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Gut zu wissen

Der Fall Max Kleiber veranlasste die Kirchgemeinde Wipkingen, zur Bundesfeier 1917 die Glocken schweigen zu lassen. Bilder: PD

Solidarität mit Leutnant Kleiber

Von: Jan Strobel

27. Juli 2017

Im Sommer 1917 sorgte der Dienstverweigerer Max Kleiber für einen handfesten Skandal. Die reformierte Kirchenpflege Wipkingen beschloss zur Bundesfeier eine Protestaktion.

Während im Juli 1917 Europa im Stahlgewitter des 1. Weltkriegs versank, entschied sich in Zürich Leutnant Max Kleiber, Student an der landwirtschaftlichen Schule der ETH, zu einem in jenen Kriegsjahren geradezu skandalösen Schritt: Der junge Mann verweigerte den weiteren Militärdienst. Das Gemetzel auf den Schlachtfeldern hatte Kleiber, vom religiösen Sozialismus geprägt, zum überzeugten Pazifisten werden lassen.  Das Militärgericht degradierte den Studenten und verurteilte ihn zu einer viermonatigen Gefängnisstrafe. Zudem wurden ihm für ein Jahr die Aktivbürgerrechte entzogen – für damalige Verhältnisse war das ein relativ mildes Urteil.

Richtig brisant und zu einer Causa nationalen Ausmasses wurde die Angelegenheit, als die ETH beschloss, den Dienstverweigerer Kleiber kurzerhand auszuschliessen und zu exmatrikulieren. In der Studentenschaft regte sich massiver Protest gegen diesen akademischen Entscheid, heute würde man von einem «Aufschrei» sprechen. An den Hochschulen bildeten sich «Kleiber-Komitees». Die ETH begründete ihren Entscheid damit, dass ein Dienstverweigerer «vor den Hunderten von Studierenden, die durch Erfüllung ihrer Dienstpflicht ein, zwei oder noch mehr Studienjahre opfern», nicht begünstigt werden könne. Selbst der Bundesrat unterstützte das Vorgehen der Hochschule.

Kleibers Geschichte bewegte auch die reformierte Kirchenpflege Wipkingen. Sie beschloss aus Protest, sich um Patriotismus zu foutieren und die Kirchenglocken zur Bundesfeier demonstrativ schweigen zu lassen. Dieses «unpatriotische Vorgehen» wiederum löste bei Mitgliedern der Kirchgemeinde Empörung aus. Wipkinger sprachen selbst beim Stadtpräsidenten vor, um den Beschluss der Kirchenpflege zu torpedieren und das Läuten der Glocken durchzusetzen. Max Kleiber freilich half das wenig. Er durfte erst 1920 sein Studium fortführen. 1932 folgte er einem Ruf an die University of California und avancierte zum angesehenen Biochemiker.

Max Kleiber als Biochemiker an der University of California. Er starb 1976.

Die Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Wipkingen erinnert mit einer szenischen Lesung an den Fall Kleiber und den Glockenstreit. Dienstag, 1. August, 20 Uhr, reformierte Kirche Wipkingen, Wibichstrasse 43, 8037 Zürich. Eintritt frei.
Weitere Informationen:

www.ref-wipkingen.ch

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