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Reportage

Die 25-jährige Nora aus Sedrun ist Primarlehrerin und gibt Kindern im Schulhaus Hirschengraben Romanischunterricht. Mit Niculin liest sie Bücher und unterhält sich mit ihm.

"Romanisch prägt die Eigenheit unseres Landes mit"

Von: Ginger Hebel

24. Februar 2015

Erstmals haben Zürcher Kinder Rätoromanisch sprechender Eltern die Möglichkeit, die Sprache ihrer Mutter oder ihres Vaters in einem Kurs zu vertiefen. Das «Tagblatt» war bei einer Schulstunde dabei.

Mittwochnachmittag im Schulhaus Hirschengraben, die Romanisch-Doppelstunde beginnt in wenigen Minuten. Petra Camathias stürmt mit ihren Töchtern Flurina (4) und Aquina (7) herein. Die Schwestern besuchen hier immer mittwochs den Romanisch-Unterricht. Seit Beginn dieses Schuljahres haben Zürcher Kinder mit rätoromanischen Wurzeln erstmals die Möglichkeit, die Hauptsprache ihrer Mutter oder ihres Vaters zu vertiefen. «Die Kinder lernen Gleichaltrige kennen und können mit ihnen Romanisch sprechen und nicht immer nur mit Mama und Papa zu Hause», sagt Petra Camathias. Sie ist im Vorstand der Vereinigung Quarta Lingua (QL), die sich für die Förderung der rätoromanischen Sprache und Kultur einsetzt. Der Kinderromanischkurs wurde von der QL initiiert und wird von der Dachorganisation Lia Rumantscha mitgetragen.

Im Kurs herrscht kein Schulgroove, das spielerische Lernen steht im Vordergrund; es wird gebastelt, gesungen, gelesen und gelacht. Es sind jeweils drei bis vier Lehrerinnen anwesend, die alle perfekt Romanisch sprechen, doch Romanisch ist nicht gleich Romanisch, es gibt fünf Idiome. Je nachdem, ob man vom Oberengadin, vom Münstertal, vom Domleschg oder von anderen Gebieten stammt, klingt ein Satz komplett anders. «Dadurch verstehen sich die Kinder manchmal nicht, aber sie sind sehr tolerant und offen», sagt Lehrerin Anna Mengiardi aus Ardez im Unterengadin. Lehrerin Nora liest mit Schüler Niculin romanische Kinderbücher, durch die kleine Gruppengrösse von durchschnittlich 10 Kindern kann sie auf jedes einzelne eingehen. Nora hat Wurzeln in Sedrun und ist zweisprachig aufgewachsen. Sie schätzt es, dass sie neben dem Züri-Dialekt auch die Sprache ihrer Mutter spricht, weil sie dadurch eine intensivere Verbundenheit zu Graubünden spürt.

«Die Kultur erhalten und fördern»

Die Mädchen Aquina und Flurina haben keine Hemmungen beim Sprechen. Ihre Mutter Petra Camathias spricht mit ihnen Romanisch, seit sie Babys sind. Sie findet es schön, wenn man sein Sprachwissen an die Kinder weitergeben kann und dadurch eine Kultur weiterlebt. «Eine Muttersprache verliert gegenüber der Schulsprache, aber alles, was man kann oder erlernt, bringt einen weiter», ist sie überzeugt. Das sieht auch ihr Vorstandskollege Kaspar Silberschmidt von der Quarta Lingua so. «Romanisch prägt die Eigenart unseres Landes mit. Wenn Kinder mehrsprachig aufwachsen, ist das auch persönlich von Vorteil. Sie erhalten einen anderen Zugang zur Welt und finden sich darin leichter zurecht.» Er hat das Projekt Kinderromanischkurs von Anfang an begleitet und hofft, dass es Anklang findet und ausgebaut wird. «Die Rumantschia hat ihre eigene Theaterkultur und Musik und mit «Schellenursli» eines der bekanntesten Bilderbücher der Schweiz, diese Kultur gilt es zu erhalten und zu fördern», sagt Silberschmidt.

Die siebenjährige Aquina ist froh, dass sie Romanisch kann. «So weiss ich etwas mehr als andere, und das finde ich cool.» Sie hat Farbstift im Gesicht und sagt auf Sursilvan: Astgel jeu ver il carnet da maligiar, fai aschi bien – darf ich das Malheft haben, bitte. Lehrerin Victoria Mosca gibt es ihr. Die 27-Jährige freut sich über die neue Möglichkeit, Kindern in Zürich Romanisch beizubringen. Sie spricht sowohl fliessend Sursilvan als auch Vallader, träumt und denkt in Romanisch. Obwohl sie in Zürich lebt, spricht sie mit ihren romanischen Freunden ausschliesslich in ihrer Muttersprache. «Wir sprechen mehr in unserer Sprache, als viele denken, wir tun das sehr gerne.» Romanisch gehört zu den gefährdeten Sprachen Europas. Trotz Fördermassnahmen zum Erhalt der Sprache wird sie zunehmend von der deutschen Sprache verdrängt. Doch solange die Rätoromanen gewillt sind, ihre Sprache zu sprechen, solange wird die Sprache leben.

Interessierte Eltern können ihre Kinder zum Romanischkurs anmelden. Ein Eintritt ist jederzeit möglich. Kosten pro Schuljahr: 100 Franken/Kind. Anmeldung und Infos: uffants@rumantsch.ch

Infobox

Rätoromanisch ist seit 1938 eine der vier Nationalsprachen der Schweiz. Es wird in fünf Idiomen gesprochen: Sursilvan (das meistverbreitete Idiom), Sutsilvan, Surmiran, Puter und Vallader. Während die Bevölkerung stetig wächst, sprechen immer weniger Menschen Romanisch. Für 0,5 Prozent der Schweizer Bevölkerung ist Rätoromanisch die Hauptsprache. Rund ein Drittel aller Rätoromanen lebt ausserhalb der Rumantschia, vor allem im deutschsprachigen Unterland, schätzungsweise 2000 bis 2500 von ihnen in Zürich, darunter viele Studierende.

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