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Stadtratskolumne

Daniel Leupi

Über Leichen

Sind Sie auch schon «über Leichen gegangen»? Natürlich nicht (ausser Sie seien von Berufs wegen bei der Rettungssanität oder bei der Kriminalpolizei)! Zwar sagt man noch ab und zu, diese oder jene Person «gehe über Leichen». Doch wer will sich schon vorwerfen lassen, er oder sie sei skrupellos? Trotzdem sind schon mehr Zürcherinnen und Zürcher über Leichen gegangen, als manche bisher vielleicht dachten.

Zurzeit ist die Sanierung der Stras-sen rund um das Stadthaus in vollem Gang. Dabei werden auch die Leitungen erneuert, die unter dem Strassengrund liegen und für unser alltägliches Leben unverzichtbar sind. Klar ist, dass an dieser historisch bedeutsamen Lage, wo bis 1898 das Fraumünsterkloster stand, jeder Graben vom archäologischen Dienst der Stadt untersucht wird.

An einem Mittwoch unterbrach der Stadtrat seine Sitzung kurz, um sich Funde zeigen zu lassen. Im Graben auf dem breiten Trottoir vor dem Stadthaus ragten, kaum siebzig Zentimeter unter dem Asphalt, Knochen aus der Grabenwand, denn hier befand sich mitten im Klosterbereich ein Friedhof. Und in zwei Meter Tiefe lag das vollständig erhaltene Skelett einer dreizehnjährigen Jugendlichen.

So kann man also im wörtlichen – wenn auch keinesfalls im übertragenen! – Sinn sagen, dass der Stadtrat bisher jeden Mittwoch über Leichen ging – oder zumindest über Skelette. Doch das gilt natürlich auch für alle anderen, die im Stadthaus ein und aus gingen: Mitarbeitende und die Kundschaft städtischer Ämter, Medienvertreter und Mitglieder des Gemeinderates, die zu einer Medienorientierung ins Stadthaus kommen, aber auch glückliche Brautpaare und ihre Familien oder Eltern, die voller Stolz und Freude im Stadthaus eine Geburtsanzeige deponieren. So nahe liegen Leben und Tod beieinander. 

Mehr zu den archäeologischen Funde.

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