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Interview

Die Mode von Ida Gut trägt eine klare Handschrift: echtes Schneiderhandwerk in schnörkelloser Ästhetik. (Bild: PD)

«Eine verrückte Geschichte»

Von: Reinhold Hönle

23. Dezember 2020

Die Zürcher Modedesignerin Ida Gut (56) wird vom Bundesamt für Kultur mit dem Grand Prix Design 2020 ausgezeichnet. Form und Funktion sind bei ihr eine Einheit. 

Mit Ida Gut wird erstmals seit elf Jahren wieder einer Persönlichkeit aus der Modebranche der renommierte Grand Prix Design verliehen. Dieser ist mit 40 000 Franken dotiert. Ida Gut wuchs in Niederglatt auf, lernte Schneiderin und studierte in Zürich in der Modefachklasse der heutigen Hochschule der Künste Modedesign. Nach dem Gewinn des Prix Bolero Newcomer Awards 1993 brachte sie ihre erste Kollektion auf den Markt und eröffnete im Kreis 4 ihr erstes Geschäft. Seit 2007 entwirft und verkauft sie ihre Kleidung mit ihrem Team von sechs Mitarbeiterinnen in einem Atelierladen am Helvetiaplatz. Ida Gut entwickelte früh eine eigenständige, moderne stilistische Handschrift und legt grossen Wert auf innovative Stoffe, die schön, funktionell, dauerhaft und praktisch sind. Das trug ihr auch Grossaufträge für Arbeitsbekleidung von Migros, Swissair und Swissôtel ein. Ihr bekanntestes Accessoire ist die für den Schweizer Pavillon an der EXPO 2000 in Hannover entworfene Mütze, ihr «Casquettli».

Wie lange haben Sie heute Morgen vor dem Kleiderschrank gestanden und überlegt, was Sie anziehen sollen?

Ida Gut (lacht): Ich musste nicht überlegen. Ich wusste schon, was ich anziehe. Es lag schon parat. Ich muss auch sonst nicht lange überlegen, denn ich habe keinen grossen Kleiderschrank.

Nach welchen Kriterien hatten Sie Ihre Wahl getroffen?

Wir haben nachher eine Verwaltungsratssitzung. Die läuft per Zoom. Man wird also nur einen Teil von mir sehen. Ein reduziertes Outfit hätte daher gereicht, aber ich habe mich trotzdem so angezogen, wie ich an einer Teamsitzung erscheinen würde.

Und das heisst?

Meine momentane Lieblingshose, meine momentanen Lieblingsschuhe, ein ganz einfaches Shirt und meine momentane Lieblingsjacke mit meinem momentanen Lieblingsmantel drüber.

Sind das alles Eigenkreationen?
Ja, ausser die Schuhe und das Shirt. Und die Unterwäsche (lacht).

Tragen Sie in der Öffentlichkeit immer Eigenkreationen?

Meistens. Es macht auch Sinn, denn dann kann ich wertvolle Erfahrungen sammeln und weiss im Verkaufsgespräch, wovon ich rede.

Was ist für Sie «gutes Design»?

Eine gute Gestaltung ist, wenn sie die Aufgabe noch besser erfüllt, als man von ihr erwartet hat.
Viele Menschen verstehen unter Design nur die äussere Erscheinung ... Nein, nein, nein!

Sie sind anderer Meinung.

Das Äussere ist ein Faktor. Ein Kleidungsstück ist jedoch nicht nur eine äussere Hülle. Es hat auch eine Aufgabe.

Was bedeutet das für den Entstehungsprozess? Wie gehen Sie vor, wenn Sie etwas Neues entwerfen?

Das ist ein komplexer Vorgang. Am Anfang steht eine Ahnung von einer Lösung, von einer Form, von einem Traggefühl. Ich weiss aber noch nicht, wie das Kleidungsstück zum Schluss aussehen wird. Es setzt sich erst im Laufe der Arbeit immer mehr zusammen und verdichtet sich. Wir experimentieren mit dem Material, dem Schnitt, der Aussage. Anprobieren, verändern, schleifen.

Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung mit dem Grand Prix Design?

Es ist nicht so, dass ich darauf warte, einen Preis zu bekommen oder ein Kompliment, aber der Grand Prix Design freut mich und eröffnet mir neue Möglichkeiten. Mit dem Preisgeld kann ich mir eine CAD-Anlage zur selbständigen Bewirtschaftung unserer Daten kaufen sowie einen Plotter mit 1,60 Meter Breite, um unsere Schnittmuster auszudrucken. Dies und der Umstand, dass wir im Tessin und nicht in Asien produzieren lassen, ermöglicht es uns, noch viel schneller Modifikationen vorzunehmen oder auf Marktströmungen zu reagieren.

Aus der Zukunft zurück in Ihre Jugend: Was haben Sie als Teenager getragen?

Ich kann mich an eine relativ lange Phase mit Herrengilet und Herrenkittel erinnern. Es gab auch eine farbige, experimentelle Zeit: quitschgrüner Pulli und purplefarbige Keilhose. Ich habe viel ausprobiert, lange secondhand. «Barbar» war ein Laden, den ich super fand.

Viele Menschen finden ihre Kleidung auf alten Fotos peinlich. Sie auch?

Es ist ganz unterschiedlich. Es gibt Teile, wo ich mich heute noch wohlfühle, wenn ich mich drin sehe, und andere, in denen ich mich kaum wiedererkenne. Ich bin jedoch niemand, der viel in den Spiegel schaut und sich überlegt, wie sie aussieht. Dafür sorgt schon meine Kurzsichtigkeit. Ich habe neun Dioptrien. Ich bin ein Maulwurf! Glücklicherweise gibt’s Kontaktlinsen (lacht).

Was war Ihre grösste Modesünde?

Mein Konfirmationsoutfit.

Aber das haben Sie vermutlich nicht selber ausgesucht ...

Doch, doch. Durfte ich. Ein blau­es, ausgestelltes Kleid aus Viskose mit weissen «Streublüemli» drauf. Scheusslich! Mit 16 war ich noch sehr unsicher, mitten in der Selbstfindung. Ausserdem waren die Achtzigerjahre nicht gerade die ästhetischste Modedekade.

Haben Sie damals davon geträumt, eine Schweizer Coco Chanel oder Vivienne Westwood zu werden?

Es hat immer Sachen gegeben, die mir gefallen haben, aber ich habe nie Vorbildern nachgeeifert und in dem Alter sicher nicht gedacht, dass ich mich einmal selbständig machen würde.

Weshalb haben Sie sich für eine Schneiderlehre entschieden?

Ich habe vier ältere Geschwister und wollte nicht das Gleiche machen wie sie, sondern meinen eigenen Weg finden. Handwerk war noch frei und gleichzeitig positiv besetzt durch die Mutter und meine Grossmütter.

Auf welche Art?

Beide Grossmütter haben genäht. Die eine, die ich noch gekannt habe, konnte eine Lehre als Näherin machen, und die andere war Weissnäherin. Meine Mutter hat gerne genäht, wenn sie mit fünf Kindern einmal Zeit dafür fand. Ich weiss nicht, ob ich handwerklich speziell talentiert bin, aber ich liebe die Herausforderung, in meinen Kleidungsstücken künstlerische und praktische Ideen unter einen Hut zu bekommen.

Zum ersten Mal international für Furore gesorgt haben Sie bei der EXPO 2000 in Hannover. Wie kamen Sie zu diesem Auftrag?

Ich habe mich nicht darum beworben. Peter Zumthor fragte mich, ­ob ich die Kleider für etwa 500 Gastronomiemitarbeitende, Guides und Musiker im Schweizer Pavillon entwerfen möchte. Ich hatte ein gutes Grundgefühl und gab mein Bestes. Unabhängig davon, wurde ich von der Swissair eingeladen,
ein Bekleidungskonzept für ihre 20 000 Mitarbeitenden zu ent­wickeln. Ich stand dabei als Ein­zelfirma in Konkurrenz zu Unternehmen mit klangvollen Namen wie Akris, Givenchy und Ted ­Lapidus und habe die Blindpräsentation gewonnen. Eine verrückte Geschichte! Leider auch die Tatsache, dass es nicht mehr in Serie ging.

Wie weit war die Umsetzung schon gediehen?

Das Personal war gerade dabei, mit den Prototypen erste Flugerfahrungen zu sammeln, als es zum Grounding der Swissair kam.

Was ist aus diesen Prototypen geworden?

Die hängen jetzt einfach in meinem Keller …

Wie hat Ihre Firma diesen Crash überlebt?

Obwohl wir komplett unschuldig waren, dachte ich nach diesem ökonomischen und moralischen Tiefschlag, dass wir wohl nie mehr einen Auftrag in dieser Grössenordnung bekommen würden. Anderthalb Jahre später bat mich jedoch eine Werbeagentur um ein Konzept für die 40 000 Migros-Mitarbeitenden. Die ehemalige Swissair-Verantwortliche wurde Projektleiterin. Wir waren hochmotiviert, den Pitch zu gewinnen. Inzwischen trägt ihre Belegschaft bereits unseren Reload.

Wegen Corona musste die Verleihung des Grand Prix Design mehrfach verschoben werden. Wie beeinflusst das Virus Ihre Arbeit?

Der Laden selbst läuft relativ normal, wenn wir ihn offen haben dürfen. Die Produktion ist jedoch ins Stocken geraten, weil im Tessin oder bei den Zulieferern Personal ausfällt. Corona hat aber auch am Design meiner nächsten Kollektion Spuren hinterlassen. Die Kragen reichen so hoch hinauf, dass sie das Gesicht teilweise abdecken.

Hygienemasken haben Sie keine entworfen?

Nein, das hat etwas mit der Materialbeschaffung zu tun, da für mich nur eine Maske in Frage käme, die nicht nur ästhetisch ist, sondern auch antiviral. Die Hersteller sind momentan aber nur an grossvolumigen Aufträgen interessiert. Um eine solche Menge absetzen zu können, bräuchte man jedoch ein anderes Vertriebssystem als das unsrige.

Wer kann und soll sich Ihre Mode leisten können?

Wir kommen nicht von der HSG. Und wir machen keine Marktanalysen. Natürlich überlegen wir uns auch, wie wir unsere Kundschaft erreichen können, aber wir stecken unsere Energie vor allem in unsere Produkte. Erfreulicherweise haben wir die Erfahrung gemacht, dass sie die Menschen finden, die eine Form von Individualität in der Kleidung schätzen, die sich in der anderen Konstruktion und im anderen Umgang mit den Materialien, der Linienführung und dem Volumen ausdrückt.

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