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Reportage

Zwei Kursteilnehmerinnen beim Lösen einer Aufgabe. Bild: Bel

Sprache als Wegbereiter

Von: Isabella Seemann

01. November 2016

In Kursen des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks lernen Migrantinnen und anerkannte Flüchtlingsfrauen Deutsch und unser Alphabet.

Ohne Humor und Theatralik läuft in diesem Kurs nichts. Annelise Erhardt steht vor den U-förmig ausgerichteten Pulten, ihr gegenüber neun Frauen. Wenn sie das Adjektiv «gross» vermitteln will, dann breitet sie die Arme aus, beim Verb «essen» führt sie ihre Hand zum Mund. Die Frauen lächeln, jetzt haben alle verstanden. Aufmerksam schauen sie zur Tafel, dann auf ihre Buchstabentabellen und legen eine Bohne auf die Zeichnung. B wie Buch, P wie Paket. Die deutsche Sprache ist diesen Frauen fremd, das Lesen und Schreiben im lateinischen Schriftsystem auch. Einige von ihnen haben nie oder nur kurze Zeit eine Schule besucht und beherrschen auch in ihrer Sprache die Schrift nicht.

Frauen aus aller Welt

Sie stammen aus Afghanistan, Syrien, Eritrea, sind Jesidinnen aus dem Irak, zwischen 20 und 50. Eine junge Frau erwartet ihr erstes Kind, eine andere hat sieben Kinder. Die Gesichter der Frauen erzählen von einem anstrengenden Leben, von Krieg und Flucht, von der Kraftanstrengung, in einem neuen Land Fuss zu fassen. Dreimal pro Woche kommen sie aus dem ganzen Kanton in den Kreis 5 und nehmen für jeweils drei Stunden am Deutsch-Alphabetisierungsunterricht des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks (SAH) Zürich teil, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.

Seit sieben Jahren unterrichtet die Theologin und Erwachsenenbildnerin Annelise Erhardt Flüchtlingsfrauen. Ihre Motivation: «Ich helfe den Frauen, den Schritt in die Schweiz zu machen.» Manchmal findet der Schulunterricht auch auf der Strasse statt. Dann lernen die Schülerinnen, am Automaten ein Billett zu lösen, müssen nach dem Weg fragen und lernen die unzähligen Regeln kennen. Weniger grammatikalische als landesübliche.

So ist Annelise Erhardt auch hin und wieder erste Ansprechpartnerin für Lebensfragen, die mit dem Deutschunterricht nur am Rande zu tun haben. «Ich bin Seelsorgerin geblieben», sagt sie. Die grösste Herausforderung bei ihrem Job: «Nicht zu verhärten ob dem Schicksal der Frauen, geduldig und liebevoll bleiben und das Lernziel vor Augen halten, denn ohne Lesen und Schreiben geht gar nichts.»

Dem stimmt die Klasse von Elsbeth Renggli bei. Die Lehrerin und Ausbilderin FA unterrichtet Modul 4 von insgesamt 5 Modulen des Deutsch-Alphabetisierungskurses. Die zwölf Schülerinnen lernen bereits seit anderthalb Jahren Deutsch, und mit dem Lernerfolg wächst auch ihre Selbstachtung. «Die meisten Frauen möchten arbeiten gehen, das spornt sie zum Lernen an.» Elsbeth Renggli ist auch überzeugt, dass die Lernerfolge der Mütter auch positive Auswirkungen auf das Lernverhalten der Kinder hat.

Podiumsdiskussion «Flüchtlinge als Fachkräfte: Herausforderung und Chance», Dienstag, 22. 11., 17 Uhr, Bildungszentrum Sihlpost, Sihlpostgasse 2, Zürich (Eintritt kostenlos) www.sah-zh.ch

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