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Interview

Ist seit 2012 Bereichsleiter Betrieb bei den VBZ: Jürg Widmer. Bild: Nicolas Y. Aebi

«Man muss im Verkehr wieder mehr aufeinander achten»

Von: Sacha Beuth

14. März 2017

Laut der neuen VBZ-Schadenstatistik haben die Schadenfälle mit Fahrzeugen der Verkehrsbetriebe insgesamt von 2015 zu 2016 leicht zugenommen. Grund ist neben einer Umstellung bei der Schadenerfassung die vermehrte Unaufmerksamkeit der Passanten und Passagiere, wie Jürg Widmer (56), Bereichsleiter Betrieb VBZ, erklärt.

Die Schadenstatistik 2016 der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) verzeichnete im vergangenen Jahr 1990 Schadenereignisse. Das sind 217 mehr als 2015. Darin enthalten ist der Anstieg bei der Zahl der Unfälle mit Körperverletzung, die um 29 zugenommen hat. Es ereigneten sich auch 18 Stoppunfälle mehr als im Vorjahr (Stoppunfälle sind Unfälle, die sich ereignen, weil das Fahrpersonal wegen eines anderen Verkehrsteilnehmenden einen Notstopp einleiten muss). Dafür nahm die Zahl der Todesfälle von vier auf drei ab.

Auf was ist die generelle Zunahme der Schadenereignisse zurückzuführen?

Jürg Widmer: Zur besseren Relation möchte ich vorausschicken, dass wir im letzten Jahr 324 Mio. Passagiere befördert und dabei 31 Mio. Kilometer zurückgelegt haben. So gesehen, bewegt sich die Zahl der Schadenfälle auf konstantem Niveau. Dass sie etwas zugenommen hat, ist vorab auf die Zunahme bei der Kategorie «Sonstige Schadenfälle» – worunter Bagatellschäden wie kleinere Kratzer zu verstehen sind – zurückzuführen. Diese wiederum ist der neuen Art der Schadenerfassung geschuldet. Während in den Vorjahren noch ein Teil der Schadenfälle gesammelt und manuell erfasst wurde, wird zunehmend jedes Ereignis einzeln und elektronisch dokumentiert. In den übrigen Kategorien liegen die Zahlen in etwa auf Vorjahresniveau.

Warum wurden die Bagatellschäden erst jetzt detaillierter erfasst?

Sobald wir uns 2010 für ein elektronisches Erfassungssystem entschieden hatten, begannen wir fliessend mit der Umstellung. Das geht nicht von heute auf morgen.

Schwerer als die Bagatellschäden dürften die drei Todesfälle wiegen, die es 2016 zu beklagen gab.

Das waren auch für uns ganz tragische Vorfälle. Daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen und Massnahmen zu ergreifen, ist nicht so einfach, da die Ursachen jeweils völlig unterschiedlich waren. Einmal trat ein Fussgänger unvermittelt vor das Tram, einmal kollidierte ein Velofahrer mit einem Tram, und einmal wurde eine Velofahrerin von einem Bus beim Einbiegen von der Strasse auf einen Garagenvorplatz erfasst.

Wie gehen die involvierten VBZ-Mitarbeiter mit einer solchen Situation um?

Sehr unterschiedlich. Einige kommen sofort wieder zur Arbeit, andere werden für einige Zeit krankgeschrieben, und wieder andere wünschen sich jemanden, der sie bei den ersten Fahrten nach dem Unfall begleitet. Wir sind für solche Fälle gerüstet. Es gibt einen Pikettdienst, wo rund um die Uhr mindestens eine Person zur Verfügung steht, die einen betroffenen Mitarbeiter psychologisch versorgen und im Bedarfsfall zur weitergehenden Betreuung an ein Careteam weiterleiten kann. Und wir stellen unseren Mitarbeitenden einen Anwalt bereits für die erste Einvernahme zur Verfügung.

Welche Fahrzeugtypen sind pro Fahrkilometer am meisten in Schadenereignisse involviert, und warum?

Das haben wir nicht aufgeschlüsselt. Nach einem groben Überblick lässt sich höchstens festhalten, dass gemessen zur Anzahl der jeweils eingesetzten Fahrzeuge kein Typ heraussticht – weder positiv noch negativ. Generell kann man sagen, dass die Kollisionsgefahr beim Tram wegen des längeren Bremsweges, und weil es nicht ausweichen kann, grösser ist als beim Bus. Dafür ist bei den Bussen und Trolleys die Bremswirkung stärker, sodass es eher zu Stoppunfällen kommen kann.

Stichwort Stoppunfälle. Wie erklären Sie sich deren Zunahme?

Wir stellen generell fest, dass die Leute oft unaufmerksam sind. Statt auf die Strasse schauen sie aufs Handy, hören Musik oder sind sonst wie gedanklich abgelenkt. Viele Unfälle mit Körperverletzung sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, weil ein Passant unaufmerksam war und der VBZ-Chauffeur deswegen einen Notstopp einleiten musste. So gab es erst vor zwei Wochen im Kreis 11 acht Verletzte nach einem Bus-Notstopp, weil eine Velofahrerin plötzlich vor den Bus fuhr.

Wie kann man die Zahl solcher Stoppunfälle und der Unfälle generell wieder senken?

Man muss im Verkehr wieder mehr aufeinander achten, den Blickkontakt suchen. Und man sollte als Passagier unsere Sicherheitstipps befolgen. Also sich etwa im Fahrzeug umgehend hinsetzen, wenn man die Möglichkeit dazu hat. Sich richtig festzuhalten, wenn man stehen muss. Oder gerade für ältere Personen: Nicht zu früh aufstehen, nur weil man befürchtet, an der gewünschten Haltestelle nicht rechtzeitig aussteigen zu können. Um die Situation zu verbessern, haben wir letztes Jahr die Kampagne «Sicher unterwegs» mit Präventionstrainings und -fahrzeugen lanciert. Nun sind in vielen Fahrzeugen blaue Plakate und Flyer angebracht, die die wichtigsten Sicherheitstipps enthalten.

Wie stehen die VBZ bezüglich der Schäden im nationalen und internationalen Vergleich da?

Wir ziehen keine Vergleiche, weil in Bern, Basel oder Berlin andere Bedingungen für den ÖV herrschen. Aber wir arbeiten ständig an Verbesserungen. Sei es durch vermehrte Schulungen oder durch technische Massnahmen, etwa durch den Einbau einer zusätzlichen Lampe an der Stirnseite der Cobratrams, die bei bestimmten Kreuzungen und Haltestellen orange zu blinken beginnt und so die Sichtbarkeit verbessert.

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Leserkommentare

Martin A. de Zurich - Vielleicht müsste sich die VBZ bezüglich Aufmerksamkeit auch mal an der eigenen Nase nehmen - wenn ich nur daran denke, wie oft die Busfahrer auf offener Strecke bremsen, damit sie sich gegenseitig faxenreich zuwinken und grüssen können. Was, aus einer
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Vor 7 Jahren 2 Wochen  · 
Noch nicht bewertet.

Heinz Stoob - Ein bisschen Fahrplan anpassen um den Stress für die Fahrer zu gewähren währe schon ein Anfang ! Das heisst mehr Fahrzeit und dafür die Anschlüsse verbessern ! Würde dem Fahrgast auch weniger Zeit in Anspruch nehmen und somit haben alle was davon .

Vor 7 Jahren 1 Woche  · 
Noch nicht bewertet.