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Interview

Stadtpräsidentin Corine Mauch sieht die Zukunft Zürichs im positiven Licht. (Bild: Nicolas Y. Aebi)

Aus- und Rückblick mit Stadtpräsidentin Corine Mauch

Von: Christian Saggese und Sacha Beuth

07. Januar 2020

In ihrem traditionellen Rückblick im «Tagblatt» geht Stadtpräsidentin Corine Mauch auf die Sorgen der Leserschaft ein und spricht unter anderem über den Klimaschutz, die Parkplatzproblematik, die Gewaltvorfälle rund um das Seebecken sowie über die ZKB-Seilbahn.  

 

 

Im letzten Jahr gab es viele emotionale Diskussionen in Zürich. Ein Thema, das unsere Leserschaft besonders bewegt hat, ist die geplante Aufhebung des historischen Parkplatzkompromisses. Die Gegner befürchten, dass daraus finanzielle Verluste für das Gewerbe resultieren. Zu Recht?

Corine Mauch: Das hoffe und glaube ich nicht. Der Parkplatzkompromiss in seiner jetzigen Form muss massvoll weiterentwickelt werden. Seit dessen Vereinbarung 1996 haben sich die Anforderungen im Verkehrsbereich deutlich verändert. Die Stadt ist gewachsen, die Bedürfnisse im Mobilitätsbereich haben sich verschoben. Der Öffentliche Verkehr ist gefragt wie nie, und der Anteil des Veloverkehrs hat sich in den letzten Jahren verdoppelt. Zudem gibt es weitere berechtigte Ansprüche auf den beschränkten öffentlichen Raum, beispielsweise für mehr attraktive öffentliche Aufenthaltsräume und mehr Grünflächen. Dem müssen wir gerecht werden. Darum erachten wir die Möglichkeit einer 10-prozentigen Reduktion der Parkplätze  gegenüber dem Stand von 1990 als angemessen. Eine Analyse hat jüngst auch ergeben, dass man sogar samstags in der Regel einen Platz in einem der zahlreichen Parkhäuser der City und der citynahen Gebiete findet.

Die KMU dürften dies anders sehen, zumal ihnen schon der wachsende Onlinehandel das Geschäft erschwert.

Der Detailhandel steht generell massiv unter Druck, nicht nur wegen der Verkehrssituation und wegen des Onlinehandels. Eine ausgewogene Quartierversorgung ist für die Stadt wichtig. Wir verfolgen diese Herausforderungen deshalb intensiv, etwa mit unserer Studie «Handel im Wandel». Gefragt ist heute oft ein besonderes Einkaufserlebnis. Der Kundschaft etwas bieten, was kein Onlineshop kann. Das ist eine der Herausforderungen, welche die Ladeninhaberinnen und Ladeninhaber bewältigen müssen.

Was ist mit den zahlreichen Demonstrationen in der Innenstadt? Diese sollen gemäss Aussagen einiger Ladenbesitzer ebenfalls potenzielle Kundschaft fernhalten. Lässt man in Zürich zu viele Demos zu?

Dies ist für uns sicher ein Thema, insbesondere, da dieses Jahr mit den Klimademos, dem Pride-Jubiläum und dem Frauenstreik überdurchschnittlich viele Demos stattgefunden haben. Diese gingen zwar mehrheitlich sehr friedlich über die Bühne, doch wir nehmen die Sorgen ernst. Das Recht auf freie Meinungsäusserung dürfen wir nicht einschränken. Wichtig ist, dass die Polizei die Möglichkeit hat, ihre bereits sehr gute Arbeit konsequent fortzuführen. Das heisst, vor Ort präsent zu sein und die Sicherheitslage immer aktuell zu beurteilen, um Routen zu finden, die für möglichst wenig Belastung im Alltag sorgen.

Sie haben die Klimademos angesprochen. Welchen Einfluss hatte diese Jugendbewegung auf die Stadtregierung?

Mir persönlich gefällt, wie hartnäckig sich die jungen Leute für dieses wichtige Anliegen einsetzen. Wir waren schon vor dieser Bewegung alles andere als untätig in Sachen Klimaschutz. Bereits 2008 haben sich die Stadtzürcherinnen und Stadtzürcher mit der 2000-Watt-Gesellschaft ein ehrgeiziges Ziel gesetzt; da wurde schon einiges erreicht. Die Klimademos haben unseren Bemühungen weiteren Schub verliehen. Wir haben deswegen auch mehr Ressourcen zur Verbesserung des Klimaschutzes zur Verfügung gestellt. So wollen wir Anreize schaffen, um von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern zu wechseln. Das ist auch bei unserer städtischen Fahrzeugflotte geplant. Auch der Ausbau der Fernwärme ist noch mehr in den Fokus gerückt.

Viele Leser beunruhigt die zumindest gefühlte Gewaltzunahme in Zürich. Explizit erwähnt wird die Gegend um das Seebecken. Hat Zürich ein Gewaltproblem?

Zürich hat kein grundsätzliches Gewaltproblem. Die neuste Bevölkerungsumfrage zeigt beispielsweise, dass das Sicherheitsgefühl der Zürcherinnen und Zürcher gestiegen ist: Knapp neun von zehn fühlen sich nachts in ihrem Quartier sicher oder eher sicher, wenn sie alleine unterwegs sind. Das ist ein hoher Wert. Es stimmt aber, dass wir am Utoquai einige beunruhigende Vorfälle hatten, wo wir mit Sofortmassnahmen reagiert haben. Die Polizeipräsenz wurde erhöht und Videoüberwachung kommt zum Einsatz. Zudem wird vor Ort mit Dialogteams vermehrt Präventionsarbeit betrieben.

Nebst der Gewalt macht auch der Lärm unserer 24-Stunden-Gesellschaft vielen Zürchern zu schaffen. Nun wird dieser mit den mediterranen Wochen, die die Stadt mit ausarbeitete, noch verschärft. Wird das Ausgeh- dem Ruhebedürfnis vorangestellt?

Dem ist nicht so. Hier treffen verschiedene Interessengruppen aufeinander. Diejenigen, die in einer Grossstadt feiern wollen, und diejenigen, die das Recht auf Ruhe einfordern. Beide Anliegen sind legitim. Bei der Langstrasse konnten wir durch die Schaffung des runden Tisches, wo sich Anwohnende und Clubbetreiberinnen und Clubbetreiber regelmässig zum Dialog treffen, die Situation etwas beruhigen. Die mediterranen Wochen sind ein zeitlich beschränkter Test: Während der Sommerferien, wo auch viele weg sind, werden die Ausgangszeiten in einzelnen Nächten verlängert. Wir haben den Auftrag hierzu vom Parlament erhalten.

Dass Hausbesetzungen toleriert werden – und dann meist noch über eine längere Zeit – stösst bei einem Teil unserer Leserschaft ebenfalls sauer auf. Setzt die Stadt damit nicht ein falsches Zeichen?

Unsere Hausbesetzungspolitik verfolgen wir schon lange und erfolgreich. Das heisst, wir tolerieren die Besetzenden, sofern sie eine Vereinbarung mit dem Eigentümer getroffen haben und vertraglich festgehalten ist, wer für die verursachten Kosten, beispielsweise beim Strom und Wasser, aufkommt. Und sie müssen ausziehen, sobald eine Bewilligung für einen Umbau oder einen Abriss des Gebäudes vorliegt. In vielen Fällen läuft alles reibungslos ab, Schwierigkeiten wie einst beim Koch-Areal gibt es kaum. Das war anders in den 80er/90er-Jahren, als eine repressivere Politik verfolgt wurde,  die Polizei besetzte Häuser sofort räumte, die Besetzenden danach wieder einzogen und so weiter. Das war ein richtiges Katz- und Mausspiel. Letztlich unterstützen wir seitens Stadt aber auch die Idee, dass die Eigentümerinnen und Eigentümer ihre leeren Liegenschaften für eine Zwischennutzung zur Verfügung stellen. Damit stellen sie sicher, dass ihr Eigentum nicht besetzt wird.

Das neue Bundesasylzentrum steht in der Kritik. Was ist da schiefgelaufen, was ist der aktuelle Stand?

Ein Bundesasylzentrum mitten im Zentrum, wo sich die Bewohnenden mit der hiesigen Bevölkerung austauschen können und die Kinder die öffentlichen Schulen besuchen, ist ein Pionierprojekt, dem über 70 Prozent der Zürcherinnen und Zürcher zugestimmt haben. Betrieben wird dieses aber vom Bund, genauer vom Staatssekretariat für Migration. Kritik gab es insbesondere wegen der Sicherheitskontrollen beim Einlass, wo eine restriktive Linie gefahren wurde. Dies verleiht den Asylsuchenden nicht das Gefühl, hier willkommen und Teil des Quartiers zu sein. Wir von der Stadt haben es uns auch anders vorgestellt und suchten daher mit dem Bund das Gespräch, um die Situation zu verbessern.

Ein weiteres Projekt mit Umsetzungsproblemen ist das Fussballstadion, das zum vierten Mal zur Abstimmung kommt. Warum haben neue Sportarenen in der Schweiz einen solch schwierigen Stand?
Das finde ich persönlich auch sehr schade. Aber alle haben das Recht, sämtliche demokratischen Wege zu nutzen, um sich für ihre persönliche Meinung einzusetzen. Der funktionierende Rechtsstaat ist etwas sehr Kostbares.

Von allen möglichen Seiten bekämpft wird die ZKB-Seilbahn. Die Stadt hat dieses Projekt schon früh unterstützt. Zu früh?

Nein. Die ZKB kam schon früh auf uns zu, der Stadtrat hat seine im Grundsatz positive Haltung signalisiert. Für die Bewilligung ist aber letztlich der Bund zuständig. Wir haben die Bedingung gestellt, dass das Projekt quartier- und umweltverträglich umgesetzt und nach dem Abbruch das Seeufer aufgewertet wird. Wie es nach dem Baurekursgerichts-Entscheid nun weitergeht, ist offen.

Nach der Pressekonferenz zum Carparkplatz wurde der Stadtrat wegen der minimal geplanten Änderungen von einigen Medien als «mutlos» und «visionslos» bezeichnet. Ihre Reaktion auf diese Vorwürfe?

Man kann es so sehen, wenn man will. Es hiess aber auch, dass es ein Entscheid der Vernunft sei. Ich bin ebenfalls dieser Meinung. Wir müssen nicht jede freie Parzelle im Zentrum verbauen. Auch die nachfolgenden Generationen sind froh um ein solches «Filetstück» im Portfolio der städtischen Liegenschaften und können den Platz nach ihren Bedürfnissen nutzen. Zudem hat die Entwicklung der letzten Jahre gezeigt, dass der Kongressmarkt stagniert und unter den Kongressstädten im nahen Ausland ein starker Verdrängungskampf stattfindet. Und für kleinere und mittlere Kongresse sind wir mit dem neuen Kongresshaus am See sowie dem Circle beim Flughafen bald gut aufgestellt. Abgesehen davon brauchen wir weiterhin ein Carterminal, was auch mit neuen Vorgaben des Bundes zusammenhängt. In der aktuellen Form ist der Carparkplatz aber sehr unbefriedigend, weshalb wir diesen nun instandsetzen. Unser Ziel ist es, mittelfristig einen Ausweichplatz dafür zu finden, beispielsweise in Altstetten oder ausserhalb der Stadt.

Für mehrere Leser unverständlich ist der Umstand, dass der Rosengarten zwar überdacht, die Verkehrsmenge aber nicht reduziert werden soll. Dies widerspricht doch eigentlich der Strategie der Stadt?

Gesamtstädtisch verfolgen wir erfolgreich das Ziel, den Anteil des motorisierten Individualverkehrs zu senken. Doch hier handelt es sich um einen einzelnen Strassenabschnitt. Und um einen sehr wichtigen noch dazu, verbindet die Achse mit Züri-Nord und Züri-West doch zwei starke Wachstumsgebiete. Für diese benötigt es leistungsstarke Tramlinien. Diese sind Teil des Gesamtprojekts und würden ohne den Tunnel nicht realisiert. Dass die Verkehrsmenge plafoniert wird, war eine Bedingung, die wir dem Kanton stellten. Diese Zusicherung haben wir erhalten. Uns ist bewusst, dass das Rosengartenprojekt auch Nachteile mit sich bringt wie die Tunnelportal-Bauten oder die Quartierbelastung während der Arbeiten. Aus Sicht des Stadtrats überwiegen aber die Vorteile.

Anwohner befürchten, dass die Mieten aufgrund der verkehrsberuhigten Situation in dieser privilegierten (Hang)-Lage steigen könnten. Wird die Stadt ein Auge darauf haben?

Wir haben keine rechtliche Handhabe, um in den privaten Immobilienmarkt einzugreifen. Aber wir bemühen uns laufend, Grundstücke, die auf den Markt kommen, zu erwerben. Auch auf diese Weise können wir unsere engagierte Wohnpolitik, die den Ausbau des Angebots an gemeinnützigen Wohnungen vorsieht, weiterführen.

Generell sind hohe Mietpreise ein Dauerärgernis. Müssen die Massnahmen für bezahlbaren Wohnraum intensiviert werden?

Der Stadtrat ist sehr intensiv dran. Das Thema hat bei uns im Stadtrat permanent eine hohe Priorität. Aktuell sind zum Beispiel rund 1000 kommunale Wohnungen in Planung oder im Bau, etwa beim Leutschenbach, am Letzigraben oder im Seefeld. Ziel ist letztlich eine Stadt für alle: vermögende Menschen und Menschen mit kleinem Portemonnaie, Singles und Familien, Jung und Alt.

Das Bevölkerungswachstum bereitet vielen Zürchern ebenfalls Kopfzerbrechen. Bis 2040 soll die Stadt nach eigenen Angaben über 500'000 Einwohner vorweisen. Gefühlt platzt die Stadt aber bereits jetzt aus allen Nähten. Müsste das Wachstum nicht gestoppt werden?


Dieses Wachstum wird von uns verlangt. Die Vorgaben von Bund und Kanton legen fest, dass das künftige Bevölkerungswachstum in den urbanen Gebieten stattfinden soll. Das ist ökologisch nachhaltig, ist für uns aber auch eine räumliche und finanzielle Herausforderung. So schulen wir beispielsweise momentan jährlich über 1000 Kinder zusätzlich ein, wofür auch immer mehr Schulraum benötigt wird. Mit unserer kommunalen Richtplanung, die aktuell vom Gemeinderat behandelt wird, wollen wir das Wachstum weiterhin in eine qualitätsvolle Richtung steuern. Das heisst, Quartierzentren sollen gestärkt werden, es braucht Grünraum wie auch ein vielseitiges Einkaufs- und Ausgangsangebot. Denn letztlich ist es nicht die Dichte, die einen Ort attraktiv oder unattraktiv zum Leben macht, sondern die Art, wie diese umgesetzt ist. Nehmen wir als Beispiel die Altstadt; dort ist die Dichte am höchsten, aber sie wird als sehr qualitätsvoll empfunden.

Das Budget wurde im Gemeinderat behandelt. Wie sehen die Prognosen für 2020 aus?

Normalerweise wird das Budget systembedingt so veranschlagt, dass die Rechnung dann positiver ausfällt als prognostiziert. Die kluge Finanzpolitik der letzten Jahre macht es möglich, dass wir für 2020 bereits bei der Budgetierung optimistisch unterwegs sein können. Wir rechnen – nach den Anpassungen durch den Gemeinderat – mit einem Plus von rund 27 Millionen Franken.

Letzten Sommer sorgten Sie mit Ihrer Aussage für Aufruhr, dass künftig auch Ausländer wählen dürfen sollen. Wie steht es aktuell um diese Pläne?

Ich bin zutiefst überzeugt, dass die Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Ausländerinnen und Ausländer, wie es in der Schweiz bereits über 600 Gemeinden kennen, die Demokratie und den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken würde. Bedenken wir, dass bei der grössten Altersgruppe der Stadt Zürich, den 30- bis 39-Jährigen, fast die Hälfte keinen Schweizer Pass besitzt. Sie zahlen zum Beispiel Steuern, arbeiten hier und schicken ihre Kinder zur Schule, bleiben aber heute von der politischen Mitsprache ausgeschlossen. Der Stadtrat will mit seiner Behördeninitiative erreichen, dass die kantonalen Voraussetzungen geschaffen werden, um dieses Recht einzuführen. Danach kann jede Zürcher Gemeinde für sich entscheiden, ob sie dies will. Über die vorläufige Unterstützung der Initiative durch den Kantonsrat am Montag habe ich mich gefreut.

Was wünschen Sie der Stadt Zürich für das Jahr 2020?

Zürich soll eine Stadt bleiben, in der sich gut leben und arbeiten lässt und die beim Klimaschutz Pionierarbeit leistet. Eine solidarische Stadt, die auch zu den Schwächeren unserer Gesellschaft schaut, eine Stadt, die dynamisch und innovativ ist und den Menschen Perspektiven gibt. Dafür setze ich mich weiter ein.


Was ist Ihre Meinung zum Thema?

echo@tagblattzuerich.ch

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Leserkommentare

Werner Streich - Sehr gutes Interview. Die Aussagen von Frau Mauch kann ich voll unterstützen.

Vor 4 Jahren 3 Monaten  · 
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