Linda Solanki ist Autorin, Kolumnistin und Texterin. Bild: ZVG

Sehnsucht nach einfacheren Zeiten

Manchmal wünsche ich mir, ich wäre in einer anderen Dekade geboren. Bevor es Smartphones und Social Media und die penetrante Zurschaustellung des eigenen Selbst gab. Dass heutzutage auf dem Pausenhof Pornos ausgetauscht werden wie früher Pokémon-Karten, finde ich nämlich genauso besorgniserregend wie die vielen Todesfälle, die aus Selfie-Unfällen resultieren.

Könnte ich wählen, würde ich mich in die 1920er versetzen. Wie gerne würde ich die Roaring Twenties in Paris erleben, mit meinen literarischen Helden in Gertrude Steins Salon an der Rue de Fleurus abhängen, in New York während der Prohibition im Cotton Club zu Jazz tanzen, in einem Ford Model T die 5th Avenue herunterbrettern und als Flapper Girl den Jungs mit der ungehemmten Zurschaustellung meiner Knöchel den Kopf verdrehen. Überhaupt stelle ich mir Dating ohne Tinder & Co. erfrischend unverfälscht und weitaus nachhaltiger vor, weil die Möglichkeit fehlte, mit einem simplen Swipe etwas Besseres zu finden. Vielleicht – man stelle sich das nur vor – sprach man damals sogar miteinander, wenn man sich in einem öffentlichen Raum aufhielt. Teilnahmslos auf den Handyscreen starren konnte man ja dann noch nicht.

Ich hätte sicher eine grandiose Zeit in den 20er-Jahren gehabt. Obwohl mich die soziale Stellung der Frau vermutlich täglich hätte aufschreien lassen. Auch die Abwesenheit der Antibabypille, die erst 1961 auf den Markt kam, fände ich in Sachen freier Bestimmung über meinen Körper eher schwierig. Und wie ich ohne meine Bialetti-Espressokanne – erfunden 1933 – in den Tag gestartet hätte, will man lieber nicht wissen.

Früher war also doch nicht alles besser. Die Inexistenz von Influencern, Likes und sinnentleerten Storys aber schon. Zum Glück gibt es zu jedem Trend einen Gegentrend. Schauen wir darum lieber, was die Zukunft so bringen wird.

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