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Album

Anselm Burr ist pensionierter Pfarrer.

Blumen am Wegrand

Von: Anselm Burr

05. Januar 2016

Täglich gehen die Frauen des kleinen afrikanischen Dorfes mit ihren Tonkrügen den langen Weg zu einer der wenigen Wasserstellen. Im Dorf selber ist der Brunnen längst versiegt. Auf dem Weg hin und zurück erzählen sie sich lustige und traurige Geschichten. Plötzlich stolpert eine von ihnen. Ihr Krug stösst gegen einen Stein. Zurück bleibt ein hässlicher Riss. Notdürftig umwickelt die Frau ihn mit einem ihrer Tücher, die sie um den Kopf trägt. Sie hat keinen anderen Krug – auch kein Geld, einen neuen zu kaufen. Trotz des notdürftigen Verbands: Beständig tropft Wasser aus dem Krug. Als die Frauen zu Hause ankommen, ist der Krug nur noch halb voll. «Ach», klagt die Unglückliche, «warum war ich nur so unvorsichtig! Aus mir wird wohl nie etwas!»

Drei Wochen später. Wieder sind die Frauen unterwegs zum Fluss, um Wasser zu holen. Der schmale Pfad ist gesäumt von kleinen Blumen, rot, gelb und weiss leuchten sie. «Das waren deine Wassertropfen», lachen die Frauen, «sie haben den staubigen Weg zum Blühen gebracht.»

Heute, am Anfang eines langen Weges durch ein Jahr voller Ungewissheiten, tröstet mich diese kleine Geschichte. Vielleicht verhilft sie auch Ihrem selbstkritischen Zweifel und Ihren Ängsten zu einer neuen Perspektive. In den Tagen der Jahresabschlüsse und Bilanzen will sie uns sagen: Was zählt, ist nicht allein, was wir haben. Es gibt daneben auch den Blick auf die kleinen Blumen, die am Rand der staubigen Wege blühen, die wir gegangen sind.

Ich wünsche Ihnen von Herzen viel Zuversicht für das neue Jahr. Und: Sollten die Risse in Ihrem Krug grösser werden – die Blumen werden es auch!

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