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Interview

Sekten-Experte Hugo Stamm: «Ich halte dort den Finger drauf, wo jemand zu missionieren beginnt.» Bild: PD

"Es war vielleicht ein heiliger Zorn"

Von: Jan Strobel

03. Dezember 2013

Kaum einem Journalisten schlägt hierzulande bisweilen so unverblümter Hass entgegen wie Hugo Stamm, kaum einer wurde mit so vielen Prozessen überzogen wie er. Seit er 1974 als Redaktor zum «Tages-Anzeiger» stiess, deckt er unbeirrt die Abgründe unserer scheinbar so aufgeklärten Gesellschaft auf, die immer wieder in Sekten, Okkultismus, Esoterik oder Verschwörungstheorien ein Heilsversprechen sucht. Ende März geht Stamm in Pension – doch Ruhe geben wird er deshalb noch lange nicht.

Tagblatt der Stadt Zürich: Hugo Stamm, es gibt Menschen, die sehen in Ihnen einen «Fanatiker», einen «kriminellen Hetzer», Antisemiten wittern in Ihnen einen «Jahwe-Verehrer», Verschwörungstheoretiker einen «Freimaurer». Weshalb verlieren gewisse Menschen die Nerven, sobald sie Ihren Namen lesen?

Hugo Stamm: Für diese Menschen rüttelt meine Arbeit natürlich am Fundament ihres Selbstverständnisses. Sie identifizieren sich mit einem Guru oder Kultführer und deren Heilslehre. Kritische Artikel empfinden sie deshalb als persönlichen Angriff. Sie engagieren sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit und sind von der Sehnsucht nach Freiheit geleitet. Oft suchen sie sinnvolle Alternativen zu unserer individualisierten, materialistischen Welt. Dabei merken sie nicht, dass sie in einer Scheinwelt landen und auf der Suche nach Stabilität und Orientierung in die Abhängigkeit geraten. Das ist der Punkt, an dem die Gurus und Seelenfänger mit ihrer suggestiven Manipulation auf den Plan treten.

1982 veröffentlichten Sie Ihr erstes Buch mit dem Titel «Seele im Würgegriff» und stiessen damit die Diskussion um Scientology in der Schweiz an. Wie kamen Sie eigentlich auf das Thema?

Stamm: Weltanschauliche Fragen haben mich von jeher interessiert, dennoch recherchierte ich damals eher nebenbei für den «Tages-Anzeiger» über das Thema. Der Grund: Ein Aussteiger hatte mich auf die Präsenz der Scientologen in Zürich aufmerksam gemacht. In den späten 70ern war dieses Phänomen in der Schweiz noch weitgehend unbekannt, man sprach lediglich von «Jugendreligionen». Ich merkte, dass gerade in diesem Feld noch eine echte Aufklärung möglich und nötig war. Und je tiefer ich mich in die Materie einarbeitete, je mehr ich darüber herausfand, was da an der Urania­strasse (damals das Zentrum von Scientology in Zürich, Anm. d. Red.) wirklich ablief, umso grösser wurde meine Empörung darüber, was die Sekte mit ihren Mitgliedern anstellte. Es war vielleicht ein heiliger Zorn. Er war die Antriebsfeder für das Buch, für das ich allerdings nur schwer einen Verleger fand. Niemand wollte sich daran die Finger verbrennen aus Angst vor einem Prozess.
  
In den frühen 90ern deckten Sie dann die Machenschaften des Vereins zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis (VPM) auf. Annemarie Buchholz-Kaiser, die Führungsfigur des VPM, versuchte Sie mit allen Mitteln, mundtot zu machen.

Stamm: Die VPM-Leute strengten  unzählige Prozesse und Strafanzeigen an. Dabei blieb es aber nicht. VPM-Mitglieder störten lautstark meine öffentlichen Vorträge, versuchten mich auf der Strasse abzupassen und niederzuschlagen. Auch die Scientologen wollten mir regelmässig das Leben zur Hölle machen, heuerten Privatdetektive an oder klebten Totenkopfsticker mit meinem Namen an Hauswände. 

Bekamen Sie es nie mit der Angst zu tun?

Stamm: Natürlich sah ich immer die Gefahren. Aber mir fehlt irgendwie dieses Angst-Gen. Auch im Sport, sei es auf dem Surfboard in den Wellen, im Tiefschneehang oder auf dem Downhill-Bike.

Gibt es heute in der Schweiz eigentlich mehr Sekten oder spirituelle Gemeinschaften als noch in den 70er- und 80er-Jahren?

Stamm: Die religiöse Landschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten regelrecht pulverisiert. Ich habe heute gegen 1000 Gruppen im Archiv. Waren noch in den 90ern Massenbewegungen angesagt, geht es heute intimer zu. Da versammelt sich eine kleine Gruppe von Gläubigen um ein Medium, einen Esoteriker oder sonst einen Guru. Die Entfremdung von traditionellen christlichen Dogmen geht ungebremst weiter. Aber obwohl die Kirchen ständig Mitglieder verlieren, bleibt die Summe der spirituellen Bedürfnisse in etwa gleich.

Dennoch fliegen Papst Franziskus regelmässig die Herzen zu.

Stamm: Bei der Mehrheit der Christen hat das meiner Meinung nach nichts mehr mit einem tief empfundenen Glauben zu tun. Es zeigt sich hier vielmehr eine Event-Religiosität. Der Papst ist heute eine Kult­figur, die äusserst geschickt vermarktet wird. Trotzdem sehe ich keine Renaissance des Christentums. Im Gegenteil: Die christlichen Kirchen werden in Zukunft nur noch eine Minderheitenrolle einnehmen.

Ist Spiritualität ein reines Konsumgut geworden?

Stamm: Absolut. Zumindest für viele esoterisch ausgerichtete Menschen. Man sieht es deutlich beim Personenkult um den Dalai Lama oder die Umarmerin Amma. Man kann hier auch von einer seichten Wellness-Spiritualität sprechen.

Woran glauben Sie eigentlich? Sehen Sie sich als Atheist, Aufklärer oder Freidenker?

Stamm: Ich lasse mir keine Etiketten anheften. Das Wichtigste ist für mich der Respekt allen Menschen gegenüber. Was einer glaubt, ist seine Privatsache. Ich halte aber dort den Finger drauf, wo Sektenanhänger mit täuschenden Methoden missionieren, wo Freiheit und Individualität bedroht sind. Auch wenn ich in Pension gehe, werde ich weiter dagegen anschreiben. Meinen Sekten-Blog beim «Tages-Anzeiger»  wird es also weiterhin geben.

Wenn jemand zu Ihnen kommt, verunsichert, weil Sie sein Glaubensgefüge ins Wanken gebracht haben; was würden Sie einem solchen Menschen sagen?

Stamm: Du musst mir nicht glauben, aber vielleicht meine Argumente prüfen. Glaube weiterhin an deinen Gott oder Guru, wenn es für dich stimmt.

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