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Reportage

Massenandrang bei der Böögg-Verbrennung, vor 1910: Damals hiess der Sechseläutenplatz noch Tonhalleplatz. Bilder: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich

"Als die Flammen an das Ungetüm hinaufleckten"

Von: Jan Strobel

12. April 2016

Sechseläuten: Am Montag findet wieder das Frühlings- und Zünfterfest statt. Wie es sich gewandelt hat, zeigt sich  ­besonders an der Geschichte des Böögg. Wir gingen für einen kleinen historischen Abriss ins Archiv.

«Als die Flammen an das Ungetüm hinaufleckten, begann dasselbe buchstäblich Feuer und Flammen zu speien, verzehrte aber damit zum ­allgemeinen Ergötzen sich selbst; möge es allem Bösen so gehen.» So beschrieb am 7. April 1869 die NZZ das spektakuläre Ende des Böögg, der damals allerdings noch nicht in Gestalt eines harmlosen und liebenswürdigen Schneemanns auf seinen Feuertod wartete. Das Ungetüm zeigte sich dem Publikum vielmehr als «grausiger» Drache mit mächtigen Schwingen und gespaltener Zunge. Beliebt war nicht nur der Drache; in anderen Jahren war der Böögg auch schon als Hexe oder furchteinflössende und vermummte Strohpuppe den Flammen übergeben worden. Den Böögg als Schreckgestalt darzustellen, hatte damals Tradition. Sie folgte der ursprünglichen Bedeutung des Wortes Böögg: Er ist ein vermummtes Wesen, das Kindern Angst einflösst und bettelnd durch die Strassen zieht. Als Schneemann tauchte er erst zu ­Beginn des 20. Jahrhunderts auf. Im grossen Stil organisiert wurde die Böögg-Verbrennung am Sechseläuten ab 1868 vom Anwohnerverein des Kratzquartiers, damals noch auf dem Bürkliplatz. «Das Kratz» existiert längst nicht mehr; es wurde bis 1891 vollständig abgetragen und an seiner Stelle unter anderem die Fraumünsterpost und das Metropol-Haus errichtet.

Das Sechseläuten als Zürcher Frühlings- und Zunftfest gehörte allerdings schon spätestens seit dem 18. Jahrhundert zum städtischen Brauchtum. Der Böögg spielte da noch keine prominente Rolle. Im Mittelpunkt standen die prachtvollen, karnevalesken Umzüge der Zünfte. Die strömten nach der Parade, einem gemeinsamen Wurstessen im Baugarten beim Kratzturm und gegenseitigen Besuchen schliesslich in der Tonhalle zusammen, um dort «mit vaterländischen Gesängen» und unter «gewaltigem Festjubel» in  die Nacht zu feiern.

Nicht immer konnte allerdings am Sechseläuten von Festjubel und Hochstimmung die Rede sein. Denn schliesslich war selbst der Böögg ­unerbittlich den Läufen der Welt­geschichte unterworfen. 1917 zum Beispiel, als der Erste Weltkrieg die alte Ordnung in Europa vernichtete, wollte an der Limmat natürlich niemand wirklich ans Sechseläuten denken. «Feststimmung wäre auch nicht aufgekommen, selbst wenn man ein halbes Dutzend Bööggen miteinander verbrannt hätte», kommentierte die NZZ bitter. Zu allem Überdruss ging an jenem tristen Sechseläuten ein durchdringender Regen auf die Stadt nieder. Noch trister gestaltete sich das Sechseläuten nur noch 1944: Unter dem Eindruck der Bombardierung Schaffhausens überlegte man sich in Zürich, das Fest komplett ausfallen zu lassen, einigte sich dann aber auf  eine abgespeckte Durchführung. Die Organisatoren strichen den Kinderumzug und fügten Sicherheitsbedenken an. Sie befürchteten eine Massenpanik im Fall eines Luftalarms. Der Böögg wurde in diesem Jahr, wie bereits 1943, im Hafen Enge statt auf dem heutigen Sechseläutenplatz verbrannt. Vor dem Opernhaus erstreckte sich in dieser Zeit der sogenannten Anbauschlacht ein Ackerfeld, auf dem der Raps bereits ausgesät war.

Zu allem Überdruss stürzte der Kriegsböögg während der Verbrennung in den See. Zünfter der Schiffleuten bargen ihn und warfen den Schneemann zurück auf den Scheiterhaufen. Das Zürcher Publikum brach darüber in «brausendes Gelächter» aus.

8. April 1889: Noch ist der Böögg kein Schneemann.

Auch touristisch liess sich das Sechseläuten vermarkten: Ansichtskarte vor 1910.

21. April 1902: Zum ersten Mal brennt der Böögg auf dem Sechseläutenplatz.

21. April 1969: Arbeiter richten den Böögg auf.

Lesen Sie hier auch unser Interview mit «Zöiftern». Dazu gibts Infos zum diesjährigen Festprogramm.

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