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Interview

Weihnachtliche Stimmung: Katharina Hoby und Andrea Marco Bianca in der reformierten Kirche in Küsnacht. (Bild: Nicolas Y. Aebi)

Hoffnungszeichen gegen Angst und Verzweiflung

Von: Isabella Seemann

22. Dezember 2020

Wider die Dunkelheit: Katharina Hoby, Seelsorgerin in der Klinik Hirslanden in Zürich, und ihr Partner Andrea Marco Bianca, Pfarrer in Küsnacht und Vizepräsident des Zürcher Kirchenrates, haben «Hoffnungszeichen in Krisenzeiten» gesammelt und als Buch herausgegeben.

Wie geht es Ihnen ganz persönlich während der Corona-Pandemie?

Andrea Marco Bianca: Die täglichen Schlagzeilen zur Corona-Krise und die Ohnmacht, nichts tun zu können, empfand ich als belastend. Um einen spirituellen Ausweg zu finden, begann ich diese verunsichernden Schlagzeilen aus den Tageszeitungen in eine Beziehung zu setzen zu den Worten in einem 2000 Jahre alten Buch. Bei Tagesbeginn gab ich Stichworte in eine Bibeltextsuchmaschine ein und publizierte die passenden Verse, die auch kirchenferne Menschen erreichen und einen befreienden Geist atmen sollten, auf Facebook. Die vielen bewegenden Rückmeldungen spornten uns an, die Idee weiterzuentwickeln und Persönlichkeiten aus verschiedenen Lebensbereichen über ihre Erkenntnisse aus der Corona-Krise zu befragen. Aus dem anfänglichen Gefühl der Ohnmacht entstand die Sammlung «Hoffnungszeichen in Krisenzeiten».

Katharina Hoby: Just zum Zeitpunkt des Lockdowns, im April, habe ich meine neue Stelle als Seelsorgerin in der Klinik Hirslanden in Zürich angefangen und da eine aussergewöhnliche Situation angetroffen. Um nicht eine zusätzliche Gefährdung darzustellen und uns unnötigerweise selbst in Gefahr zu bringen, mussten wir mit Masken und Schutzanzügen die Besuche durchführen. Was ich zuvor via Medien erfahren hatte, begegnete mir nun konkret in der Klinik. Die an Corona erkrankten Menschen, die Ängste und Sorgen der anderen Patienten, die Nöte des Pflegepersonals.

Als Sie anfingen, zu den Corona-Schlagzeilen passende Bibelzitate zu suchen, benötigten Sie da selbst ein Zeichen der Hoffnung?

Bianca: «Ich glaube, hilf meinem Unglauben» ist ein Bibelvers, der seit jeher zu mir gehört und der nun zur Losung des Jahres 2020 wurde. Durch die Sammlung und die Arbeit am Buch wurde es mir möglich, dies zum Ausdruck zu bringen. Ich wollte weder in die Falle des Wegschauens geraten noch mich in Verschwörungstheorien verstricken, aber auch nicht in zermürbende Diskussionen über die Führungsqualitäten des Bundesrats verfallen. Die Suche nach Hoffnungszeichen in der Bibel und gleichzeitig bei den Menschen, die beim Buchprojekt mitmachten, schenkten mir ebenso wie den Lesenden Mut und Trost.

Hoby: Ich hätte nicht gedacht, dass auf die vielen Fragen, die die Schlagzeilen zu Corona aufwerfen, so viele Antworten und Zeichen der Hoffnung in der Bibel zu finden sind. Das grosse Geheimnis des Buches ist, dass Hoffnung ansteckend ist.

 

 

Gut zu wissen
Katharina Hoby (58) wuchs in Bachenbülach auf, studierte in Zürich reformierte Theologie und wurde 1989 ordiniert. Landesweite Bekanntheit erlangte sie wegen ihrer Nichtwahl zur Pfarrerin ans Grossmünster. Fortan war sie als freischaffende Pfarrerin tätig, so 17 Jahre lang als Schausteller- und Zirkuspfarrerin. Seit April 2020 ist sie Seelsorgerin an der Hirslanden-Klinik.

Andrea Marco Bianca (59) ist in Zürich geboren und absolvierte sein Studium der Theologie in Zürich, Basel und Bern sowie an der Pacific School of Religion in Berkeley (Kalifornien) und promovierte später zum Dr. theol. Seit 25 Jahren ist er Pfarrer in der Reformierten Kirchgemeinde Küsnacht und seit 2011 Vizepräsident Kirchenrat Kanton Zürich.

Gemeinsam hat das prominente Pfarrer-Paar das Buch «Hoffnungszeichen in Krisenzeiten» herausgegeben (Reinhardt Verlag). Darin stellen sie Schlagzeilen zu Corona ausgewählte Bibelzitate entgegen und lassen diese von Persönlichkeiten aus verschiedenen Lebensbereichen kommentieren. Das Buch ist mit Kalligraphien illustriert.


Weitere Informationen:
www.bianca.ch/hoffnungszeichen

 

 

Für Ihr Buch fragten Sie Persönlichkeiten an, ihre Gedanken zu Bibelzitaten zu äussern. Was hat Sie besonders bewegt?

Hoby: Der Bergführerin und Referentin Evelyne Binsack hatten wir einen Spruch von Hiob zugeteilt: «Was ist meine Kraft, dass ich ausharren könnte; und welches Ende wartet auf mich, dass ich geduldig sein sollte?» Lange liess sie nichts von sich hören und sagte schliesslich ab, weil sie sich ausserstande fühle, jemandem Mut zuzusprechen, wo sie selber mutlos sei, da sie als Selbständige fast alle Aufträge für dieses und nächstes Jahr verlor und sie keine Antworten auf Hiobs drängende Fragen habe. Das hat mich sehr ergriffen und mit ihrem Einverständnis haben wir diese Absage ins Buch genommen. Hiobs Verzweiflung ist für uns gegenwärtig und von Interesse, wenn wir sie selber so erleben.

Bianca: Beispielhaft ist für mich der Beitrag von Beatrice Stirnimann, Inhaberin und CEO des internationalen Musikfestivals Baloise Session, die befürchtet, ihre Existenzgrundlage, ihren Lebensinhalt und ihr Lebenswerk wegen der staatlichen Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Epidemie zu verlieren. Sie berichtet von unzähligen schlaflosen Nächten, quälenden Gedanken von Machtlosigkeit, Unsicherheit, Dunkelheit, Leere und Ängsten. Den Bibelspruch «Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit» erlebte sie als befreiend und erlösend. Unterstützt von ihrem Umfeld, schaffte sie es so, ihre Einstellung zu ändern. Sie kann wieder die offenen Türen sehen, hinter denen neue unerwartete Möglichkeiten bereitstehen. Obgleich ihre Situation weiterhin extrem schwierig ist, lässt sie sich von den düsteren Gedanken nicht hinunterziehen, sondern nährt sich von diesem anderen, starken Geist. Ihre Erfahrung zeigt: Man muss nicht in die Kirche gehen, um sich Predigten anzuhören, sondern man kann auch den Geschichten anderer Menschen zuhören, die verzweifelten und wieder Hoffnung schöpften.

Hat Ihr Gottvertrauen gelitten in der Krise?

Bianca: Gott in der Verzweiflung zu fragen, was soll das, weshalb werden Menschen, die nichts dafür können, völlig aus der Bahn geworfen, gesundheitlich oder wirtschaftlich, warum geschieht diese Ungerechtigkeit, hat dazu geführt, mich stärker mit Gott auseinanderzusetzen, ja sogar «fluchend» zu beten. Ich will keine billigen Antworten darauf, weder «Du glaubst nicht genug» noch «Siehst Du, Dein Gott hilft nicht». Insofern zweifle ich nicht an Gott, sondern ich stelle das Gottesbild, das ich bislang pflegte und das nun eben in der Krise nicht «verhebet», in Frage. Gott zeigt sich mir immer neu. So wie Gott zu Moses sagte: «Ich bin der, als der ich mich erweisen werde.»

Hoby: Gott ist mit uns auf diesem Weg durch die Krise, nur nicht so wie erwartet. Vielmehr zeigt sich dies so, wie es vielen erging, die wir für das Buch befragten: Sie fanden ihre innere Stärke selber, um mit den Herausforderungen umgehen zu können, an denen sie zuvor schier verzweifelten. Wir Menschen sind nicht Marionetten eines allmächtigen Gottes, der uns da- oder dorthin schiebt. Das würde uns tatsächlich in die Verzweiflung treiben. Vielmehr erhalten wir Kraft und Inspiration durch andere Menschen, denen wir begegnen und die uns ermutigen, wieder ein paar Schritte weiterzugehen. Wenn schon, dann ist Gott allliebend, er nimmt uns so wie wir sind, mit allen unseren Fehlern und Qualitäten. Deshalb können wir uns auch weiterentwickeln und bleiben in der Krise nicht stecken.


Die Corona-Krise stellt nicht nur in gesundheitlicher, sondern auch in psychischer Hinsicht eine besondere Herausforderung: Äussert sich dies auch darin, dass die Menschen Zuwendung in Ihrer Kirche suchen?

Bianca: Wir haben eine etwas grössere Nachfrage, aber vor allem eine viel grössere Resonanz. Auf Online-Angebote erhalten wir mehr Reaktionen als bei Gottesdiensten vor Ort. Und wenn wir uns direkt an Leute wenden, werden diese Gespräche vermehrt angenommen. Die Sehnsucht nach «Etwas», das umfassender ist und tiefer und weitergeht, ist stark ausgeprägt.

Gibt es Momente während der Corona-Pandemie, die auch für Sie als Seelsorgerin in der Hirslanden-Klinik in Zürich schwer zu ertragen sind?

Hoby: Während des Lockdowns waren wir Seelsorgerinnen die einzigen Personen, die die Patienten in der Klinik überhaupt besuchen durften. Die Nachfrage war enorm, und so waren wir in jedem Zimmer hochwillkommen, selbst bei religionsfernen Leuten. Jetzt, in der zweiten Welle, sind es vor allem die Pflegenden, die bis an ihre Grenzen und darüber hinaus gefordert werden. Sie können sich vom Stress kaum noch erholen und haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihren Dienst nicht mehr gemäss ihren eigenen Ansprüchen ausführen können. Wir Seelsorgerinnen sind nun auch für sie da im Sinne eines Care-Teams.

Die Einsamkeit vieler Menschen verstärkt sich infolge der Pandemie und kann manchem an Weihnachten schier unerträglich werden. Was sagen Sie denen, die sich vor Einsamkeit fürchten?

Bianca: Die Tradition von Weihnachten als Familienfest ist noch jung. Sie bedeutet leider auch: Gnade Gott denjenigen, die nicht in eine Familie oder in die Liebe eingebunden sind. Für sie kann es eine Hilfe sein, Weihnachten im Original zu entdecken, nämlich in jenem Geiste von Maria und Josef, die alleine unterwegs waren und überall vor verschlossenen Türen standen. Weihnachten heisst auch, auf der Suche zu sein. Wichtig ist aber auch konkretes Handeln und Planen. So hat sich in meiner eigenen Krisenzeit die 48-Stunden-Regel bewährt. Es gilt, spätestens alle zwei Tage mit jemandem Kontakt aufzunehmen, das kann auch die Telefon- oder Online-Seelsorge sein. Ziel ist, diese 48 Stunden auszuhalten. Dies ermöglicht einem auch, sich seiner eigenen Verantwortung und Stärke bewusst zu werden.

Hoby: Auch die Mitmenschen können etwas gegen die Einsamkeit unternehmen, wenn sie über die Feiertage mal jemandem ausserhalb des Familienkreises anrufen oder ihm ein Whatsapp schicken und sagen, dass man an ihn denkt.

Was macht Ihnen Mut, wenn Sie aufs neue Jahr blicken?

Bianca: Ich weiss, «wenn ich schwach bin, dann bin ich stark». Das bedeutet, auch wenn die Schwierigkeiten noch lange andauern, finde ich jeden Tag einen Grund zum Dankbarsein.

Hoby: Der Bibelspruch «Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht». Das bedeutet, auch wenn ich die Lösung nicht sehen kann, habe ich keine Zweifel, dass sie kommen wird.

 

 

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