Gut zu wissen
Über die Kunst der stilvollen Zeitverschwendung
Von: Isabella Seemann
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde das Flanieren auch in Zürich zur grossen Mode.
Wer das Flanieren als Kunst betrieb, führte bei seinem Spaziergang noch eine Schildkröte bei sich, um so zu demonstrieren, dass er es ganz und gar nicht eilig hatte. Zunächst ahmte das neu entstandene Bildungsbürgertum beim Spazierengehen den Adel und dessen Promenieren in den Lustgärten nach. Man entfloh der Enge der Häuserschluchten in die vor den Toren der Stadt gelegenen Promenaden im Platzspitz. Hier entstand um 1700 längs den Flussufern Zürichs eine erste Allee zum Promenieren, später ein Park nach französischem Vorbild. Beim Flanieren auf dem «Platz» kreuzten sich die Wege der geistigen Elite und der galanten Gesellschaft. «Ich glaube, dass es wenig solche öffentlichen Spaziergänge giebt», schreibt im Jahr 1784 Sophie von La Roche, die in Begleitung Salomon Gessners hier wandelte: «Unvergesslich ist dieser Spaziergang mir eingedrückt, weil ich da viele von den verehrungswürdigsten Männern von Zürich um meinen edlen Reisegefährten sah, und also zugleich kennen lernte.»
Nach der Schleifung der Stadtbefestigungen entwickelte sich Zürich Mitte des 19. Jahrhunderts von der Fluss- zur Seestadt. Man begann den barocken Schanzenring mit Aussichtsplätzen und -promenaden auszustatten, und entlang des Hirschengrabens entstand der erste Boulevard. Die Stadtgräben entwickelten sich zu reizvollen Grüngürteln − bevor sie im 20. Jahrhundert zu Spülrinnen des Automobilverkehrs wurden. Mit dem Bau der Quaianlagen realisierte die Stadt in einem ebenso kühnen wie kostspieligen Unternehmen eine Promenade um den See herum, die in Reiseführern um 1900 beschrieben wurde als «eine der grossartigsten Uferpromenaden der Erde».
Sind Sie bei Facebook? Werden Sie Fan vom Tagblatt der Stadt Zürich!
Artikel bewerten
Leserkommentare
Keine Kommentare