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Interview

Die Chronisten des Paaralltags: Sybil Schreiber und Steven Schneider. Bild: Nicolas Y. Aebi

Der Alltag ist ihr Fundus

Von: Isabella Seemann

16. April 2019

Sie sind das öffentlichste und offenste Paar der Schweiz: Sybil Schreiber (55) und Steven Schneider (55) erzählen in der meistgelesenen Paarkolumne «Schreiber vs. Schreiber» seit 20 Jahren von den Konfliktherden in ihrer Beziehung. Beide gehen schriftstellerisch und publizistisch aber auch ihre eigenen Wege.

Erzählen Sie doch mal Ihre Version der Geschichte, wie Sie Ihren Partner kennen gelernt haben?

Sybil Schreiber: An meinem ersten Arbeitstag auf der Redaktion der «Schweizer Familie» fand abends ein Apéro statt. Ich war aufgeregt unter all den neuen Leuten, hielt mich an meinem Glas Weisswein fest. Alle redeten, aber nicht mit mir. Als Neue wurde ich nur beäugt. Bis auf einen, der kam auf mich zu, reichte mir dir Hand und sagte, ich bin der Steven, willkommen auf der Redaktion. Das ist er: direkt und herzlich.
Steven Schneider: Ich war auf Reportage und kam etwas spät an einen Redaktionsanlass in Zürich. In der Runde sass eine Neue. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, da wurde mir von Kindesbeinen an eingebläut, dass man die Leute grüssen muss. Das habe ich getan. Sie schien recht nett.

Wie erkannten Sie, dass es Liebe ist?

Sybil: Wir haben zwei Jahre extrem gut miteinander gearbeitet und geschrieben, ohne uns zu verlieben. Waren einfach ziemlich beste Kollegen. Bis wir dann ein richtiges Paar wurden, dauerte es ein Weilchen. Es war eine Stromschnellenzeit. Sehr turbulent, nicht immer leicht, aber mit Happy End.
Steven: Ich wusste, dass es nicht einfach werden würde, als bei mir aus Freundschaft auf einmal Liebe wurde. Sie, die grosse Blonde aus Deutschland, selbstbewusst; ich, ein klein gewachsener Italo-Schweizer, mit wenig Geld, aber wenigstens Humor. Ich musste mehrere Anläufe nehmen, bis es dann endlich auch bei ihr funkte.

Wer von Ihnen hat zuletzt eine Liebeserklärung gemacht?

Sybil: Ich glaube, da liegen wir beide gut im Rennen. Anerkennung im Alltag ist uns wichtig. Man sollte mit Zuneigung nicht geizen. Im Gegenteil.
Steven: Besser die Liebe leben, als sie in Worte zu fassen. Sybil findet «Ich liebe dich» eh abgedroschen. Origineller sind spontane Zärtlichkeiten, ab und an eine selbstironische Bemerkung, ein lustiger Spruch, ein stiller Blick.

Sie sind beide kommunikativ und reden gern. Hören Sie Ihrem Partner, Ihrer Partnerin, nach über 25 Jahren Bekanntschaft noch gern zu?

Sybil: Und wie! Ich bin nach wie vor neugierig auf ihn. Zum Glück habe ich einen Mann, der viel redet und spannend erzählt. Ich verliebe mich immer wieder in seine Gedanken.
Steven: Wann hat man schon das grosse Glück, einem anderen Menschen so nah zu kommen? Neugier ist ein Antrieb, Fragen stellen lohnt sich. Ich will hören, was sie denkt, fühlt, plant, mag, nervt, glücklich und traurig macht.

Hand aufs Herz: Welchen Anteil an Ihren privaten Gesprächen nimmt Ihre Paarkolumne ein?

Sybil: An unseren Lesungen fragen die Leute manchmal, ob alles, was wir da schreiben, wirklich stimme, ob wir das alles erlebt hätten? Ich sage dann: ja, leider.
Steven: Da meine Frau druckreif streitet, renne ich auch schon mal aus der Küche zum Computer, um den Wortschwall zu notieren. Das entspannt die Situation zwar nicht, aber wenn ich es nicht tue: Diese Sätze kriege ich nie wieder hin.

Sie gehen schriftstellerisch auch eigene Wege. Wie wichtig ist es Ihnen, dass der Partner Anteil an Ihren Projekten nimmt?

Sybil: Sehr. Bei Bedarf lesen wir unsere Texte gegenseitig, kritisieren, inspirieren. Sein neues Buch «Wir Superhelden» habe ich in der Rohfassung in einem Durchgang gelesen. Ich lag mit Grippe im Bett. Mich hat es berührt, wie offen Steven mit Männern in seinem Buch über heikle Themen wie Streit, Sehnsüchte und Scheitern redet. Nach dem Lesen war ich wieder fit.
Steven: Sybils literarisches Debüt mit Kurzgeschichten, «Sophie hat die Gruppe verlassen», hat mich umgehauen. Hammer, wie sie mit wenigen Sätzen ganze Lebensgeschichten spürbar macht! Ich bin ein grosser Fan. Manchmal habe ich das Gefühl, sie sei auch ein Fan von mir: Als ich an meinem Superhelden-Buch arbeitete, hat sie mir den Rücken freigehalten, war da, beobachtete mich, trieb mich an, wenn ich aufgeben wollte.

Etwas Unerwartetes passiert – wer übernimmt die Führung?

Sybil: Als Krisenmanagerin im Alltag bin ich unglaublich gut. Aber wenn ich auf der Bühne vor lauter Spontaneität den Faden verliere, übernimmt er die Sache souverän.
Steven: Sybil ist Deutsche, also ist sie brutal schnell. Ich muss mich sputen, um mitzuhalten.
Sybil: Stimmt, du bist schon etwas langsam und zögerlich.
Steven: Dafür sorgfältiger.
Sybil: Ach, ja? Wie war das, als du Benzin statt Diesel getankt hast?
Steven: Das war nur, weil du so viel geredet hast, dass mir sturm wurde und ich den falschen Zapfhahn erwischte.
Sybil: Soso! Schiebt die Schuld auf mich. Na ja, auf diese Weise entstehen unsere Kolumnen.

Worin ist der Partner ein Vorbild?

Sybil: In seiner Kreativität. Bei meinem Mann ploppen die Ideen wie bei einer Popcornmaschine. Und er ist mutiger als ich. Dank ihm habe ich meine Ängste auf ein erträgliches Minimum reduziert. Er hat wenig Vorurteile, im Gegenteil: Er mag es, wenn jemand anders ist.
Steven: Lustig! Ich finde auch, dass Sybil in sehr vielem mutiger ist als ich und dass ich neben ihr und dank ihr Ängste abbauen konnte und kann. Vor allem aber paart sich bei ihr Lebensfreude und Begeisterungsfähigkeit mit sehr viel Gefühl und Empathie.

Was ist das Mutigste, wozu Ihr Mann/Ihre Frau Sie animiert hat?

Steven: Das Mutigste? Gemeinsam das Leben teilen zu wollen. Mir macht sie jeden Tag Mut. Mut, Ungewöhnliches anzugehen; Mut, das zu sein, was ich bin; Mut, zu mir zu stehen; Mut, ein guter Vater und guter Partner zu sein. Sie macht mir Mut, ein möglichst gutes Leben zu führen.
Sybil: Das hast du schön gesagt. Danke. Für mich kommt noch etwas Kleineres dazu: Er glaubt an mich, mehr als ich. Ohne ihn wäre mein Buch nicht erschienen. Er sagt auch: «Schreib endlich deinen Roman fertig. Du bist gut, du kannst das, mach!»

Was möchten Sie unbedingt noch miteinander erleben?

Sybil: Gemeinsam mit dem Rollator in weiter Ferne auf das Lebensende zu ruckeln, unsere dritten Zähne zu suchen und trotz Hörgeräten die Amseln im Frühling zwitschern zu hören.
Steven: So machen wirs! Ich träume von einer weiteren grossen Familienreise, aber auf jeden Fall will ich noch möglichst oft gemeinsam mit ihr im Rhein treiben, der bei uns vorbeifliesst.

Gut zu wissen: Sybil Schreiber und Steven Schneider

Sybil Schreiber (*1963) wuchs in München auf, besuchte die Schauspielschule in New York, studierte Modedesignerin und arbeitete als Redaktorin bei verschiedenen Schweizer Medien. Heute ist sie als freischaffende Autorin und Kursleiterin tätig. Vor einem Jahr erschien im Zürcher Salis-Verlag ihr Debüt mit Kurzgeschichten: «Sophie hat die Gruppe verlassen».
Steven Schneider (*1964) machte eine Ausbildung zum Lehrer und wanderte nach Oman aus. Nach seiner Rückkehr begann er, als Journalist zu arbeiten, und war für verschiedene Schweizer Medien tätig. Heute ist er freier Autor, Texter und Dozent. Soeben erschien im Zürcher Salis-Verlag sein Buch «Wir Superhelden», in dem er Männer zur Liebe und zum Leben befragt. Steven Schneider stellt «Wir Superhelden» live im Kosmos vor am 14. Mai, um 20 Uhr.
Die Kultkolumnisten: Sybil Schreiber und Steven Schneider schreiben seit 20 Jahren gemeinsam die meistgelesene Paarkolumne des Landes: «Schreiber vs. Schneider» in der «Coop-Zeitung». Sie haben gemeinsam acht Bücher veröffentlicht und touren als «PAARodisten» durch die Schweiz und den süddeutschen Raum. Beide geben zudem Schreib- und Biografiekurse. Sie leben mit ihren zwei Töchtern, zwei Katern und einer Hündin auf dem Land. Früher wohnten sie im Seefeld in Zürich, und noch heute fahren sie möglichst oft in ihre Lieblingsstadt. www.schreiber-schneider.ch

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