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Interview

In die Fussstapfen von Gottfried Keller

Von: Ginger Hebel

23. Januar 2018

Kathrin Arioli leitet als erste Frau überhaupt die Zürcher Staatskanzlei. Die 54-Jährige über ihren Job in einer Männerdomäne, sexuelle Gewalt, Kind und Karriere.

Sind Sie ein politischer Mensch?

Kathrin Arioli: Ja, ich interessiere mich sehr für politische Themen, gehöre aber keiner Partei an. Politisch neutral zu sein, ist eine Voraussetzung für das Amt der Staatsschreiberin.

Stimmt. Sie sind ja ab Februar Zürichs erste Staatsschreiberin. Macht Sie das stolz?

Ja, dass ich dieses Amt ausführen darf, erfüllt mich mit Stolz und Freude. Ich sehe es als Privileg, in der Schaltzentrale der Verwaltung mitwirken zu dürfen. Ich bin schweizweit zwar nicht die erste Staatsschreiberin, aber im Kanton Zürich war noch nie eine Frau in diesem Amt tätig, das ist schon speziell. Ich möchte meinen neuen Job gut beginnen und die vielfältigen Anforderungen erfüllen.

Warum denken Sie, ist die Wahl auf Sie gefallen?

Ich bringe sicher einen guten Erfahrungsrucksack mit, war in verschiedenen kantonalen Verwaltungen tätig und hatte eine Führungsfunktion in der Rechtspflege. Zudem bin ich gewissenhaft und stelle hohe Ansprüche an Qualität.

Wie lange dauerte das Auswahlverfahren?

Die Stelle war ausgeschrieben. Bis eine finale Entscheidung gefällt wurde, dauerte es ein knappes halbes Jahr. Ich musste ein Assessment-Verfahren durchlaufen und mich am Schluss bei der Gesamtregierung präsentieren. Es war eine anspruchsvolle Zeit, ich bin froh darüber, dass es geklappt hat.

Wie definieren Sie Ihre Aufgabe als Staatsschreiberin?

Ich sehe mich in erster Linie als Dienstleisterin der Regierung. Ich werde künftig beratend an den wöchentlichen Sitzungen im Rathaus teilnehmen und diese so vorbereiten, dass dem Regierungsrat gute Entscheidungsgrundlagen für seine Beschlüsse vorliegen. Aber auch die Führung der Staatskanzlei mit ihren rund 60 Mitarbeitenden gehört zu meinen Aufgaben.

Ihre Vorgänger waren mitunter bekannte Persönlichkeiten. Die Eisenbahnunternehmer Alfred Escher und Johann Jakob Sulzer sowie der Schriftsteller Gottfried Keller amteten im 19. Jahrhundert als Staatsschreiber. Haben Sie Respekt davor, in diese grossen Fussstapfen zu treten?

Ich habe natürlich Respekt, denn es ist eine grosse Herausforderung, die Staatskanzlei zu führen. Aber die Zeiten haben sich verändert. Heute beschäftigen uns andere Themen.

Zum Beispiel?

Die Digitalisierung hat auch die Verwaltung erreicht. In dieser Beziehung sind wir in der Schweiz zwar keine Pioniere, umso wichtiger ist es, dass wir nicht überrollt werden. Es ist nötig, zu prüfen, welche Dienstleistungen und Services digital angeboten werden sollen. Dabei darf man nicht vergessen, dass nicht alle Menschen digitalaffin sind und Formulare elektronisch ausfüllen wollen. Da muss man einen Mittelweg finden.

Wie digital sind Sie?

Ich muss gestehen, dass ich mir mein Büro in den nächsten Jahren noch nicht papierlos vorstellen kann. Gewohnheiten lassen sich zwar ändern, dennoch mache ich mir beispielsweise an Sitzungen gerne Notizen von Hand, ich arbeite dadurch effizienter. Zeitung lese ich aber vermehrt auf dem Tablet.

Sie werden Nachfolgerin von Beat Husi, der nach 22 Dienstjahren in Pension geht. Was wollen Sie anders machen?

Beat Husi hat sehr viel geleistet für den Kanton. Ich habe ihn einen Monat begleitet und gesehen, wie er arbeitet. Wenn eine Arbeit gut ausgeführt wurde, wäre es unsinnig, das Ruder in eine andere Richtung zu reissen. Das ist nicht meine Intention. Aber ich habe einen eigenen Stil, das wird man sicherlich merken.

Was wäre Ihr ideales Arbeitsklima?

Ich lege Wert auf einen professionellen und wertschätzenden Umgang. Zudem ist es mir wichtig, dass man auch an Sitzungen mal lachen kann.

Sie waren viele Jahre Gleichstellungsbeauftragte des Kantons Zürich. Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, war Ihnen ein grosses Anliegen. Weshalb?

Ich bin der Meinung, dass Männer und Frauen die gleichen Möglichkeiten haben sollten, ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten und sich persönlich zu entfalten. Geschlechtsspezifische Gewalt verunmöglicht dies. Durch die MeToo-Debatte hat das Thema ein anderes Gewicht bekommen und auch auf politischer Ebene einen Stein ins Rollen gebracht. Als ich Anfang der Neunzigerjahre als Gleichstellungsbeauftragte anfing, war sexuelle Gewalt ein grosses Tabu. Doch sie betrifft alle Schichten. Es ist wichtig, dass in der Öffentlichkeit darüber diskutiert wird.

Viele Männer fühlen sich durch die Sexismusdebatte verunsichert und wissen nicht mehr, wie sie sich gegenüber Frauen verhalten sollen.


Im Grunde ist es doch einfach. Sexuelle Belästigung ist nicht gewollt und dadurch falsch. Wenn ein Mann unsicher ist, wie weit er gehen darf, dann muss er fragen. Ich hoffe, dass diese Debatte die Fronten nicht noch mehr verhärtet, sondern den Dialog zwischen den Geschlechtern fördert.

Wie steht es um die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Schweiz?


Es sind längst noch nicht alle Ziele erreicht. Die Schweiz ist auf der weltweiten Gleichstellungsrangliste des WEF von Platz 10 auf Platz 21 zurückgefallen. Die Ungleichbehandlung besteht hierzulande vor allem in der Arbeitswelt und in der Politik. Wir haben aber auch schon viel erreicht, man denke nur an das Frauenstimmrecht, welches 1971 eingeführt wurde; das ist noch gar nicht so lange her. Die Lohndiskriminierung ist ein Problem, welches Massnahmen erfordert. Zudem erlebe ich einen Rückschritt in Bezug auf Geschlechterstereotype. Wenn man heute in ein Spielwarengeschäft geht, findet man strikt getrennte Bereiche mit Spielsachen, die vorschreiben, womit Mädchen und Buben zu spielen haben. Dasselbe bei den Babykleidchen. Rosarot und Hellblau, das ist klischeehaft und meiner Meinung nach eine grosse Einschränkung.

Frauen in Führungspositionen sind Mangelware. Wie erklären Sie sich das?

Es spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Viele Männer, aber auch Frauen haben Rollenbilder im Kopf. Die männlich geprägte Unternehmenskultur macht es nicht leichter. Die kantonale Verwaltung beispielsweise ist noch immer von Männern dominiert, aber auch hier gibt es heuer Amtschefinnen. Ich war die letzten vier Jahre im Justizwesen tätig, dort war eine Veränderung von unten nach oben spürbar. Bei den Gerichtsschreibern sind mittlerweile zwei Drittel Frauen, bei den erstinstanzlichen Richterinnen fast die Hälfte. Es ist wichtig, als Frau zu signalisieren, dass man gewillt ist, Funktionen zu übernehmen.

Sie sind Mutter und Geschäftsfrau. Wie bringt man Kind und Karriere unter einen Hut?

Man darf nicht perfektionistisch sein und sollte sich auf Kompromisse einlassen. Der Beruf war für mich immer ein wichtiger Lebensinhalt, ich bin aber auch ein Familienmensch. Als Mutter blieb das berufliche Netzwerken oft etwas auf der Strecke. Andererseits konnte ich keine perfekte Hausfrau sein und wollte das auch nicht. Wenn die Kinder einen Kuchen in die Schule bringen mussten, habe ich ihn gekauft, statt ihn selber zu backen. Die Kinder gingen in die Krippe, ich fand das immer einen guten Lernort, weil sie als soziale Wesen sehr früh gefördert und gefordert wurden. Auch die Rückmeldungen der Erzieherinnen waren eine Bereicherung für mich als Mutter. Gute Planung ist wichtig, aber das allein reicht noch nicht. Man sollte den Fünfer auch mal gerade sein lassen.

Was mögen Sie an Zürich, was stört Sie?

Mir gefällt eigentlich alles an Zürich. Die Stadt hat für mich die perfekte Grösse, zudem geniesse ich das Leben am Fluss und am See. Ich habe zuvor in Bern gearbeitet. Jetzt bin ich froh darüber, dass das Pendeln wegfällt und ich wieder da arbeiten kann, wo ich wohne.

Wie sieht Ihr Leben aus, wenn Sie nicht arbeiten?

Mein Partner besitzt einen Rebberg, wo ich oft mitarbeite, egal bei welchem Wetter. Die Arbeit in der Natur ist ein guter Ausgleich zu meiner sitzenden Tätigkeit. Meine beiden Kinder sind erwachsen und ausgezogen, sie besuchen mich oft. Und ich lese sehr gerne, Romane, Biografien, aber auch Sachbücher.

Gut zu wissen:

Der Regierungsrat hat Kathrin Arioli als neue Staatsschreiberin angestellt. Die 54-Jährige hat an der Universität Zürich Rechtswissenschaften studiert. Ihre berufliche Laufbahn begann sie als Rechtsberaterin für den Mieterinnen- und Mieterverband Zürich sowie als Assistentin am Rechtswissenschaftlichen Seminar der Universität Zürich. Von 1990 bis 2011 arbeitete Kathrin Arioli an der Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann des Kantons Zürich, zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin, ab 1999 als deren Leiterin. Anschliessend trat sie als Generalsekretärin der Direktion des Innern in den Dienst des Kantons Zug. Seit 2013 war Arioli Generalsekretärin des Berner Obergerichts. Per 1. Februar 2018 übernimmt sie die Leitung der Zürcher Staatskanzlei mit 60 Mitarbeitenden. Sie ist im Kanton Zürich die erste Frau in dieser Funktion und wird Nachfolgerin von Beat Husi, der nach rund 22 Dienstjahren in Pension geht. Kathrin Arioli lebt im Zürcher Kreis 6 und hat zwei erwachsene Kinder.

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