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Betrachtungen über die Schweiz
10. Juni 2017Klartext von Jan Strobel, Redaktor
Mein Freund ist Syrer. Er lebt in Latakia. Die Schweiz kennt er bisher lediglich aus meinen Erzählungen und dem Skype-Bildschirm. Neulich berichtete ich ihm über die Kuriositäten des Schweizer Alltags. Zum Beispiel über die Abfallkontrolleure, die sich durch die Container der Stadt wühlen, um Abfallsünder zu ermitteln. Ich erzählte ihm auch vom Mülltrennungs-Fetisch der Schweizer, die selbst den Karton ums Joghurtbecherli noch voller Emphase abtrennen. Oder von den urbanen Städtern, die sich gebrauchte Möbel in die Wohnung stellen, gerne im Bio-Märt Reis Mandel Milch und Chola-Müsli posten und es sich danach in ihren Minergie-Wohnungen gemütlich machen. Ich lachte entschuldigend über die Dekadenz meiner Heimat. Mein Freund, der Syrer, blickte mich fassungslos durch den Bildschirm an. Im Hintergrund waren Maschinengewehr-Salven zu hören. Man beerdigte in Latakia wieder einen Soldaten. «Warum lachst du über die Schweiz?», fragte er schliesslich. «Warum entschuldigst du dich? Es ist grossartig, wie ihr lebt. Ihr Schweizer liebt das Leben, ihr liebt die Menschen und die Welt um euch herum.»
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