mobile Navigation

Interview

Major Hervé Cachelin ist seit 32 Jahren mit Herz und Seele bei der Heilsarmee.Bild: CLA

"Licht und Wärme für die Bedürftigen"

Von: Clarissa Rohrbach

17. Dezember 2013

Singende Heilsarmisten mit ihrer Topfkollekte gehören zum vorweihnachtlichen Bild der Stadt. Major Hervé Cachelin ist Chef der Division Ost und erzählt, wieso es die Heilsarmee braucht, dass sie ein wenig unter einem Helfersyndrom leidet und wieso sie für den Strassenstrich ist.

Tagblatt der Stadt Zürich: Hervé Cachelin, jeder zweite Passant wirft einen Batzen in Ihre Topfkollekte. Weckt Weihnachten in den Menschen ein schlechtes Gewissen?

Hervé Cachelin: Der Dezember ist tatsächlich der traditionelle Spendemonat. Es könnte sein, dass sich die Menschen vor dem Fest des Schenkens vermehrt überlegen, was sie den Bedürftigen geben können.

Während neun Tagen stehen Ihre Leute an insgesamt 21 Zürcher Standorten. Wie viel kommt da zusammen?

Cachelin: Der Ertrag in der Stadt Zürich beträgt rund 400  000 Franken.

Das Geld wird dann für Lebensmittel- und Kleiderabgabe sowie Wohnheime und Betreuungsstellen für die Ärmsten eingesetzt. Wo bleibt da der Grundsatz: «Hilf dir selbst, so hilft dir Gott»?

Cachelin: Grundsätzlich gilt: Jeder sollte sein Leben selber in die Hand zu nehmen. Wir helfen in offensichtlich verzweifelten Situationen erst mal mit einer Mahlzeit und einem Bett, aber das Ziel ist schliesslich die Selbsthilfe. Wir bieten Beratungen an oder verweisen auf Anlaufstellen, wo die Bedürftigen sich mit ihrer Situation konfrontieren können.

Eine Heilsarmee-Kampagne zeigt die verheerende Wirkung eines Schicksalsschlags auf eine Person, die «vom Glück verlassen wurde». Hat das wirklich nur mit Glück oder Unglück zu tun?

Cachelin: Mit dieser Kampagne möchten wir mit dem Vorurteil aufräumen, dass Randständige allein an ihrem Schicksal schuld sind. Es braucht nämlich ganz wenig, um ein Leben aus dem Lot zu bringen. Eine zu happige Zahnarztrechnung kann zum Beispiel einen Schulden-Teufelskreis auslösen. Auch eine Beziehung, die in die Brüche geht, oder eine Midlife-Crisis können schädliches Verhalten hervorrufen. So füllt vielleicht eine verlassene Frau die Leere mit Alkohol oder widmet sich ein frustrierter Mann der Spielsucht.

Im Hauptquartier an der Ankerstrasse findet eine Weihnachtsfeier statt, die offen für alle ist. Wieso ist es wichtig, an Weihnachten nicht allein zu sein?

Cachelin: An Weihnachten erinnert man sich an die Familie, an eine heile Welt, die vielleicht nicht mehr existiert, und merkt stärker, dass einem etwas fehlt. In der dunkelsten und kältesten Jahreszeit gibt uns das Fest Licht und Wärme. Dieses geben wir auch den Bedürftigen.

Wie werden Sie feiern?

Cachelin: Unsere Kinder besuchen uns, das ist ein Ereignis, das wir zu Hause feiern. Aber ich werde auch unterwegs sein, um zu helfen.

Sie haben mit 24 Jahren die Ausbildung zum Heilsarmee-Offizier absolviert. Wieso diese Entscheidung?

Cachelin: Ich fragte mich immer schon nach dem Sinn des Lebens, mit der Heils­armee habe ich ihn gefunden. Helfen, für andere da zu sein, gibt mir am meisten.

Leiden Salutisten unter einem Helfersyndrom?

Cachelin: Jemand, der allen überall helfen will, tut das möglicherweise, um seinen Selbstwert zu steigern. Das ist natürlich problematisch, weil so der Geholfene instrumentalisiert wird. Wir müssen uns kritisch hinterfragen, ob das bei uns der Fall ist. Es kann sein, dass wir zwischendurch aus eigennützigen Motiven helfen. Aber dass «Geben seliger als nehmen ist», hat Jesus schon gesagt. Man freut sich ja immer, wenn man jemandem etwas geben kann. Sie haben bestimmt auch Freude am erstaunten Gesicht einer lieben Person, wenn sie ihr Geschenk unter dem Weihnachtsbaum auspackt.

Die Heilsarmee ist wohl die anerkannteste Freikirche auf der Welt. Woran liegt das?

Cachelin: Wir pflegen nicht nur den Glauben, sondern handeln auch. Zudem übernehmen wir eine Aufgabe, die der Staat nicht erfüllen kann. So ernten wir auch das Vertrauen von Nichtgläubigen, man muss ja nicht fromm sein, um anderen Menschen helfen zu wollen. Zudem arbeiten wir mit starken Bildern: Die Uniformen und das Wappen haben einen grossen Erkennungswert. Auch die Metapher mit dem Topf leuchtet ein: «Gibt Geld in den Topf, wir füllen ihn mit Suppe.»

«Suppe, Seife, Seelenheil» war bereits das Motto, als der Londoner William Booth im 19. Jahrhundert die Heilsarmee gründete. Was hat sich seither verändert?

Cachelin: Wir sind heute in 126 Ländern präsent. Im Vergleich zu früher ist unsere Arbeit vielfältiger und eher auf die örtlichen Gegebenheiten angepasst.

So steht in Zürich das Rahab-Team den Prostituierten zur Seite. Leiterin Cornelia Zürrer forderte kürzlich eine legalen Strassenstrich an der Langstrasse.

Cachelin: Die Stadt war sich zu schnell sicher, mit den Sexboxen das Problem gelöst zu haben. Doch Zürrer stellt fest, dass nun mehr Prostituierte Hilfe suchen und es ihnen auch schlechter geht. Seit der Sihlquai geschlossen wurde, driften sie in die Illegalität und sind vermehrt der Gewalt ausgesetzt. Zürrer appellierte aus diesem Grund, die Wiedereinführung eines legalen Strassenstrichs zu prüfen.

Können gläubige Christen überhaupt unverkrampft über Sex reden?

Cachelin: Christliche Kreise werden einer feindlichen Haltung gegenüber dem Sex bezichtigt. Ich glaube, dass dies nur bedingt stimmt. Sex wird zum Problem, wenn er ohne Respekt, Vertrauen und Kommunikation geschieht. In der Prostitution werden Frauen als Instrumente zur Befriedigung der Lüste gebraucht. Diese Haltung wird von der Pornografie geschürt. Aber eigentlich ist die Suche nach einem solchen Kick ein Zeichen der inneren Leere. Nur so kann ich mir erklären, dass viele Freier Ehemänner sind.

Die innere Leere ist also der Ursprung allen Übels. Muss man diese mit Gott füllen?

Cachelin: In unserem toleranten Zeit­alter gilt: Jeder lebt nach selbst gewählten Werten. Wir laden ein, in Gott den Sinn des Lebens zu finden. 

zurück zu Interview

Artikel bewerten

Gefällt mir 1 ·  
5.0 von 5

Leserkommentare

Keine Kommentare