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Interview

«Mit der Tagesschule 2025 decken wir ein Bedürfnis ab»: Marcel Bachmann, Direktor des Schulamtes der Stadt Zürich. Bild: SB

«Lehrer benötigen heute mehr Zeit im Umgang mit Eltern»

Von: Sacha Beuth

25. Oktober 2016

Die Herbstferien sind zu Ende, die Schule hat wieder begonnen. Marcel Bachmann (57), Direktor des Schulamtes, erzählt, welche Anforderungen der heutige Volksschulbetrieb stellt und wie man diese zu bewältigen gedenkt.

Marcel Bachmann, welche Aufgaben hat das Schulamt zu erfüllen?

Marcel Bachmann: Dem Schulamt mit den Bereichen Pädagogik, Support, Infrastruktur und Controlling und Qualitätsmanagement obliegt insbesondere die Führung der Präsidial- und Kanzleigeschäfte der Konferenz der Schulpräsidien. Diese Konferenz mit den sieben Präsidentinnen und Präsidenten tagt jeden Dienstag unter der Leitung des Schulvorstehers Gerold Lauber. Weiter kümmern wir uns um die Bearbeitung der Per­sonalgeschäfte auf Volksschulstufe einschliesslich der Betreuung und der Hausdienste, die Schulentwicklung, die Beratung von Behörden und Amtsstellen sowie die Schulraumplanung.

Und welche Angelegenheiten obliegen Ihnen als Di­rek­tor des Schulamtes?

Ich bin der Geschäftsführer der eingangs erwähnten Konferenz und liefere mit meinen Mitarbeitenden im Schulamt die fachliche Vorbereitung zur Entscheidungsfindung. Zusammen mit den Präsidien des städtischen Konvents der Schulleitungen und des Stadtkonvents stehe ich diesem Gremium in beratender Funktion zur Seite. Weiter vertritt das Schulamt etwa die Interessen der Stadtzürcher Volksschule gegenüber dem kantonalen Volksschulamt und koordiniert kantonale Vernehmlassungen.

Gibt es zwischen Stadt und Kanton unterschiedliche Ansichten?

Grundsätzlich funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Kanton gut. Die Aufteilung der Kosten zwischen Kanton und Gemeinden führt aber regelmässig zu Diskussionen. Der Kanton finanziert lediglich 20 Prozent der Betriebskosten der Stadtzürcher Volksschule, 80 Prozent trägt die Stadt Zürich. Die Steuerung der Volksschule liegt aber zu einem grossen Teil beim Kanton. Er plant zum Beispiel aus Spargründen, die Anstellungen der Schul­leitungen zu kommunalisieren und die entsprechenden Kosten den ­Gemeinden zu übertragen – wahrscheinlich ohne ihnen auch mehr Handlungsfreiheit bei den Anstellungsbedingungen zu übergeben. Aus unserer Sicht ist das der falsche Weg.

In der Öffentlichkeit wird immer wieder diskutiert, ob es in der Volksschule Frühenglisch und Frühfranzösisch braucht. Welche Erfahrungen hat die Stadt Zürich damit gemacht?

Wir haben für die Stadt Zürich keine eigentliche Evaluation zu diesem Thema durchgeführt. In Aussagen von Lehrpersonen lässt sich aber ein Muster erkennen. Demnach sind Kinder, die weniger Talent für Sprachen haben, mit zwei Fremdsprachen überfordert, andere mit mehr Talent lernen einfacher und schneller, profitieren somit von ­dieser Regelung.

Und wenn man Französisch zugunsten von Englisch vom Unterrichtsplan streichen würde?

Dies obliegt dem Kanton bzw. ist Sache der Politik. Persönlich bin ich in dieser Frage gespalten. Einerseits habe ich Verständnis dafür, dass man die unterschiedliche Sprachenkultur der Schweiz pflegen will. Anderseits ist Englisch eine Sprache, die uns sehr tangiert und die an Deutschschweizer Hochschulen je länger, je mehr Platz einnimmt. Mich interessiert aber auch der pädagogische Ansatz: Wann und wie lernt man eine Sprache? Im Sinn von: Wollen wir kleckern oder klotzen? Wenn unsere Schüler Französisch richtig lernen sollen, dann kommt man mangels Anwendungsmöglichkeiten im Alltag nicht darum herum, sie für eine gewisse Zeit in die Romandie oder nach Frankreich zu schicken. Und das kostet entsprechend.

In der Stadt Zürich sorgt die Tagesschule 2025 für Aufregung. Während Linke und Liberale das betreute Mittagessen in der Schule mehrheitlich begrüssen, ist es ­einigen rechtsbürgerlichen Kreisen ein Dorn im Auge.

Ich muss vorausschicken, dass wir mit der Tagesschule 2025 kein einzelnes Familienmodell idealisieren wollen. Wir decken damit lediglich ein gesellschaftliches Bedürfnis ab. In immer mehr Familien sind beide Elternteile berufstätig, oder Alleinerziehende müssen für den Lebensunterhalt aufkommen. 2010 beanspruchten knapp 30 Prozent der Schulkinder in Zürich eine Betreuungsleistung, heute sind es bereits 50 Prozent, und wir rechnen damit, dass es 2025 70 Prozent sein werden. Trotzdem sollen Eltern auch künftig die Wahl haben, ob ihr Kind zu Hause oder in der Schule zu Mittag isst. Allerdings muss man im ersteren Fall sein Kind dann ­jeweils abmelden.

Wie oft ist dies der Fall?

Wir haben bislang in fünf Schulen mit der Umsetzung begonnen. Dabei hat sich gezeigt, dass von den Kindern in der Primarschulstufe ­lediglich knapp 10 Prozent und von denen in der Sekundarschul­stufe 25 Prozent abgemeldet wurden. Das Modell scheint also an­zukommen. Mit 6 Franken pro Mahlzeit und einer guten Betreuung ist es sowohl für Eltern als auch Kinder offenbar attraktiv. Zusätzlich zu diesen Mittagen haben Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder vor und nach Schulschluss für die ungebundenen und kostenpflichtigen Betreuungsangebote der jeweiligen Schule anzumelden. Die Tarife hierfür sind einkommensabhängig.

Schulen sind auch ständig dem Spardruck unterworfen. Welche Auswirkungen hat dies für Stadtzürcher Schüler und Lehrkräfte?

Generell ist es zum Glück so, dass wir in Sachen Ressourcen-Sprechung sowohl bei der Bevölkerung wie bei fast allen politischen Parteien auf viel Goodwill zählen können. Das hat man zuletzt etwa bei den Abstimmungen über den Um- bzw. Neubau der Schulhäuser Heinrichstrasse und Schauenberg ge­sehen, die jeweils mit über 80 Prozent angenommen wurden. Trotzdem sind die Mittel begrenzt, sodass Schulleitungen oder Lehrpersonen auf das eine oder andere Ergänzungsprojekt oder auf Ergänzungspersonal verzichten müssen.

Viele Lehrkräfte klagen schon seit längerer Zeit über den stetig steigenden administrativen Aufwand, den sie bewältigen müssen. Könnte man nicht hier den Aufwand reduzieren und so Geld sparen und Nerven schonen?

Bislang hat mir noch niemand sagen können, welche administrativen Aufgaben man reduzieren soll. Sprechen wir vom administrativen Aufwand, den die Verwaltung verursacht, oder von demjenigen, der direkt in der Schule anfällt? Die Lehrkräfte benötigen heute mehr Zeit im Umgang mit Eltern. Hinzu kommen E-Mail- und SMS-Verkehr, den es früher nicht gegeben hat. Heute betreuen oft zwei oder mehr Lehrkräfte eine Klasse, dies bedingt Absprachen und Gesprächsno­tizen. Gerade der Protokollführung kommt zunehmend grössere Bedeutung zu, da immer mehr Eltern gegen Entscheidungen (Be­no­tun­gen) von Lehrkräften juristisch ­vorgehen.

Die Klassen sind generell kleiner als früher, zusätzlich stehen mehr Lehrkräfte pro Klasse zur Verfügung. Warum genügt heute ein einziger Lehrer nicht mehr?

Ganz einfach, weil erstens die Anforderungen an die Volksschule und zweitens das Bedürfnis der Lehrpersonen nach Teilzeitmodellen gestiegen sind. Ich konnte als Primar­lehrer noch 8 Fächer unterrichten. Heute ist dies für eine Person auf dem verlangten Niveau kaum mehr möglich, zumal auch immer mehr auf die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Kinder eingegangen werden soll. Es läuft zurzeit ein kantonales Projekt mit dem Ziel, weniger Lehrpersonen für eine Klasse zu haben. Das geht in die richtige Richtung! Meine Wunschvorstellung wäre: Zwei Personen pro ­Klasse, die mit ihrer Ausbildung das ganze pädagogische und didak­itsche Spektrum abdecken und bei Bedarf durch Fachpersonen be­raten werden.

Die Schulhäuser werden mit laufend mehr technischen Geräten ausgerüstet, die immer mehr Strom benötigen. Wie passt dies mit der von der Stadt Zürich anvisierten 2000-Watt-Gesellschaft zusammen?

Wir sparen schon heute Energie. So werden neue Schulhäuser nach ­Minergiestandard gebaut. Wir dürfen uns dem technischen Wandel und damit dem Umgang mit PC, Handy, Internet und Social Media aber nicht verschliessen. Wichtig ist, die Geräte und Medien energie­sparend zu nutzen und auszuschalten, statt sie im Stand-by-Modus zu belassen. Diesbezüglich werden die Lehrpersonen geschult. Zudem ist ein guter Teil des von uns genutzten Stroms Ökostrom.

Würden Sie heute noch Unterricht geben oder gar zur Schule gehen wollen?

Ersteres auf jeden Fall, da der Lehrberuf zwar grössere Herausforderungen mit sich bringt, zugleich aber vielfältiger und spannender geworden ist. Der vielfältige Unterricht heute wäre ein Anreiz, wieder Schüler zu sein. Zumal ich an ­meine Schulzeit gute Erinnerungen habe – abgesehen vielleicht von den zwei Wochen vor Zeugnisabgabe wegen der Kategorie «Betragen».

Zur Person

Marcel Bachmann, geboren am 15. 12. 1958 in Stäfa, ist gelernter Maschinenmechaniker. Auf dem zweiten Bildungsweg holte er die Matura nach und war in der Folge 10 Jahre als Primarlehrer im Schul- haus Bühl in Wiedikon tätig. 1997 stiess er zur Schulverwaltung, 2007 wurde er stellvertretender Direktor und 2010 Direktor des Schulamtes der Stadt Zürich. Bachmann lebt in einer Beziehung und hat zwei Kinder im Erwachsenenalter. 

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