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Interview

"Der Klang des Babynamens soll lieblich sein"

Von: Clarissa Rohrbach

17. Juni 2014

Das Verzeichnis der beliebtesten Babynamen ist soeben erschienen. Das «Tagblatt» wollte mehr über Namensgebung wissen und hat bei der Linguistin Simone Berchtold nachgefragt.

Tagblatt der Stadt Zürich: Frau Berchtold, die Zürcher haben letztes Jahr ihren Kindern am häufigsten die Vornamen Anna und David gegeben. Was bedeuten diese Namen?

Simone Berchtold: Anna kommt vom hebräischen Hannah. Der Name der Grossmutter Jesu Christi steht für «Liebreiz», «Anmut» und «Gnade». Auch David hat biblische Wurzeln und bedeutet «Liebling» oder «Vatersbruder». Solche religiösen Namen eroberten den deutschsprachigen Raum erst im Verlauf des 15. Jahrhunderts. Vorher benannte man die Kinder nach germanischer Tradition Mechthilde, Hildegard oder Wolfgang.

Schauen die Eltern bei der Namenswahl auf solche Bedeutungen?

Kaum. Vor allem biblische Referenzen haben heute keinen grossen Stellenwert mehr. Eltern möchten vor allem Positives mit dem Namen ihres Kindes assoziieren. Er soll nicht an unangenehme Personen erinnern, wie zum Beispiel Adolf. Am wichtigsten ist aber der Klang, dieser soll lieblich sein. Und der Name soll eher kurz sein, auch das wird als schön empfunden.

Die meisten Namen beginnen mit L, M und A, zwei stimmhafte Konsonanten und ein offener Vokal. Versinnbildlichen diese Laute auch die zärtliche Elternliebe?

Ja, sonore Konsonanten wie L, M und N werden als weich empfunden und passen deswegen zu einem Baby. Fast alle Mädchennamen beinhalten diese Buchstaben. Aber auch Knaben­namen klingen immer öfter so, denken Sie nur an Roger Federers Zwillinge Leon und Lenny. Allgemein bemerke ich einen Trend zur Androgynisierung. Die männlichen und weiblichen Namen klingen immer ähnlicher und sind gleich kurz. Manchmal ist es schwer, sie zu unterscheiden.

Ein Ritter, der im Mittelalter Lenny geheissen hätte, wäre wohl die Lachnummer der ganzen Herrschaft gewesen. Wie hat sich die Namensgebung den gesellschaftlichen Veränderungen angepasst?

Früher sah die Gesellschaft in einem Kind einen zukünftigen Erwachsenen, entsprechend waren auch die Namen. Das Kindsein hatte keinen Eigenwert. Natürlich wurden früher im Alltag auch Kurzformen verwendet, eine Gertrud wurde zu einer Trudi. Diese Kurzformen wurden aber lange nicht als offizielle Taufnamen vergeben. Heute zelebrieren wir die Kinder, sie stehen für Glück und Selbstverwirklichung. Diese Auffassung der Kindlichkeit wird am besten mit weichen und kurzen Namen wiedergegeben.

Es gibt so viele Namen wie noch nie. Verdanken wir das dem Kult des Individualismus?

Individualisierung war noch nie so wichtig wie heute: Das Kind soll etwas Spezielles sein. Viele Namen wurden letztes Jahr in Zürich nur einmal vergeben, das wäre früher nie passiert. Die Redewendung «Hinz und Kunz» kommt von Heinrich und Konrad, diese Namen waren vor einigen Jahrhunderten so beliebt, dass jeder Zweite so hiess. Heraus­stechen war da noch nicht so wichtig.

Die Söhne hiessen früher wie ihre Väter, sie waren so quasi eine Kopie des Familienoberhaupts.

Genau. Die Nachbenennung des ältesten Sohnes nach dem Vater war bis ins 16., 17. Jahrhundert die Regel. Es gibt noch Beispiele solcher Stammhalter bis ins letzte Jahrhundert. Nach dem Zweiten Weltkrieg verliert diese Tradition dann völlig an Bedeutung.

Der beliebteste Zweitname ist Maria. Könnten die Eltern dieser Kinder Secondos sein, die ihrer italienischen Herkunft Tribut zollen?

Das wäre denkbar. Während der erste Name individualisieren soll, ist der zweite dann eher traditionell. Oft ist er eine Hommage an die Grosseltern und lässt somit noch Platz für die Familiengeschichte.

Geben Ausländer ihren Kindern eher ausländische Namen?

Vermutlich geben sie dem Kind einen Namen in ihrer Muttersprache, um ihrer Heimatkultur nahezubleiben.

Paris Hilton hat den Vornamen einer Stadt. Können hiesige Eltern ihre Kinder auch Zürich nennen?

Grundsätzlich ist die Namenswahl in der Schweiz frei, doch Ortsnamen akzeptiert der Zivilstandsbeamte nicht. Auch ein Name, der zum anderen Geschlecht gehört, geht nicht. Im Zentrum steht immer das Wohl des Kindes, es darf unter dem Namen nicht leiden.

Gibt es typische Zürcher Namen?

Eher typisch schweizerische wie Regula, Reto, Jürg, Urs oder Beat. Mit der Globalisierung vermischen sich die regionalen Differenzen aber immer mehr. Im 18. Jahrhundert konnte man noch sagen, dass ein Gustav ein Angehöriger des Bürgertums ist.

Weil der Heilige Meinrad von Einsiedeln vor einigen Jahrhunderten besonders hip war, wurden auch Kinder so getauft. Heissen heute die Kinder wie die Promis?

Die Wichtigkeit der Medien bei der Namensgebung wird überschätzt. Nach dem Film «Kevin – Allein zu Hause» gab es zwar in den 90ern mehr Kevins. Aber ich bezweifle, dass es jetzt viele Rihannas und Mileys geben wird. 

Wie heissen die Zürcher Neugeborene dieses Jahr? Schauen Sie sich die Züri-Babys an.

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