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Interview

Die administrativen Aufgaben von Praxisärzten nehmen oft viel Zeit in Anspruch, die meist zu Lasten der Patienten geht. Bild: AdobeStock

«Es braucht mehr Hausärzte»

Von: Sacha Beuth

17. Januar 2023

Seit dem 1. Januar 2023 ist Tobias Burkhardt Präsident der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich. In dieser Funktion will der 51-Jährige dafür sorgen, dass seine Mitglieder zeitgemässe Tarife erheben können und administrativ entlastet werden, ohne dass dies zu einer allgemeinen Kostensteigerung führt oder die Quantität und Qualität der medizinischen Versorgung der Bevölkerung reduziert wird.

Eine Ihrer Aufgaben besteht darin, für Ihre Mitglieder adäquate Rahmenbedingungen zur Ausübung des Arztberufs zu schaffen. Wo besteht in dieser Beziehung aktuell der dringendste Handlungsbedarf?

Tobias Burkhardt: Einerseits in der Erhöhung des Tarifs. Wir haben uns dafür starkgemacht, dass der Taxpunkt von Tarmed (Regelwerk, das festhält, wie viele Punkte pro medizinischer Dienstleistung verrechnet werden dürfen, die Red.) von 89 auf 91 Rappen angehoben wird. Leider ist dies noch nicht in Kraft, da die Krankenkassen den diesbezüglichen Entscheid des Regierungsrates vors Bundesverwaltungsgericht gezogen haben, wo er hängig ist.

Wieso ist diese Erhöhung nötig?

Die Erhöhung ist nötig, weil im Kanton Zürich die Führung einer Arztpraxis unter anderem wegen der gestiegenen Raum- und Personalkosten heute wesentlich teurer als noch vor 15 Jahren ist. Trotzdem ist der Taxpunktwert, der das Einkommen der Praxisinhaber bestimmt, immer mehr gesunken. Während in allen anderen Branchen die Zürcher Einkommen am höchsten sind, sind die Einkommen der Zürcher Ärzte nur noch Mittelmass. Das ist ein Standortnachteil und ein Grund dafür, dass viele Praxen geschlossen oder an Grosspraxen oder Ketten verkauft werden mussten. Wir Ärzte haben unsere Hausaufgaben gelöst, haben rationalisiert, wo es möglich ist. Wir wollen aber auch eine ordentliche Medizin betreiben können. Daher braucht es jetzt eine Erhöhung der Arzteinkommen, damit es sich für Ärzte noch lohnt, Praxen zu führen, in denen sie die Patienten gut betreuen können. Daneben stehen noch zwei weitere Sorgenkinder in unserem Fokus.

Die da wären?

Wir müssen für Frauen bessere Arbeitsbedingungen schaffen. Inzwischen sind über 60 Prozent der Medizin-Studierenden Frauen. Viele wollen Teilzeit arbeiten, um Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bringen. Darum müssen wir uns dafür einsetzen, dass beispielsweise mehr Krippenplätze geschaffen werden. Und wir müssen dafür sorgen, dass wir wieder mehr Medizinische Praxisassistenten haben und diese in den Praxen bleiben. Etwa, indem sie mehr Kompetenzen bei der Beratung erhalten und ihre Leistungen auch abrechnen dürfen. Wenn wir in diesen Bereichen Verbesserungen schaffen und die Arbeit attraktiver machen, reduziert sich auch das Problem des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen.

Auf was ist dieser sonst noch zurückzuführen?

Auf den Mangel an Ausbildungsplätzen, die zunehmende Spezialisierung, das gestiegene Bedürfnis nach Teilzeitarbeit und die verschärften Zulassungsbedingungen. Weil sich immer mehr Ärzte auf ein bestimmtes Teilgebiet spezialisieren, braucht es automatisch mehr Ärzte. Der Wunsch nach Teilzeitarbeit führt wiederum dazu, dass eine Praxis, in der zuvor ein Arzt in einem 100-Prozent-Pensum arbeitete, nun mindestens zwei Teilzeitärzte benötigt, um das gleiche Pensum zu erfüllen, sprich die gleiche Menge an Patienten zu behandeln. Damit wir diesen Bedarf decken können, müssen wir einerseits viel mehr Studienplätze für Medizinstudenten schaffen und andererseits den Zuzug aus dem Ausland erhöhen, indem die Zulassungsbedingungen aufgeweicht werden. Seit dem 1.1.2022 muss ein ausländischer Arzt mindestens drei Jahre in der Schweiz gearbeitet haben, bis er eine Praxis eines in Pension gehenden Arztes übernehmen darf. Diese Regelung müsste man zumindest in Bereichen, bei denen akuter Mangel herrscht wie bei Hausärzten, Kinderärzten sowie Kinder- und Jugendpsychiatern, aufheben.

Nicht nur im Kanton Zürich haben Ärzte immer mehr administrative Aufgaben zu erfüllen, statt sich auf ihre Kernkompetenz konzentrieren zu können. Wie kann man dies ändern und inwieweit haben Sie beziehungsweise die AGZ darauf Einfluss?

Wir müssen National- und Ständeräte dahingehend sensibilisieren, dass nicht noch mehr Instrumente geschaffen werden, die den Arzt vom Patienten fernhalten. Letztes Jahr ist der Artikel 58a des KVG in Kraft getreten. Dieser hält fest, dass Ärzte die Qualität ihrer Arbeit dokumentieren. Das ist ein Bürokratiemonster mit fraglichem Nutzen. Klar ist, dass die Zeit, die der Arzt dafür aufwendet, dem Patienten verloren geht. Genau wie beim Nachfragen seitens der Krankenkassen zu Verschreibungspraxen der Ärzte.

Die Krankenkassenprämien steigen und steigen. Trotzdem verschreiben immer noch viele Ärzte statt Generika Originalmedikamente. Wieso schieben Sie dem nicht einen Riegel vor?

Hier handelt es sich um eine klassische Pflästerlipolitik. Denn wenn man die Massnahme konsequent umsetzt, erreicht man damit ein Sparpotenzial von lediglich einem Prozent. Sinnvoller ist es, die Mengenausweitung zu stoppen, also nur Leistungen zu erbringen, die medizinisch gerechtfertigt sind.

Am Wochenende sind die Notfallstationen der Spitäler immer öfter überfüllt. Dabei sind viele der Patienten gar keine Notfälle, was ein Hausarzt hätte feststellen können, wenn er denn seine Praxis geöffnet hätte. Müssten nicht mehr Praxen an Wochenenden geöffnet sein?

Nein. Wir haben bei der AGZ den ärztlichen Notfalldienst so umorganisiert, dass über den ganzen Kanton Zürich immer 18 Praxen von 7 bis 22 Uhr geöffnet haben, auch an Wochenenden. Das ist ausreichend, auch wenn sich noch mehr Personen mit einem Leiden zuvor an das Aerztefon (0800 33 66 55) wenden würden. Dort findet durch eine Fachperson eine erste Beurteilung statt und dann wird der passende und nächstgelegene Kontakt vermittelt. So gelangen nur noch echte Notfälle an die Spitäler, was nicht nur effizient und kostengünstiger ist, sondern meist auch die Wartezeiten für den Patienten verkürzt.

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