typischer Secondo, lebe im Limbo der Kulturen. Ich habe Heimweh, wenn ich in der Schweiz arabische Musik höre. Ich spreche Arabisch, aber mit solch heftigem Akzent, dass mich die Menschen stirnrunzelnd ansehen.»

Als Samir 1979 seinen Cousin in Bagdad besuchte, hat er sich gewundert, dass dieser gegen Mitternacht vorschlug auszugehen, derweil im damaligen Zürich die Lokale um diese Zeit schlossen. Als er nach dem Krieg 1990 wiederkam, besass niemand Computer, weil diese unter der Diktatur verboten waren. Und wie er in «Iraqi Odyssey» das Grab der Familie besucht, in dem auch sein Vater liegt, der seine Schweizer Familie irgendwann verliess, muss er dieses von Schmutz und Staub reinigen. Das prächtige Haus seiner Kindheit kommt ihm nun bescheiden vor, und der Gang zum Tigris, der ihm als Kind endlos erschien, erweist sich als kurzer Spaziergang.

Samir, der Bewegte
Samir hat in Zürich die Schule für Gestaltung besucht und eine Lehre als Typograf absolviert, bevor er eine Ausbildung zum Kameramann machte. Er hat in den jugendbewegten Jahren als Mitglied der AJZ-Kulturgruppe die Stadt mittels «performativer Aktionen» zu verändern versucht. 1981 wird er Mitglied des Videoladens und beginnt eigene Filme zu realisieren, 1994 übernimmt er zusammen mit Karin Koch und Werner «Swiss» Schweizer die Produktionsgesellschaft «Dschoint Ventschr», die im Ruf einer eigentlichen Talentschmiede steht. Samir ist einer der innovativsten Filmemacher der Schweiz. Er erfindet die Filmsprache mit jedem Film ein bisschen neu. So hat Samir auch «Iraqi Odyssey» im hierzulande bisher kaum verwendeten 3-D-Format gedreht, und parallel zum Filmstart lanciert er ein interaktives Webprojekt, das die Geschichte des Iraks aus Sicht der Iraker neu erzählen soll.

«Iraqi Odyssey» ist nicht nur ­Samirs neuster, sondern auch persönlichster und aufwendigster Film. Samir brauchte Jahre, um alle Biografien zu recherchieren und Geld zu finden. Und er musste massive Überzeugungsarbeit leisten, um seine Familienmitglieder vor die Kamera zu bringen. Diese waren vom Projekt zwar begeistert, zierten sich als «typische» Araber aber, vor die ­Kamera zu treten.

Diesbezüglich darf Samir sich auch selber ein bisschen an der Nase nehmen. Denn obwohl er in «Iraqi Odyssey» auftritt, gibt er relativ wenig über sein Privatleben preis. Zwar hat er den Film seiner elfjährigen Tochter Selma gewidmet. Doch seine Lebenspartnerin, Stina Werenfels, bezeichnet er im Film nur als «meine Penelope». Dabei sind Samir und Werenfels, die derzeit mit «Dora – Oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern» einen eigenen neuen Film lanciert, derzeit das Power-Couple der Schweizer Filmszene. Doch lieber als darüber redet Samir über sein Kulturzentrum «Kosmos», das 2017 mit sechs Kinosälen, Bühne, Buchsalon, Kaffeehaus und Lounge an der Langstrasse eröffnet – und hoffentlich für Schlagzeilen sorgen wird. 

«Iraqi Odyssey» ab morgen im Riffraff. www.iraqiodyssey.ch/de/

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