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Reportage

Sicht von der Emil-Klöti-Strasse auf Zürich. Bild: Helena Wehrli

Andenken an den Mann des Ausgleichs

Von: Urs Hardegger

20. Januar 2015

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt in einer Serie jede zweite Woche eine solche Story. Heute: die Emil-Klöti-Strasse.

Majestätisch windet sich die breite Fahrbahn den Käferberg entlang von der ETH Hönggerberg zum Waidspital. Ein herrlicher Rundblick vom Zürichberg bis ins Limmattal breitet sich aus. Benannt ist die Strasse nach Emil ­Klöti (1877–1963). Selbst die NZZ war nach seinem Ableben des Lobes voll: «Eine staatsmännische Persönlichkeit», die dem Land viel gegeben habe und «einer der fähigsten Männer der schweizerischen Sozialdemokratie» sei der langjährige Stadtpräsident gewesen. Die Anerkennung kam von unerwar­teter Seite, denn die gleiche Zeitung hatte nach seiner Wahl zum Stadtpräsidenten am 15. April 1928 noch die grössten Befürchtungen gehegt.

Klöti drängte damals nicht nur den amtierenden Stadtpräsidenten aus dem Amt, im Bündnis mit den Kommunisten eroberten die Sozialdemokraten sowohl im Stadtrat wie auch im Parlament die Mehrheit. Allerdings trat kein radikaler Heisssporn, sondern ein vorsichtiger Mann das höchste Amt im «roten Zürich» an. Nichts überstürzen, sondern Schritt für Schritt vorwärtsschreiten, auch die städtischen Finanzen im Lot behalten, lautete seine ­Devise, nicht zuletzt an die «Stürmis» in den eigenen Reihen gerichtet.

Diese Bedächtigkeit scheint vielen Autofahrern auf der Emil-Klöti-Strasse zu fehlen. Nicht weniger als jeder Sechste blieb im Juni 2013 bei einer Geschwindigkeitskontrolle in der Radarfalle hängen, mancher musste seinen Weg zu Fuss fortsetzen. Anscheinend verführt die breite Strasse mit ihrer Weitsicht manche Autofahrer dazu, zu stark auf das Gaspedal zu drücken.

Regieren im Klima des Hasses

Weitsicht und Gelassenheit brauchte in den 1930er-Jahren ein Stadtpräsident. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise bescherten der Stadt die grösste Rezession aller Zeiten. Vor den Arbeitsämtern bildeten sich lange Schlangen, totalitäre Parteien von links und rechts bedrohten die Demokratie. Antisemitische Anpöbeleien, zahlreiche Gewalttätigkeiten gegen Andersdenkende, aber auch ein gehässiger Umgangston unter den Parteien bestimmten vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs das politische Klima. Um die verhasste rote Regierung zu stürzen, ging der Freisinn zeitweise selbst mit der rechtsradikalen Nationalen Front ein Wahlbündnis ein. In diesen Zeiten der Bedrohung war ein Mann des Ausgleichs gefragt, einer, der die demokratischen Kräfte verband und über die Parteigrenzen hinweg Autorität verkörperte.

Klöti gelang dies. Damit zerstreute er viele Vorurteile gegen die politische Mitwirkung der Arbeiterschaft im Staat. Er erwies sich als hervorragender Verwaltungsjurist, eine grosse Anzahl von Publikationen über kommunalpolitische Themen und Rechtsfragen zeugen davon.

Als einen Mann der Pflicht, «einen ewig Beschäftigten, ewig Einsamen» beschrieb ihn sein Weggefährte Hermann Balsiger. Etwas kleinlaut gestand er anlässlich von Klötis 60. Geburtstag, dass er auch nach 40 Jahren Bekanntschaft nicht viel Persönliches wisse. Er listete stattdessen Klötis Werdegang und seine Verdienste auf: ­Studium der Rechte und der Nationalökonomie, Doktordiplom, Verwal­tungs­sekretär, Stadtrat, Kantonsrat, Nationalrat, Präsident des National­rates, Ehrendoktor der ETH, Stadt­präsident, Ständerat.

Klöti verkörperte geradezu idealtypisch die Eigenschaften, die von einem Schweizer Politiker erwartet wurden: persönliche Autorität ohne Machtanmassung, Repräsentation ohne Pomp, stilles Wirken ohne Selbstdarstellung.

Ehrungen und öffentliche Anerkennungen waren dem bescheidenen Klöti stets etwas unangenehm. Doch mit den zahlreichen Genossenschaftssiedlungen, die in seiner Regierungszeit entstanden sind, hat sich der unermüdliche Schaffer für ein soziales Zürich trotzdem ein bleibendes Denkmal geschaffen.

Quellen: Festschrift zum 60. Geburtstag 1937 und Gedenkschrift 1963. «Neue Zürcher Zeitung», 1. 10. 1963.

Lesen Sie am 4. Februar den Beitrag über die Gessnerallee.

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