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Interview

Konzentration kann man lernen: Verena Steiner. Bild: Reto Oeschger

"Besorgen Sie sich einen Gehörschutz"

Von: Isabella Seemann

04. Februar 2014

Geschwätzige Kollegen im Grossraumbüro, eine tägliche Flut von Mails und der verlockende Ruf der sozialen Medien: Büroarbeiter werden alle paar Minuten unterbrochen und können kaum noch konzentriert arbeiten. Wenn sie einmal abgelenkt sind, dauert es, bis sie wieder bei ihrer ursprünglichen Aufgabe sind. Verena Steiner, promovierte Biochemikerin und Expertin für Lern- und Arbeitsstrategien, hat 1998 an der ETH das Programm «Lernen mit Lust!» entwickelt. Soeben ist im ­Piper-Verlag ihr neustes Buch erschienen: «Konzentration leicht gemacht». Im Gespräch mit dem «Tagblatt» verrät die Autorin das Geheimnis für höchste Konzentration.

Tagblatt der Stadt Zürich: Frau Steiner, Sie schreiben Bücher über wirkungsvolle Methoden zur Konzentration. Hand aufs Herz: Lassen Sie sich auch manchmal ablenken von E-Mails, Social Media und Journa­listenanfragen zum unpassendsten Moment?

Verena Steiner: Wenn ich mich durch diese Dinge ablenken liesse, könnte ich keine Bücher schreiben! Ich liebe es, mich beim Schreiben zu vertiefen, und da lasse ich mich nicht stören. Meine beste Zeit ist der Morgen, und der ist mir heilig. E-Mails checke ich am Nachmittag, wenn der Kopf nicht mehr so frisch ist.

Ist Konzentrationsfähigkeit eine Veranlagung oder kann das jeder er­lernen?

Konzentration ist eine Fertigkeit, die erlernbar ist. Aber natürlich fällt es nicht allen Menschen leicht.

Was sind die schlimmsten Feinde der Konzentration?

Alles, was innere und äussere Un­ruhe bringt. Um uns auf Anspruchsvolles konzentrieren zu können, braucht es Entspannung und Stille. Nichts, das ablenkt.

Ist Konzentration ein Allheilmittel gegen Stress, ein Wundermittel für Erfolg?

Ohne die Fähigkeit zur Konzentration gibt es keinen Erfolg, dies sieht man nicht nur in der Schule, sondern auch bei unseren Tennis-Champions. Um Stress entgegenzuwirken kommt hingegen eher die Achtsamkeit zum Zug.

Was bedeutet Konzentration konkret, auch in Abgrenzung zu Achtsamkeit oder Aufmerksamkeit?

Wenn ich von Konzentration spreche, meine ich die willentliche Lenkung der Aufmerksamkeit auf eine Aufgabe mit der Absicht, diese optimal auszuführen. Um diese Art der Konzentration geht es in meinem Buch. Bei der Achtsamkeit hingegen gilt die Aufmerksamkeit weniger den geistig-mentalen Prozessen. Es geht vielmehr darum, die momentanen Gefühle und die körperliche Befindlichkeit wahrzunehmen. Achtsamkeit hilft, uns zu entspannen oder Stress gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Was ist schlecht daran, wenn man sich dem Multitasking hingibt statt der Konzentration?

Multitasking ist nicht per se schlecht. Denken wir nur an eine Simultanübersetzerin oder einen Fluglotsen in Aktion. Diese Profis müssen auf vieles gleichzeitig achten und sind höchst konzentriert dabei. Am andern Ende der Skala steht der Schüler, der keine Lust auf die Hausaufgaben hat und deshalb multitaskt. Studien zeigen bei solchen Multi­taskern schlechtere Gedächtnisleistungen, sie können weniger gut wichtige von unwichtiger Information unterscheiden. Dazu kommt der vielleicht überraschende Befund, dass übermässige Medienmultitasker weniger rasch von einem Task auf einen anderen wechseln können.

Sind Konzentrationsstörungen ein individuelles oder ein gesellschaft­liches Problem?

Diese Dinge hängen stets zusammen. Wenn wir jedoch Mühe haben, uns zu konzentrieren, hilft es uns nicht, das Ganze als gesellschaft­liches Problem zu sehen. Verbessern können wir unsere Konzentration nur, wenn wir unsere Eigenverantwortung wahrnehmen.

Vielen Leuten fällt es schwer, sich in Grossraumbüros nicht ablenken zu lassen. Aber können gute Mitarbeiter sich nicht auf jeden Fall gut konzentrieren?

Dies ist eine der grossen Illusionen! Wenn es darauf ankommt, zum Beispiel während einer Mathematikprüfung, braucht doch jeder Ruhe. Inmitten von Geschwätz leidet die Konzentration und damit die Qualität der Arbeit. Aus gutem Grund darf in den Universitätsbibliotheken nicht gesprochen werden.

Kann Konzentration zum seelischen Wohlergehen beitragen?

Wenn wir von einer Aufgabe ganz absorbiert sind, können wir den sogenannten Flow erleben: Wir sind im Fluss, vergessen dabei die Zeit und uns selbst, und die Arbeit geht fast mühelos voran. Im Flow gehen unser Tun, unser Denken, Fühlen und Wollen in dieselbe Richtung, und dies empfinden wir als innere Harmonie und als Glücksgefühl.

Ihr Lieblings-Konzentrationstipp?

Besorgen Sie sich einen Gehörschutz (z. B. Pamir) oder als elegantere Variante Ohrstöpsel mit Noise-Cancelling, also Geräuschunterdrückerfunktion (z. B. Bose). Solche Ohrstöpsel sind nicht nur bei der Arbeit, sondern auch im Zug, im Flugzeug oder beim Einkaufen eine Wohltat!

www.explorative.ch

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