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Werner Sieg war Lehrer an der Kantonsschule Rämibühl, lang­jähriger Gemeinderat der SP und ist jetzt im Ruhestand

Am Grab von Friedrich Glauser

Von: Werner Sieg

24. Februar 2015

Friedrich Glauser ist einer der wenigen Dichter, die mich nie loslassen, die ich immer wieder lese. Das hat gewiss mit seiner unnachahmlichen Beschreibung der Schweiz vor dem 2. Weltkrieg zu tun, einer Welt der einfachen Menschen, die ich noch aus den mündlichen Schilderungen meiner Eltern gekannt habe. Und selbstverständlich auch mit seinem eigenen Leben. Glauser ist drogenabhängig, bevormundet, sitzt im Irrenhaus, in Gefängnissen, wird administrativ verwahrt, vom eigenen Vater in die Fremdenlegion gebracht. Schliesslich erleidet er am Tag vor seiner Hochzeit einen Hirnschlag und stirbt. Seine Asche wird im Dezember 1938 in Zürich bestattet.

Vor kurzem, an einem nebligen Morgen besuchte ich Glausers Grab auf dem Friedhof Manegg in Wollishofen. Ich tue das alle paar Jahre einmal.1988, ich war gerade neu in den Gemeinderat gekommen, hörte ich, man wolle das Grab von Glauser aufheben. Ich machte daraufhin eine schriftliche Anfrage beim Stadtrat und forderte ihn auf, das Grab weiter bestehen zu lassen. Das geschah dann dank Stadtpräsident Wagner auch. Als ich jetzt vor dem bescheidenen Urnengrab stand, fand ich für mich, leicht sentimental, dies sei etwas vom Gescheiteren gewesen, was ich im Parlament gemacht habe. Und plötzlich wusste ich auch genau, wieso mich Glauser so fasziniert: Sein Herz schlägt primär immer für die kleinen Leute, aber trotzdem hasst er die Grossen nicht. Alle seine Personen – selbst üble Verbrecher und Mörder – haben irgendetwas Positives. «Es war im Leben eben immer ganz ­anders, als man meinte», heisst es im «Wachtmeister Studer», und an einer andern Stelle: «So vieles im Leben ist tragisch und grotesk.» Glausers Bücher sind Bücher gegen Vorurteile – und auch deswegen grosse Literatur.

 

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