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Album

Christian Messikommer ist Journalist, verheiratet und Vater zweier Töchter.

Bro!

Von: Christian Messikommer

11. Oktober 2022

Messis Welt

Neulich an der Tramhaltestelle Bellevue: Zwei junge Frauen stellen sich neben mich und tratschen über einen Kerl. Ich werde dabei unfreiwillig Zeuge eines Gesprächs, wie es sonst vermutlich nur in Damentoiletten stattfindet. Die beiden sind typische Gen-Z-Vertreterinnen, beide tragen fluffiges Haar mit messerscharfem Mittelscheitel, borstige Augenbrauen, diesen Bella-Hadid-Edelpunk-Look und nennen sich gegenseitig «Bro». Mhm, ist so. Mir ziehts schon die Ohrläppchen in den Gehörgang, wenn ich Kindergärtler höre, die sich gegenseitig «Alter» nennen, beim Bro zwischen Frauen muss ich ein kleines bisschen in meinen Mund erbrechen. Ausserdem haben beide diesen permanent empörten Gesichtsausdruck, den man «Resting Bitch Face» nennt.

Aber zurück zum Gespräch, dessen williger Mithörer ich wurde: Der Kerl, über den sie redeten – Mitschüler? Mitarbeiter? Egal! – macht wohl alles falsch. «Dä gaht sicher nöd i d’Gym», was sogleich mit einem «genau, voll» quittiert wurde. Ausserdem trägt er die falschen Brands und seine Haare, vermuten die beiden, lässt er wohl in einem preisgünstigen Einwanderer-Salon machen. Diesmal ein beipflichtendes «voll, genau». Das Shaming geht weiter: Dass er sie anlächelt, wenn er im Vorbeigehen grüsst, finden beide «voll creepy».

Ich denk mir, die arme Sau, will nur nett sein und wird in die Grusel-Ecke gestellt. Dann folgt der Todesstoss, der endgültige Diss, das härteste Urteil, das diese Generation fällen kann: «Dä hät sicher au am Abig no en volle Akku im Handy.» Mich hats zerrissen. Ich habe geprustet wie ein Wasserbüffel, der in Birchermüesli ertrinkt. Nicht nur die beiden Frauen, auch andere Umstehende haben mich verständnislos angestarrt. Zum Glück hat mich die VBZ mit dem einfahrenden 9er Tram gerettet.

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