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Interview

«Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in welcher der Dienst an der Gemeinschaft eine Selbstverständlichkeit war»: Germaine J. F. Seewer, erste Brigade-Kommandantin der Schweiz. Bild: zvg

«Der Eintritt in die Armee ist für Frauen ein grosser Schritt»

Von: Isabella Seemann

18. Dezember 2018

Mit Brigadier Germaine J.F. Seewer übernahm erstmals eine Frau das Kommando über eine Brigade der Schweizer Armee. Die 54-jährige Walliserin, die an der ETH Zürich Chemie studierte, erzählt, warum sie Frauen zu einer Karriere im Militär ermuntert, welches ihre Führungsprinzipien sind und wie sie Weihnachten feiert.

Sie kommandieren als erste Frau eine Brigade, und zwar eine der grössten der Schweizer Armee, die Führungsunterstützungsbrigade. Wie hört sich das in Ihren Ohren an?

Germaine J.F. Seewer: Einmal ist eine Frau die erste Frau, die ein bislang von Männern geführtes Kommando übernimmt, und die bin nun halt ich. Für mich persönlich ist das nichts Spezielles. Der Bundesrat hat mir diese Funktion übertragen, weil ich die erforderlichen Qualifikationen habe und die nötigen Voraussetzungen erfülle.

Was macht man eigentlich als Erstes, wenn man das Kommando einer Brigade übernimmt?

Ich mache das, was ich bei jeder neuen Funktion machte: Ich passe meine Agenda an, besuche die Einführungen und treffe die neuen Mitarbeiterinnen und Funktionsträger. Die Führungsunterstützungsbrigade 41 ist, vereinfacht gesagt, für die Informations- und Kommunikationstechnologie der Schweizer Armee zuständig. Neu führe ich jetzt als Kommandant zwölf Truppenverbände, also rund 11 000 Armeeangehörige. Darüber hinaus habe ich aber auch andere Verpflichtungen, heute beispielsweise war ich bei einer Wehrmännerentlassung.

Mit welchen Herausforderungen ist die Führungsunterstützungsbrigade 41 konfrontiert?

Seit Beginn des Jahres wird die Weiterentwicklung der Armee WEA umgesetzt, deren Ziel eine kleinere, aber flexiblere und besser ausgerüstete Armee ist. Im Bereich der FU-Brigade hatte die WEA bereits zahlreiche Auswirkungen, und jetzt geht es darum, Erfahrungen zu sammeln und zu analysieren und allfällige Lehren daraus umzusetzen.

Das Motto der Brigade lautet «Macher aus Leidenschaft». Was motiviert Sie zu Höchstleistungen?

Die Brigade trägt grosse Verantwortung und leistet einen wesentlichen Beitrag an das Funktionieren des Gesamtsystems Armee. Sie unterstützt, wie der Name sagt, die Führung, und muss Leistung erbringen, damit andere ihre Leistung überhaupt erst erbringen können. Zu Höchstleistungen bin ich motiviert, wenn ich mit grosser Freude und Leidenschaft an eine Sache herangehen kann, wenn ich Sinn und Zweck in der Aufgabe und ihrem Ziel sehe, wenn ich etwas ausloten, aber auch Neues probieren kann.

Sie führen 50 Mitarbeiter in den Kasernen Bülach und Rümlang und 11 000 Soldaten. Was sind Ihre Führungsgrundsätze?

Wir erbringen gemeinsam eine Leistung, und deshalb beziehe ich meine Mitarbeitenden in die Entscheidungsprozesse ein. Ich tausche mich mit anderen über ihre Erfahrungen und Meinungen aus, doch am Schluss treffe ich die Entscheidung allein, da ich letztlich auch die Verantwortung alleine trage.

Was hat Sie seinerzeit bewogen, nach der Rekrutenschule eine Karriere in der Berufsarmee einzuschlagen?

Ich bin in einer Familie und einer Zeit aufgewachsen, in welcher der Dienst an der Gemeinschaft eine Selbstverständlichkeit war. So entschied ich mich bewusst, als Milizsoldatin in der Armee zu dienen und so einen Beitrag zur Sicherheit meines Landes zu leisten. Der Übertritt von der Miliz ins Korps der Berufsoffiziere erfolgte später aus den gleichen Beweggründen.

Investiert die Schweizer Armee zu wenig in Frauen?

Die Politik gibt die Rahmenbedingungen vor. Artikel 59 der Bundesverfassung hält fest, dass der Militärdienst für Schweizerinnen freiwillig ist. Wir haben in der Armee sehr gute Erfahrungen mit Frauen gemacht. Frauen haben die gleichen Chancen wie Männer, und es steht ihnen jede Funktion offen. Die Messlatte ist für alle gleich gesetzt. Letztendlich ist es eine Entscheidung der einzelnen Frau, ob sie in die Armee eintreten will. Es ist ein grosser Schritt, den sie machen muss, und er erfordert je nach Umfeld auch Mut. Frauen sind noch immer in der Minderheit, und damit muss man umgehen können. Ich zeige regelmässig jungen Frauen auf, welche Möglichkeiten sie in der Armee haben, aber entscheiden muss jede selber.

Dann nutzen Sie die Gelegenheit, drei gute Gründe zu nennen, weshalb Frauen freiwillig Militärdienst machen sollten.

Es sind die Menschen, die die Armee ausmachen. Und kaum irgendwo sonst begegnet man so vielen unterschiedlichen Menschen aus allen Schichten und aus allen Ecken der Schweiz. Zudem sind die Funktionen und Einsatzmöglichkeiten im Militär breit gefächert. Man kann in jungen Jahren Führungserfahrung und Verantwortung übernehmen wie kaum anderswo, und davon profitiert man auch bei der beruflichen Karriere. Und schliesslich einer der wichtigsten Punkte: Man ist Teil eines riesigen Netzwerkes, auf das man immer zurückgreifen kann.

Teilen Sie bitte eine starke Erinnerung mit uns, eine Geschichte aus dem Militär, die Sie immer wieder gerne erzählen.

Das sind unendlich viele. Ich zitiere gerne den Schriftsteller Anton Kner: «Unser Leben ist die Geschichte unserer Begegnungen.» Ich bin so vielen interessanten Menschen begegnet, hier in der Schweiz, aber auch in Kosovo oder als Militärbeobachterin in Äthiopien und Eritrea. Der Austausch mit einem jungen Offiziersaspiranten auf dem 100-Kilometer-Marsch gehört genauso dazu wie der Austausch mit Soldaten aus anderen Nationen.

Welche Entwicklungen in der Schweiz bereiten Ihnen Sorge?

Wenn man im Bereich Sicherheit arbeitet, ist man bei den Themen Terror, Folgen der Migration und des Klimawandels sicherlich besonders alert.

Mit welcher Persönlichkeit der Militärgeschichte würden Sie gerne bei einem Glas Wein debattieren?

Guillaume Henri Dufour hätte ich sehr gerne kennen gelernt. Er war eine ungemein vielseitige Persönlichkeit: Schweizer General, Geisteswissenschaftler und Physiker, Ingenieur, Kartograf, Politiker, Humanist und Mitbegründer des Internationalen Roten Kreuzes. Er war ein Visionär, er blieb nie stehen. Mit ihm gäbe es so viel zu besprechen, da würde ich gerne noch ein zweites Glas trinken, oder ich würde ihn mitnehmen auf eine lange Wanderung.

In wenigen Tagen ist Weihnachten. Worauf freuen Sie sich am meisten, und wie begehen Sie die Festtage?

Ich freue mich auf die freien Tage mit meiner Familie im Wallis. Zu Weihnachten hole ich die alten Familienrezepte heraus und werde ein Dessert zubereiten, eine traditionelle Bûche de Noël. Und dann werde ich sicher in die Höhe gehen, und je nach Wetter die Wanderschuhe oder die Tourenski mit den Fellen montieren. Da kann ich abschalten und auftanken.

Zur Person

Germaine J. F. Seewer, geboren am 12.4.1964, wuchs in Leuk im Kanton Wallis auf, studierte an der ETH Zürich Chemie und doktorierte am Institut für Nutztierwissenschaften. Die Rekrutenschule absolvierte sie als Radarsoldat. Vor 20 Jahren trat sie als Fachlehrer in das Eidg. Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) ein. 2013 wurde sie Chefin Personelles der Armee. Seit 1. Juli 2018 ist sie Kommandant Führungsunterstützungsbrigade 41, also der Brigade der Informations- und Kommunikationstechnologie der Schweizer Armee. Brigadier Seewer ist verantwortlich für die Führung, Aus- und Weiterbildung der Stäbe und Truppen.

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