mobile Navigation

Porträt

«Ich will sicherstellen, dass die Uni auch in 20 Jahren noch top ist.» Bild: Nicolas Y. Aebi

Unichef mit Schwung

Von: Clarissa Rohrbach

22. April 2014

Michael Hengartner führt das «Tagblatt» durch das Hauptgebäude der Uni, das sein 100-Jahr-Jubiläum feiert. Der Rektor offenbart sich als quicklebendiger Optimist.

Studenten füllen den Lichthof, ihre Nasen in den Büchern. Der Anblick des universitären Alltagstrotts begeistert Michael Hengartner, als wäre er Erstsemestler: «Ist das nicht cool? So viele junge Menschen, die die Welt verstehen wollen!» Der 47-Jährige mit dem zügigen Schritt könnte einer von ihnen sein, so neugierig wirkt er. Doch der Mann im Anzug, der durch die Gänge der Universität schreitet, ist deren Rektor. Nach einem schnellen Anruf mit seinem iPhone hält er vor einer Pinnwand inne, bückt sich sorgfältig und bewundert einen Kleber: «Oh, eine Schnecke, sehen Sie?» Nichts entgeht Hengartner, er ist schnell, leicht, unkompliziert. In seiner Gegenwart ist alles möglich, alles machbar. «Sie müssen den Uniturm sehen, kommen Sie mit.» Dort stürzt er sich in die Küche und fragt nach Schokolade für seinen Gast. Auf den Jubiläumspralinés ist die Silhouette des Hauptgebäudes abgebildet, das heuer 100 Jahre alt wird.

1914, das war kurz nachdem Albert Einstein an der Uni Zürich seinen Doktortitel erhalten hatte. Seitdem ist die Hochschule massiv gewachsen. Heute lernen rund 26 000 Studenten an den 150 Instituten. Zürich ist als Forschungsstätte weltweit unter den besten hundert und in Europa auf Platz drei. Kein Grund für Hengartner, sich auf den Lorbeeren auszuruhen: «Ich will sicherstellen, dass die Uni auch in 20 Jahren noch top ist.» Die Leistung der Mitarbeiter sei hervorragend, aber sie müsse noch besser werden, der Wettbewerb sei hart. Dafür will Hengartner weltweit die Besten nach Zürich holen. Nach dem «bedauerlichen» Resultat der Masseneinwanderungsinitiative herrsche die Furcht, man werde aus der europäischen Wissenschaftscommunity ausgeschlossen. «Es kommen harte Zeiten auf uns zu, aber wir müssen die Verunsicherung überwinden.»

Hengartner sitzt nun in seinem Büro und wirft einen ernsten Blick auf eine Reihe verwitterter Bücher. Dessen Autor: Lorenz Oken, der 1833 als erster Rektor wirkte. «Er war Deutscher, das war früher schon so. Wo liegt das Problem?» Dann erklärt er, wie sich dieser Posten mit der Zeit verändert hat. Setzten die Herren im 19. Jahrhundert nur nebenamtlich ein paar Unterschriften, seien die Rektoren heute für die gesamte Führung zuständig. Am kniffligsten sind für Hengartner Personalfragen wie etwa bei Professorin Iris Ritzmann, die in Ungnade gefallen war, weil sie in der Mörgeli-Affäre dem «Tages Anzeiger» vertrauliche Dokumente gesteckt haben soll. «Ich habe sie nach ihrer Version gefragt. Um eine Lösung zu finden, muss ich mir ein eigenes Bild dieses Falls machen.»

Ein Wurm entschied über sein Leben

Das Rätsel des Lebens zu lösen, das ist Hengartners treibende Kraft, wenn nicht seine Obsession. «Was gibt es Schöneres? Life is fascinating!» Der kanadisch-schweizerische Doppelbürger mischt Mundart und Englisch, hochkomplexe Fakten mit greifbaren Beispielen. Als Molekularbiologe habe er die Kette des Lebens analysiert, die DNA. Sie sei wie eine Computerfestplatte, die alle Informationen über einen Organismus abspeichere.

Schon als Junge beobachtete er alles, was kriecht und fliegt. Und löste bereits im Kindergarten Rechenaufgaben. Zum Stolz des Vaters, eines Mathematikprofessors in Québec, der sich für seine fünf Söhne den gleichen Beruf wünschte. «Aber das Gleiche wie mein älterer Bruder tun? Nein, das war für mich ein No-go.» Also studierte er Biochemie.

Ab dann entschied ein Wurm über sein Leben. Zum ersten Mal sah er den Fadenwurm Caenorhabditis elegans – 1  Millimeter lang, 959 Zellen reich – beim zukünftigen Nobelpreisträger Robert Horvitz am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA). Und es grauste ihm davor. «Jetzt bin ich froh, Wurmforscher zu sein, denn der Mensch ist hoffnungslos kompliziert.» Das Thema seines dortigen Doktorats, der programmierte Zelltod des wirbellosen Tieres, wurde zu seinem Lebensprojekt. Heute gibt es in Zürich sogar ein «Hengartner Lab», wo sich eine Gruppe Doktoranden nur mit dem C. elegans befasst. Dieses Wissen kann für die Heilung von Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer bei Menschen angewandt werden. Dass er nun als Rektor sein Labor aufgeben und schliessen muss, schmerzt ihn am meisten.

Im Institut am Campus Irchel lernte Hengartner auch seine Frau Denise kennen. Als er vor 13 Jahren in die Schweiz gekommen sei, habe er einen Kulturschock erlebt. Die Biologin half dem «komischen amerikanischen Neuling», sich im Büro einzurichten. «Spätestens als sie mich neckisch fragte, ob ich grossen Wert auf Feng-Shui legen würde, wusste ich: Diese Frau hat Humor.» Das Paar hat mittlerweile vier Kinder. Nach dem gemeinsamen Frühstück fahren die kleinen Hengartners mit Mami und Papi in einer langen Velo-Karawane in die Schule. Am Abend gibt es «Lord of the Rings»-Gutenachtgeschichten. «Ich verbringe jede freie Minute mit meiner Familie, sie ist mein grösstes Hobby.» Das andere sei Gärtnern. Er liebe es, nach sechs Stunden aufzustehen – mehr schläft er nicht – und einen Apfel frisch vom Baum zu pflücken.

Hengartner ist ein Optimist und Idealist. Sein Leben mache nur Sinn, wenn er die Welt zu einem besseren Ort machen könne. Sein Ziel: an der Uni die optimalen Rahmenbedingungen schaffen, damit die Forscher die nötige Freiheit geniessen können. «Sie sind wie Superstars. Die Maschinerie muss funktionieren, damit sie kreativ sein können.» Obwohl Hengartner nicht mehr forscht, entlocken ihm die Entdeckungen der rund 550 Professoren in Zürich immer noch seine «Wow!» und «Oh!». Seine Art ist offen, das sei wohl seine amerikanische Seite. Hengartner liebt es, sich mitzuteilen, und legt alle Karten offen auf den Tisch: Seine E-Mail-Adresse findet jeder im Internet.

Ganz bescheiden isst er nun ein Sandwich aus der Mensa in einer Ecke des Zoologischen Museums. Das sei sein Lieblingsort im gefeierten Hauptgebäude. «Hier gibt es alles, was ich brauche: Rivella Blau, Wi-Fi und viele Kinder.» Aber das Coolste sei der ungestörte Blick auf ein ausgestopftes Riesenfaultier. «Die Spezies ist ausgestorben. Es erinnert mich immer daran, lebendig zu bleiben.»

Das 100-Jahr-Jubiläum des Uni-Hauptgebäudes dauert bis zum 15. Mai. Im Lichthof erzählt eine Ausstellung die Geschichte des Baus von Karl Moser.  Zudem gibt es Führungen und eine Multimedia-Guide durch die Uni. Weitere Informationen zum Jubiläumsbuch, Konzerte und Vorträge finden Sie unter www.uzh.ch.

Sind Sie auf Facebook? Werden Sie Fan von tagblattzuerich.ch!

zurück zu Porträt

Artikel bewerten

Gefällt mir 1 ·  
5.0 von 5

Leserkommentare

Keine Kommentare