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Interview

"Man kann Schlaf nicht aktiv herbeiholen"

Von: Ginger Hebel

17. Februar 2015

Schlaflos: Mehr als 25 Prozent der Bevölkerung leiden zeitweise unter Schlafproblemen, Schlaflosigkeit ist das verbreitetste Problem. Daniel Brunner, Spezialist für Schlafmedizin, über Schlafmythen, Powernapping und Schlaftabletten. Und er erklärt, warum die Leute zufriedener sind mit dem Schlaf, je älter sie werden.

Daniel Brunner, mehr als 25 Prozent der Bevölkerung leiden zeitweise unter Problemen im Zusammenhang mit dem Schlaf, knapp 10 Prozent klagen über chronisch gestörten Schlaf. Welches Schlafproblem beschäftigt die Zürcher am meisten?

Daniel Brunner: Schlaflosigkeit, die sogenannte Insomnie, ist das verbreitetste Problem, Frauen sind in der Regel häufiger davon betroffen. Fast jeder Mensch leidet in seinem Leben unter stressbedingten Situationen, die mit Schlaflosigkeit einhergehen, doch die meisten suchen keine Hilfe auf, weil der Zustand meist vorübergehend ist. Bei manchen überdauert die Schlafstörung aber die Stresssituation und wird zu einem eigenständigen chronischen Leiden mit Einschränkung der Lebensqualität.

Wie siehts mit Schnarchen aus?

Die Hälfte der Männer schnarcht und mit der Menopause ebenso viele Frauen, denn weibliche Hormone schützen vor Schnarchen und Atemstörungen im Schlaf. Das normale und regelmässige Schnarchen, aber auch Reden im Schlaf und die Einschlafzuckung sind Phänomene des normalen Schlafs. Schnarchen ist aber sehr oft ein Grund, warum jemand Hilfe im Zentrum für Schlafmedizin sucht, weil es nicht selten die Partnerschaft belastet. Gegen 4 Prozent der Be­völ­kerung leiden an Schlafapnoe, dem krankhaften Schnarchen mit häufigen Atemaussetzern. Langfristig kann eine Schlafapnoe gesundheitliche Konsequenzen haben und bedarf daher einer Ab­klärung.

Kann man jedes Schlafproblem be­handeln?

Man unterscheidet in der Schlafmedizin bis zu 90 verschiedene Schlafstörungen, und für praktisch jede gibt es spezifische und wirksame Therapien. Um die richtige Diagnose zu stellen, ist bei ungefähr der Hälfte unserer Patienten eine nächtliche Schlafregistrierung notwendig. Bei Schlaflosigkeit hingegen liefert die Befragung der Patienten die wichtigsten Informationen zur Diagnose.

Was ist ein guter Schlaf? Ein Schlaf ohne Unterbruch?

Guter Schlaf ist für jeden etwas anderes. Es ist, als würde man fragen, was ein ­gutes Leben ist – das ist individuell. Es gibt Kurz- und Langschläfer, Morgen- und Nachtmenschen. Früher, als es noch kein künstliches Licht gab, hat man ganz anders geschlafen und den Schlaf aufgeteilt. Man ging nach dem Sonnenuntergang ins Bett, durchlebte eine natürliche Wachphase in der Mitte der Nacht und genoss eine Siesta am Tag. Heute haben viele Leute eine fixe Vorstellung davon, wie der Schlaf sein soll, etwa dass man acht Stunden durchschlafen soll, um tagsüber fit zu sein. Wenn der  ­eigene Schlaf diesen Normvorstellungen nicht gerecht wird, reagieren viele Leute verängstigt und entwickeln Schlafprobleme.

Powernapping liegt im Trend. Experten betonen seit langem, dass ein kurzes Nickerchen am Arbeitsplatz die Leistung steigert. Wie lang darf der Powernap sein?

Wichtig bei einer Auszeit am Tag ist die Liegedauer und nicht die Schlafzeit. Für die meisten Leute ist eine Ruhezeit von 5 bis 20 Minuten regenerierend. Liegezeiten von mehr als 30 Minuten machen eher träge. Unabhängig davon, ob man einschläft oder nicht, soll immer ein Timer gestellt werden, damit man sich unbeschwert entspannen kann.

Ist der Schlaf vor Mitternacht der ­beste?

Nein, diese Empfehlung hat wohl eher ein moralisches Ziel. Der Schlaf hat einen fixen Aufbau mit einem sich wiederholenden, etwa 100-minütigen Zyklus, der aus je einer Non-REM- und einer REM-Schlafphase besteht. Dieser beginnt, sobald man einschläft, ob das nun um 22 Uhr ist oder um 2 Uhr. Nachtmenschen wählen bevorzugt eine spätere Bettgehzeit und haben Mühe, früh aufzustehen. Wer früher ins Bett geht, kann länger schlafen und beugt so Schlaf­mangel vor.

Wiener Schlafforscher haben herausgefunden, dass Frauen besser allein schlafen – ohne Partner neben sich im Bett.

Ein Grund kann das Schnarchen sein, das störend wirkt. Auch Bewegungen des Partners haben Einfluss auf den Schlaf. Zudem zeigen Frauen vermehrt Überwachungstendenzen. Ein bekanntes Phänomen ist der sogenannte Ammenschlaf. Wenn Frauen ein Kind geboren haben, sind sie wachsamer, passen auf, was um sie herum passiert, und nehmen Geräusche und Bewegungen stärker wahr.

Wer schläft, der träumt. Manche er­innern sich sehr gut an ihre Träume, ­andere gar nicht. Warum?

Bei manchen Menschen sind die Übergänge zwischen dem Schlaf- und dem Wachzustand abrupt, bei anderen fliessend oder eher harzig. Diese Eigenschaft hat wie die Schlafdauer eine angeborene Komponente. Wir behandeln Personen, die von Albträumen geplagt werden oder die Träume derart intensiv erleben, dass sich diese von einem realen Erlebnis kaum unterscheiden lassen.

Junge Leute können problemlos bis nachmittags ausschlafen, ältere zieht es aus dem Bett. Brauchen sie weniger Schlaf?

Nein, aber ältere Menschen haben weniger die Fähigkeit, den Schlaf in einem Stück zu absolvieren. Sie wachen vermehrt früh auf oder haben nachts eine Wachphase. Eine neue repräsentative Studie aus Lausanne zeigt ein überraschendes Ergebnis: Die Leute sind zufriedener mit dem Schlaf, je älter sie werden. Menschen im Ruhestand sind heute medizinisch gut betreut oder gesund und haben weniger Stress und weniger Sorgen. Wenn belastende Faktoren wegfallen, kann der Schlaf tatsächlich besser werden. Im Ruhestand wird der Schlaf zudem weniger als Zeitverschwendung erlebt, und es wird ein gelassener Umgang mit Schwankungen des Nachtschlafs möglich.

Wer nicht schlafen kann, nimmt eine Schlaftablette – dieser Markt boomt. Sehen Sie darin eine Gefahr?

Schlafmedikamente können eine Entlastung sein und verhindern, dass man in eine negative Spirale ­gelangt und es zu einer chronischen Schlaflosigkeit kommt. Oft haben die ­Betroffenen aber den Wunsch, ohne Tabletten einzuschlafen, und wenden sich an Spezialisten oder suchen alternative Therapiestrategien. Beratungen und Verhaltenstherapien für Schlaflosigkeit sind langfristig die wirksamste und sicherste Therapie. In der Schweiz gibt es aber erst wenige Fachleute für die Behandlung von Insomniepatienten. Weil Abertausende an chronischen Schlafproblemen leiden, ist es gar nicht möglich, allen eine spezifische Behandlung anzubieten. Insofern sind Schlafmittel oft eine praktikable und wirtschaftlich sinnvolle Lösung.

Was tun, wenn man nicht einschlafen kann – aufstehen oder liegen bleiben?

Versuchen einzuschlafen, ist ein Paradoxon. Man kann Schlaf nicht aktiv herbeiholen. Wenn man merkt, dass man angespannt ist, nervös wird und sich im Bett wälzt, sollte man auf jeden Fall das Schlafzimmer verlassen, am Küchentisch sitzend einen Tee trinken oder etwas lesen, bis man eine Einschlafneigung hat. Man sollte besser nicht aufs Sofa liegen, weil man dort schlecht spürt, wann man schläfrig wird, und deshalb oft unbeabsichtigt die ganze Nacht dösend liegen bleibt.

www.sleepmed.ch

 

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