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Interview

Ernst Bachmann in seinem momentan leeren Restaurant Muggenbühl in Zürich-Wollishofen. (Bild: Christian Saggese)

Gastronomie unter Beschuss

Von: Christian Saggese

19. Januar 2021

Kaum eine Branche ist von den Pandemie-Massnahmen betroffen wie die Gastronomie. Ernst Bachmann, Präsident von Gastro Zürich, setzt sich für das Überleben der Restaurants ein.

Ernst Bachmann ist ein Urgestein der Zürcher Gastroszene. Er wirtet seit über 50 Jahren und leitet aktuell das Restaurant Muggenbühl in Zürich-Wollishofen. Als Präsident von Gastro Zürich, dem kantonalen Gastgewerbeverband, erlebt Bachmann die Corona-Krise und die Auswirkungen auf die Gastrobranche an vorderster Front mit.

Wie geht es Ihnen in dieser herausfordernden und belastenden Zeit?
Ernst Bachmann: Mir persönlich geht es gut. Ich bin gesund. Ausserdem musste ich bisher keine Mitarbeitenden entlassen, ein für mich sehr wichtiges Ziel. Belastend ist die Situation allerdings als Präsident von Gastro Zürich. Wir haben viele Wirtinnen und Wirte, denen es schlecht geht. Sehr schlecht. Als Verband ist es nun unsere prioritäre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass nun endlich die versprochenen Hilfsgelder vom Staat ausbezahlt werden.

Bisher wurde noch keinerlei finanzielle Unterstützung ausbezahlt?

Vom Bund und Kanton nein, bis auf die Kurzarbeitsentschädigung. Positiv erwähnen muss ich allerdings die Stadt Zürich. Als alt SVP-Kantonsrat hätte ich nie gedacht, eines Tages die linke Stadtregierung in den höchsten Tönen zu loben (schmunzelt). Aber sie haben alles richtig gemacht. Der Gastrobranche ist man von Beginn weg entgegengekommen, beispielsweise mit der Erlaubnis, auf den Vorplätzen bewilligungsfrei Zelte und Überdachungen aufzustellen. Oder damit, die Aussenfläche vorübergehend zu vergrössern. Das gab einem eine Chance in dieser schwierigen Zeit.

Nun ist zumindest finanziell ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Die Härtefallgelder sollen im Kanton Zürich ab Ende Januar ausbezahlt werden. Zudem wurden die Härtefall-Anforderungen angepasst, damit mehr davon profitieren können. Reicht das?

Es muss nun einfach eine Lösung kommen. Die Anforderungen für die Härtefallentschädigung waren aber tatsächlich viel zu hoch. Theoretisch musste ein Betrieb finanziell völlig gesund in die Pandemie gestartet sein, was bei kleineren Beizen oder neu eröffneten Läden nicht immer der Fall war. Und grössere Gastrounternehmen, die einen Garten oder eine Terrasse haben, erzielten im schönen Sommer doch noch genügend Umsatz, um ebenfalls nicht mehr als Härtefall zu gelten. So oder so, wichtig ist: Nun wurde diese seltsame Kalkulation bereinigt. Wir haben ein Berufsverbot vom Staat erhalten, deswegen muss dieser uns entschädigen. Dass nun jedes Restaurant, das 40 Tage die Türen schliessen musste, in den Genuss dieser Entschädigung kommt, ist also nur gerecht.

Dann hat die Schliessung der Restaurants auch etwas Gutes?

Was Gutes möchte ich nicht sagen, aber es ist sicher die bessere Lösung als die Variante zuvor, als wir nur bis 19 Uhr offen haben durften. Das konnte nicht rentabel sein. Übrigens die zweitdümmste Entscheidung in Sachen Schutzmassnahmen.

Und die dümmste Entscheidung?

Die Regelung, die nur die Kantone Zürich und Thurgau gegenüber den Bundesvorgaben verschärft hatten. Und zwar, dass die eh schon eingeschränkte Anzahl Gäste an einem Tisch nur noch aus zwei Haushalten kommen darf. Das war der Sargnagel für alle Gastrounternehmen, die beispielsweise von den Gästen leben, die am Abend gerne mit Kollegen ein Feierabendbier geniessen oder einen Jass klopfen wollen, oder auch für Pensioniertenstämme.

Wie hoch ist Ihr Umsatzrückgang im Restaurant Muggenbühl?

Wenn wir davon ausgehen, dass die Schliessung bis Ende Februar dauert, wird mein Umsatz seit dem ersten Lockdown um eine Million Franken geschrumpft sein.

Fürchten Sie sich um die Zukunft des Restaurants Muggenbühl?

Nein, zum Glück nicht. Da wir auf einem Hügel sind, haben wir kaum Laufkundschaft. Dafür umso treuere Stammkunden. Diese rufen regelmässig an, um uns zu sagen, dass sie am ersten Tag der Wiedereröffnung sofort vorbeikommen. Das stellt einen auf. Zudem nutzen sie unser Take-away-Angebot, welches wir während der Pandemie eingeführt haben. Unser Glück ist auch der wunderschöne Garten mit den 250 Plätzen. Da wir 2020 ja einen guten Sommer mit noch wenig Einschränkungen hatten, konnten wir hervorragend wirtschaften. Nun hoffen wir also wieder auf einen guten Sommer.

Letzten April, beim ersten Lockdown, sagten Sie im «Tagblatt der Stadt Zürich», der Bundesrat mache einen guten Job. Politiker wie auch Medien sollten aufhören, stets Gesundheit und Wirtschaft gegeneinander auszuspielen. Wie beurteilen Sie die Arbeit des Bundesrates heute?

Nicht viel anders! Es ist für den Bundesrat nicht einfach. Dieser will ja auch nicht, dass es der Bevölkerung und der Wirtschaft schlecht geht. Dennoch trifft er mittlerweile für mich sehr fragwürdige Entscheidungen. Es ist für mich nicht erklärbar, wieso Tankstellenshops und Blumenläden offen haben dürfen, ja sogar Ski fahren darf man, während wir Beizer geschlossen haben müssen. Dabei investierten wir in teure Schutzkonzepte!

Wie erklären Sie es sich, dass sich die Politik dermassen auf die Gastrobranche eingeschossen hat?

Das ist ganz einfach zu erklären! Uns fehlt es im Bundeshaus an einer Lobby, wie die Bauern sie beispielsweise haben. Und grosse Konzerne wie Coop und Migros bestimmen in der Schweiz sowieso über alles, diese Macht haben wir nicht. Ganz im Gegenteil, auf unsere Branche wird seit jeher disrespektierlich geschaut, wir sind ja «nur Beizer». Man kann uns also ziemlich leicht runterknüppeln. Deswegen ist es kürzlich auch zur Protestaktion gekommen, als manche Beizen, trotz Risiko einer Strafe, die Türen öffneten. Vom Verband her distanzieren wir uns deutlich von dieser Aktion. Aber es dürfte trotzdem ein wichtiger Weckruf für so manchen gewesen sein, dem unsere Existenzängste nicht bewusst waren.

Was haben Sie als Gastro Zürich bisher unternommen?

Wir, das heisst die kantonalen Verbände, aber auch Gastro Suisse, haben alles gegeben, mehr lässt sich meiner Meinung nach nicht machen. Gastro Zürich steht stets im Kontakt mit der Regierung, wir tauschen uns täglich mit anderen Verbänden über die Entwicklungen aus, informieren die Mitglieder sofort über die neusten Veränderungen und geben Tipps, wie sie auf diese und jene Situation ideal reagieren können. Kürzlich haben wir auch eine Solidaritätskampagne ins Leben gerufen, um notleidenden Betrieben durch Spenden der Bevölkerung zu helfen. Wir können aber den Behörden nichts vorschreiben. Und die Mühlen der Politik mahlen bekanntlich langsam.

Auch manche Versicherungen stellten sich quer ...

Das ist eine Schande. Den Wirten wurden Versicherungen zum Schutz vor einer Epidemie verkauft. Als die Weltgesundheitsorganisation die Coronakrise plötzlich als Pandemie einstufte, stahlen sich die Versicherungen aus der Verantwortung. Einige zahlten zwar grosszügig, andere aber nur einen Solidaritätsbeitrag oder gar nichts. Dagegen werden wir noch prozessieren. Ich möchte aber den Lieferanten danken, die sich bei der Bezahlung der Rechnungen sehr kulant zeigen, wie auch unserer Sozialversicherung Gastro Social, die, soweit ich informiert bin, allen Wirten, die in Aarau anfragen, einen Zahlungsaufschub gewähren. Sie alle haben verstanden, dass wir am gleichen Strang ziehen müssen.

Wie viele Restaurants überleben in Zürich die Krise nicht?

Da will ich keine Zahl nennen.

Sollten die Härtefallzahlungen Ende Januar erfolgen, könnte dies die Rettung für manche Beiz sein?

Ich würde sagen ja. Insbesondere, weil es keinen vom Bund verordneten Betreibungsstopp gibt, wie es noch beim ersten Lockdown der Fall war. Das verstehe ich nicht.


Einige Politiker meinen, es handle sich bei den Schliessungen um eine notwendige Strukturbereinigung ...

Ach ja, die gute alte «notwendige Strukturbereinigung». Ein Unwort. Das sagen übrigens oft die gleichen Leute, die es als Liberalisierung und Deregulierung in die Höhe lobten, als man sich vor einigen Jahren entschied, dass ein Fähigkeitsausweis nicht mehr nötig ist, um eine Betriebsbewilligung zu erhalten, und auch die Bedürfnisklausel abschafften.

Dann sind diese politische Entscheide eigentlich mitverantwortlich für die aktuelle Situation?

Journalisten sprechen gerne von einem «Beizensterben», das es nun wegen der Krise gibt. Wir dürfen aber nicht jede Schliessung, die nun folgt, auf die Pandemie zurückführen. Fakt ist, dass durch die erleichterten Bedingungen alleine in der Stadt Zürich in den letzten drei Jahren 1500 neue Lokale die Türen geöffnet haben! Es ist völlig normal, dass bei dieser Übersättigung und dem Konkurrenzkampf nicht jedes Restaurant überleben kann. Von einem Beizensterben spreche ich eher mit dem Blick auf ländliche Gemeinden. Doch dort ist auch nicht immer die finanzielle Situation an der Schliessung schuld, oft liegt es an der fehlenden Nachfolgeregelung.

Nehmen Sie auch positive Punkte mit aus der Krise?

Wir dürfen nicht nur jammern. Wir sehen jetzt besser denn je, wo unser System versagt. Wir können nun einen neuen Weg für die kommenden Generationen ebnen. Bei Verträgen mit Vermietern beispielsweise müssen wir bereits auf solche Ausnahmesituationen, wie wir sie heute haben, eingehen. Oder dafür sorgen, dass sich Versicherungen nicht mehr so leicht vor ihren Aufgaben drücken können. Auch ist es eine gute Zeit, um sein allenfalls bereits 50 Jahre altes Konzept zu hinterfragen und stattdessen mehr mit der Zeit zu gehen, wie mit Take-away-Angeboten.

Welche Bitte haben Sie an die «Tagblatt»-Leserschaft?

Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass die aktuelle Situation einem Angst macht. Es ist aber wichtig, die lokalen Gastrounternehmen wie auch generell alle hiesigen Läden, dennoch zu unterstützen, sobald es wieder erlaubt ist. So sorgen wir dafür, dass die Stadt Zürich, und natürlich auch der ganze Kanton, vielfältig und dadurch lebenswert bleiben.

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