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Interview

«Musik ist meine Leidenschaft.» Urs Wäckerli, Gründer der Lebewohlfabrik. Bild: Daniel Lanter

«Jazz ist ein bisschen wie Liebe machen»

Von: Irene Genhart

01. Oktober 2013

Vor zehn Jahren eröffnete in der ehemaligen Hühneraugenpflaster-Fabrik Lebewohl in Zürich-Seefeld eine Galerie-Musik-Bar ihre Tore. Organisiert wird der Club Lebewohlfabrik noch heute von seinem Initiator Urs Wäckerli. Er spricht im «Tagblatt» über Quartierkultur, Lebensträume, Höhepunkte des Jubiläumsprogramms, Jazz – und die fast schon legendären «Seefeld-­Stubete».

Tagblatt der Stadt Zürich: Auf der Website der Lebewohlfabrik steht, Sie hätten sich 2003 den «Traum eines eigenen Clubs» erfüllt. Nun ist Ihr Traum seit zehn Jahren Realität. Haben Sie das auch geträumt?

Urs Wäckerli: Ich denke während des Träumens nicht an Zeiträume. Ich habe früher einfach oft gedacht, es wäre schön, ein Lokal zu haben, in dem die Musik live gespielt wird, die ich selbst gerne höre. Als ich auf der Suche nach neuen Räumen für meine Filmproduktion die Lebewohlfabrik entdeckte, wurde das plötzlich möglich. Gehofft habe ich damals bloss, dass es funktioniert.

Hat es funktioniert?

Wäckerli: Ja, aber anders, als ich mir ursprünglich vorstellte. Das Programm war am Anfang vielfältiger als jetzt. Es gab – nebst Kunst und Musik – auch Kabarett- und Filmabende. Das Publikum aber war von der Vielfalt überfordert, und in den ersten Jahren musste ich tief in die eigene Tasche greifen. Also habe ich am Konzept herumgeschraubt. Heute gibt es in der Lebewohlfabrik zu etwa 80 Prozent Jazz – Swing, Bebop, Hard Bop, ab und zu Blues –, die restlichen 20 Prozent sind Folk und Chanson. Seit dem so ist, wächst ein Stammpublikum heran. Und seit die Stadt uns subventioniert, muss ich nicht mehr drauflegen.

Die Lebewohlfabrik ist Galerie und Konzertlokal, wie funktioniert das?

Wäckerli: Wir programmieren im Zweimonatsrhythmus. Jeden zweiten Monat beginnt eine neue Ausstellung; meist stellt ein einzelner Künstler 10–15 Bilder aus. Diese Bilder verändern das Lokal, sie prägen seine Stimmung. Auch wenn ein Künstler während der Ausstellung nur wenige Bilder verkauft, so findet sein Werk doch die Aufmerksamkeit eines kulturinteressierten Publikums. Kommt dazu, dass man sich in der Lebewohlfabrik näherkommt: Man sitzt miteinander am Tisch. Hört zusammen Musik, kommt miteinander ins Gespräch. Es ist ein bisschen so wie früher bei Hausmusikkonzerten. Das ist auch die Idee: Die Lebewohlfabrik soll eine Begegnungsstätte sein.

Bekannt ist die Lebewohlfabrik vor ­allem als Musiklokal.

Wäckerli: Musik ist meine Leidenschaft. Als ich nach meinem ETH-Studium hätte doktorieren können, habe ich stattdessen meine Geige gepackt und bin mit meiner Band durch Europa gezogen. Zehn Jahre habe ich danach von der Musik gelebt: Ich hatte ab sieben Jahren klassischen Violin­unterricht, habe dann aber über ­Blues, Folk, Rock den Jazz entdeckt. Jazz ist Emotion, Freiheit, Kommunikation, Kreativität, Spontaneität, Magie – fast ein bisschen wie Liebe machen.

Wie kamen denn die «Seefeld-Stubete» ins Programm?

Wäckerli: Der Akkordeonspieler Thomi Erb wohnt im Quartier und hat den Vorschlag der «Stubete» gebracht. «Stubete» im Sinn von Ländler-Stubete sind die «Seefeld-Stubete» allerdings nicht. Es gibt da zwar ab und zu mal Schweizer Folklore oder eine Jodlerin, aber eigentlich gibt es an den «Seefeld-Stubete» Weltmusik, Blues, Folk, Lieder zu hören.

Auch der Hotclub de Zurich steht ­regelmässig im Programm.

Wäckerli: Das ist meine Musik. Ich wollte Menschen kennen lernen, welche Gypsyswing auch lieben und spielen. Heute ist die Lebewohlfabrik der Treffpunkt der Gypsy-Jazz-Musiker der Deutschschweiz. Das Publikum kommt oft von weit her, aus Bern, Chur, St. Gallen, Luzern.

Wie oft spielen Sie selber in Ihrem Club?

Wäckerli: Meist an den Hot-Club-Jamsessions und einmal pro Saison mit einer meiner beiden Bands: dem Stringjazz Quartet oder den Swingstrings. Mir ist es wichtig, dass nicht immer dieselben, sondern möglichst viele verschiedene Musiker bei uns auftreten.

In der Jubiläumsbroschüre schreibt Stadtpräsidentin Corine Mauch: «Die Lebewohlfabrik bedeutet für viele, lokale Kulturschaffende (…) ein Stück Heimat.» Wie wichtig ist Ihnen die Verankerung im Quartier?

Wäckerli: Sie ist ein Teil unserer ­Identität: Viele Stammgäste kommen aus dem Quartier, vor allem die Besucher der Apérokonzerte. Ohne den Grossraum Zürich als Einzugsgebiet können wir aber nicht funktionieren.

Was sind die Höhepunkte des Jubiläumsprogramms?

Wäckerli: Am Eröffnungsfestival vom 1. bis 3. Oktober treten Musiker auf, die mit der Lebewohlfabrik eng verbunden sind, u. a. die Sängerin Marianne Racine, der Saxofonist Rodrigo Botter Maio, der Gitarrist Harald Haerter.

Und wie sieht es an den Wänden aus?

Wäckerli: In der Jubiläumsausstellung zeigen wir Werke, welche von neun verschiedenen Kunstmalern speziell zum Thema Lebewohlfabrik gefertigt wurden.

Eigentlich sind Sie Filmproduzent. Beissen sich Ihre zwei Jobs nicht?

Wäckerli: Ehrlich gesagt, beansprucht mich die Lebewohlfabrik so sehr, dass ich derzeit kaum Filme produziere. Es gibt allerdings ein, zwei Herzensprojekte, die ich realisieren werde, sobald mich die Lebewohlfabrik nicht mehr so fest braucht.

Zur Person

Urs Wäckerli kommt am 17. April 1945 in Zürich zur Welt. Er schliesst 1970 sein Biochemiestudium an der ETH als dipl. sc. nat. ab. Von 1971 bis 1977 gondelt er als Musikjournalist und Jazzmusiker durch Europa. Von 1978 bis 1988 arbeitet er als Kulturjournalist und (Musik-)Redaktor für diverse Medien. 1988 gründet er die Allmedia Productions und produziert bis 2013 ca. 100 Auftragsfilme und TV-Spots. Zu seinen wichtigsten Filmarbeiten gehören «Aber auch ich», ein Kino-Dokfilm über das Zürcher Hora-Theater, und «Der Eisbrecher», ein Kurzspielfilm über die Zürcher 1980er-Jahre-Bewegung. 2003 eröffnet Wäckerli den Kulturclub Lebewohlfabrik im Seefeld-Quartier.

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