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Interview

Hochseeschiffe auf dem Zürichsee: Historiker Andreas Teuscher hat diese Fotomontage aus den 30er-Jahren in den Archiven gefunden.Bilder:ZVG

"Die Schiffe hätten uns mit der Welt vernetzt"

Von: Clarissa Rohrbach

06. Mai 2014

Zürich als Hafenstadt, reiner Humbug, meinen die Gegner des Hafenkrans. Dabei war der Gedanke, dass die Stadt ans Meer angeschlossen sein könnte, lange Zeit überhaupt nicht abwegig. Historiker Andreas Teuscher erzählt in seinem Buch «Schweiz am Meer» über die Hafenpläne für Zürich.

Tagblatt der Stadt Zürich: Herr Teuscher, mit dem Schiff von hier ans Meer, dafür gab es in den 1910er-Jahren konkrete Pläne. Wo wären die Zürcher auf dem Wasser überall hingelangt?

Andreas Teuscher: An die Nordsee, ans Schwarze Meer und auch ans Mittelmeer. Entweder nach Marseille durch den Transhelvetischen Kanal oder nach Genua durch den Transalpinen Kanal. Nachdem zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Rheinhafen in Basel gebaut worden war, plante die Schweiz auch einen Hafen in Zürich.

Damals war es also selbstverständlich, dass Zürich einen Hafen braucht.

Genau. Die Zürcher befürchteten, dass die internationalen Routen der Schifffahrt an Zürich vorbeiführen könnten. Deswegen musste unbedingt ein Hafen her. Die Regierung reservierte Land dafür, verschob die Brückenplanung und schrieb Architekturwettbewerbe aus. Es gibt alte Stadtkarten des Tiefbauamts, auf denen ein Hafen entweder in Altstetten, in Schlieren oder in Oerlikon eingezeichnet ist. In den 30er-Jahren sollten dann die Schiffe mit grosser Tonnage auf den Zürichsee gelangen: Dort, wo heute der Hafenkran steht, hätte ein Kraftwerk mit Schleuse die Schifffahrt durch die tiefer gegrabene Limmat ermöglicht. Das war die Zeit der grossen Bauten und grossen Visionen, grosse Schiffe auf dem See hätten das Stadtbild aufgewertet, das Baden war unwichtig.

Wieso waren die Schweizer so sehr auf die Schifffahrt fixiert?

Mit dem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum befürchtete man, dass die Eisenbahn zum Transport von Gütern und Personen nicht reicht. Vor allem während der Weltkriege kam es zu Versorgungsengpässen. Die Diskussion um die Was­serwege zog sich bis in die 90er-Jahre weiter, bis der Bund zum Schluss kam, dass es sich nicht mehr lohnt. Abwegig war die Idee aber keinesfalls: Die SBB stossen heute an ihre Grenzen.

Zwei grosse europäische Ströme, Rhone und Rhein, entspringen der Schweiz. Hatte das einen Einfluss auf die maritimen Träume?

Sicher. Wieso sollte die Wasserscheide Europas nicht auch dessen Zentralhafen sein? Die Befürworter sahen die Schweiz als offenes Transitland, welches ganz ­Europa verbindet. Die Schiffe hätten uns mit der Welt vernetzt, die verschiedensten Völker hätten sich auf dem Transhelvetischen Kanal zugewinkt.

Mit einem Hafen in Zürich wollte man auch die Wirtschaft ankurbeln. Wären wir heute ein kleines Hamburg?

Kaum. Die Schwerindustrie wäre vielleicht stärker geworden. Und heute gäbe es wohl ein paar Industriebranchen mehr.

Mögen Sie den Hafenkran?

Ich bin ein Freund des Hafenkrans.

Zu «Schweiz am Meer» eröffnet am Freitag um 18 Uhr im Kulturhaus Helferei eine Ausstellung. Dazu findet ein Stadtgespräch statt (www.kulturhaus-helferei.ch)

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