mobile Navigation

Reportage

Abgeschirmt vor Elektrosmog

Von: Ginger Hebel

29. August 2017

Wohnformen: Das «Tagblatt» porträtiert in loser Folge Menschen, die unkonventionell leben. Heute: Der elektrosensible Christian Schifferle im Allergikerhaus MCS in Zürich-Leimbach.

Eine Wohnung mit alten Holzböden, eine lackierte Kommode, frische Blumen – für Christian Schifferle ein Albtraum. Er leidet an MCS, einer multiplen Chemikalien-Sensibilität. Er reagiert empfindlich auf Elektrosmog und Duftstoffe, sie brennen in seiner Lunge. Auch die Strahlung von Handys und schnurlosen Telefonen macht ihn krank, am schlimmsten seien Hochspannungsmasten und Antennen. Ein Leben lang kämpfte der heute 62-Jährige für ein bisschen Lebensqualität. «Ich habe immer gelitten. Erst seit ich in diesem MCS-gerechten Wohnhaus lebe, geht es mir besser», sagt Christian Schifferle. Schon als Kind machten ihm Lacke und Lösungsmittel das Leben zur Hölle. Er hatte oft Mühe, sich zu konzentrieren, litt unter Kopfschmerzen und Atembeschwerden. Auch auf Haarspray und Parfüm reagierte er mit Niesattacken.

In seiner früheren Wohnung machte ihm besonders die Bausubstanz Probleme. Er reagiert allergisch auf Formaldehyd, ein Stoff, der zum Beispiel für die Produktion von Spanplatten und anderen verleimten Holzwerkstoffen verwendet wird. Weil er es nicht mehr aushielt, zog er in einen Wohnwagen und lebte dort mehr als 20 Jahre. Während dieser Zeit verfolgte er stets die Vision eines Wohnhauses, das bauökologische Ansprüche erfüllt und Elektrosmog wirksam abschirmt. Er wünschte sich ein Zuhause, das ihn und andere Elektrosensible vor Strahlung schützt.

Eine Vision wird wahr

Es gelang ihm, die Stadt von seiner Idee zu überzeugen. 2008 gründete Christian Schifferle mit anderen Umweltkranken die Genossenschaft Gesundes Wohnen MCS. Diverse Wohnbaugenossenschaften sowie der kantonale Lotteriefonds sicherten ihnen Unterstützung zu. Auch Alt-Stadtpräsident Elmar Ledergerber setzte sich massgebend für das Pionierprojekt ein. «Ohne ihre Solidarität gäbe es dieses Gebäude nicht. Ich verdanke der Stadt Zürich sehr viel. Es ist ein grosses Glück, endlich in einer Wohnung leben zu können, die mich nicht krank macht», sagt Christian Schifferle.

 

Im Oktober 2013 wurde das Allergikerhaus im Beisein der Zürcher Stadträte Daniel Leupi und André Odermatt eröffnet. Schifferles 2,5-Zimmer-Wohnung verfügt über einen Sitzplatz im Funkschatten der Uetliberg-Antenne. Rundherum Wiesen, Wälder, reine Luft. «Dieser Ausblick ist wie Ferien. Ich habe das Gefühl, es sei immer Sonntag, so still ist es hier.»

Die 15 Wohnungen verfügen über Steinböden, Kalkputz und Kunststofffenster. Hier leben Studenten, alleinerziehende Mütter und ältere Menschen. Sie alle leiden unter den Folgen von Elektrosmog, sind chronisch erschöpft und nicht in der Lage, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Die Mieterschaft – eine Art Schicksalsgemeinschaft – hält sich an eine strikte Hausordnung: Smartphones gehören ausgeschaltet oder auf Flugmodus gestellt, Mikrowellen sind wegen ihrer Strahlung verpönt. Einmal pro Woche kommt eine Yoga-Lehrerin ins Haus. «Die Entspannung tut uns allen gut», sagt Christian Schifferle. Gelegentlich, wenn die Beschwerden zu stark werden, trägt er eine Atemschutzmaske. «Auf der Strasse werde ich oft angestarrt, das ist unangenehm. In Japan und China hingegen ist es völlig normal, mit einer Gesichtsmaske herumzulaufen.»

Das Allergikerhaus sorgt international für Aufsehen. Christian Schifferle, Co-Präsident der Genossenschaft, bekommt mittlerweile Anfragen von Umweltkranken aus der ganzen Welt. «Ich wünsche mir, dass in Zukunft weitere solche Wohnhäuser gebaut werden, damit auch andere Elektrosensible gesund wohnen können.» www.gesundes-wohnen-mcs.ch www.stiftung-glw.com Weitere Artikel zu dieser Wohnserie sind online unter der Rubrik Reportagen zu finden. www.tagblattzuerich.ch ∙ Leben Sie in einem Generationenhaus oder in einer Alters-WG? Oder aber in einer aussergewöhnlichen Konstellation? ∙ Wohnen Sie in einem Wohnwagen, einem Loft oder in einem Schloss? Melden Sie sich bei uns. Ginger Hebel, Tel. 044 248 63 82. ginger.hebel@tagblattzuerich.ch

zurück zu Reportage

Artikel bewerten

Gefällt mir ·  
5.0 von 5

Leserkommentare

Keine Kommentare