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Interview

Kampf für die Schwachen oder gefährlicher Zeitgeist?

25. April 2017

1. Mai: Der Tag der Arbeit sorgt jedes Jahr für erhitzte Gemüter. Luca Maggi, Komitee-Sprecher, und Samuel Balsiger, SVP-Gemeinderat, in einem Pro und Kontra.

PRO:

1.-Mai-Sprecher Luca Maggi.

Am 1. Mai kämpfen Minderheiten um ihre Rechte. Das ist laut Komitee-Sprecher Luca Maggi vor allem jetzt nötig, da rechtspopulistische Politiker an die Macht kommen.

An der Kundgebung des 1. Mai kommentiert der prokurdische Politiker Mithat Sancar die Verwandlung der Türkei in ein undemokratisches Präsidialsystem unter Erdogan. Was hat das mit den Schweizer Arbeitern zu tun?
Luca Maggi: Natürlich entspringt der 1. Mai der Arbeiterbewegung. Doch der Anlass hat sich auch zu einem Tag der internationalen Linken entwickelt. Unser Komitee besteht aus über 60 Organisationen, darunter sind auch viele Migranten vertreten. Kurden spielen am 1. Mai traditionsgemäss eine grosse Rolle. Mit Mithat Sancar haben wir einen hochaktuellen Redner eingeladen. Die Verschiebung der Macht auf eine Person, wie dies bei Erdogan der Fall ist, veranschaulicht eine besorgniserregende Tendenz zum Rechtspopulismus, die zurzeit in vielen Ländern stattfindet.

Sie protestieren mit Lenins Motto «Was tun? Nie wieder Faschismus!» gegen ebendiese politischen Veränderungen. Glauben Sie wirklich, dass Trump, Le Pen oder Petry eine neofaschistische Ära einläuten?

Rechtspopulistische Figuren wie diese sind eine Gefahr. Anstatt Leute und Nationen zusammenzubringen, hetzen sie die Menschen gegeneinander auf. Und das immer mit leeren Versprechen für den kleinen Mann. Es ist lächerlich, dass ein Milliardär wie Trump verspricht, dem Volk zu helfen. In der Schweiz ist das nicht anders. Die SVP punktet mit populistischer Hetze gegen Minderheiten. Doch dort, wo ihre Politik wirklich etwas verändert, hilft sie nur den Reichen. Solchen Bewegungen muss man mit Demokratie und Menschenrechten entgegentreten. Denn die Verachtung des Andersseins kann schnell in eine Diktatur kippen.

Was sind die drängendsten Probleme der Arbeitnehmer?

Es geht in erster Linie darum, ihre Rechte gegenüber dem Arbeitgeber zu verteidigen, damit sie faire Löhne, starke Sozialversicherungen, Gesundheitsschutz und eine sichere Rente erhalten. Leider sind in vielen Branchen noch keine Mindestlöhne fixiert. Der unkontrolliert liberalisierte Arbeitsmarkt führt dazu, dass in einigen Branchen zu Dumpinglöhnen gearbeitet werden muss. Das gilt es gesetzlich zu unterbinden.

Die Öffentlichkeit spricht mehr über die Schäden der Chaoten als über die Inhalte des 1. Mai. Kommt Ihre Botschaft überhaupt an?
Das ist eine Frage des Fokus. Es ist schade, dass sich die Medien mehr für ein paar Farbschmierereien als für die Politik interessieren. Am Volksfest auf dem Kasernenareal finden rund 30 politische Veranstaltungen statt. Im 1. Mai-Komitee sind viele engagierte Leute, die versuchen, die Anliegen derjenigen, die in der Gesellschaft nicht zuoberst stehen, zu verbreiten. Aber es ist halt so: Minderheiten müssen für die Aufmerksamkeit mehr kämpfen. (CLA)

KONTRA:

SVP-Gemeinderat Samuel Balsiger.

SVP-Gemeinderat Samuel Balsiger findet, das 1.-Mai-Komitee habe den Bezug zu den Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung längst völlig verloren.

Der Slogan des 1.-Mai-Komitees lautet in Anlehnung an Lenin: «Was tun? Nie wieder Faschismus!». Was halten Sie davon?

Samuel Balsiger: «Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.» Dieses Zitat stammt von einem verstorbenen linken Schriftsteller. Er hatte recht. Es sind auch heute die Linken, die Andersdenkende niederbrüllen und im Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten gleichzeitig eine «bunte» Gesellschaft einfordern. Der Slogan des 1.-Mai-Komitees spiegelt diesen gefährlichen Zeitgeist.

Wie problematisch ist es, eine Figur wie Lenin als Referenz im Einsatz gegen Populismus heranzuziehen?

Lenins Oktoberrevolution kostete bis zu 10 Millionen Menschen das Leben. Aber auf der Internetsite des 1.-Mai-Komitees steht: «Vor rund hundert Jahren brach Lenin in Zürich auf, um die Welt zu verändern. Welchen Fortschritt, von dem wir bis heute profitieren, brachte uns die Oktoberrevolution?» Diese Aussage ist menschenverachtend und relativiert den roten Terror.

Das Politprogramm am 1. Mai bewegt sich zwischen Gesundheitspolitik, Feminismus, Türkei, Palästina, Trump: Was sagen diese Themen Ihrer Meinung nach über die Beziehung zu den Bedürfnissen der Schweizer Arbeitnehmer aus?

Die Arbeitnehmerschaft wird heute von der SVP vertreten – und schon lange nicht mehr von den Linken. Dazu gibt es mehrere wissenschaftliche Studien. Sogar eine von zwei SP-nahen Wissenschaftlern. Die Themenauswahl des 1.-Mai-Komitees zeigt erneut: Die Linken haben überhaupt keinen Bezug zur arbeitenden Bevölkerung.

Sie bezeichneten den 1. Mai auf Twitter als «Randalen-Tag»: Was ist Ihre persönliche Botschaft an die Chaoten und die Teilnehmer der Nachdemo?

Meine Botschaft richtet sich an die geistigen Brandstifter, also an die linken Parteien: Wiegelt eure Strassenkämpfer nicht weiter auf, und bringt eure Klientel von der Gewalt ab!

Sollten das 1.-Mai-Komitee und die Gewerkschaften stärker in die Verantwortung dafür genommen werden, wer da eigentlich mitläuft und mitdemonstriert?
Die freie Meinungsäusserung muss uneingeschränkt möglich sein. Wer allerdings den linksextremen Stosstrupp jahrelang aufhetzt und an fast jedem 1. Mai massivste Schäden verursacht werden, der sollte zur Verantwortung gezogen werden. Der Rechtsstaat muss auch am linken 1. Mai wieder gelten. (JS)

1.-Mai-Wochenende: Umzug und Fest
Die Versammlung für die 1.-Mai-Demonstration ist am Montag um 10 Uhr am Helvetiaplatz. Der Umzug führt durch die Bahnhofstrasse und das Limmatquai bis zum Sechseläutenplatz, wo um 12 Uhr die Kundgebung stattfindet. Als Redner hat das Komitee Professor Mithat Sancar von der prokurdischen Partei HDP eingeladen. Auf dem Kasernenareal findet bereits am Wochenende das
1.-Mai-Fest mit Essensstände aus der ganzen Welt statt.
Samstag, 12–2 Uhr
Sonntag, 12–24 Uhr
Montag, 12–22 Uhr

 

 

 

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