mobile Navigation

Interview

Experte in Erbrechtsfragen: Rechtsanwalt David Knecht von Giger & Partner, domiziliert an der Nüschelerstrasse 49. Bild: Sacha Beuth

Mehr Freiheit beim Nachlass

Von: Sacha Beuth

10. Januar 2023

Seit dem 1. Januar 2023 ist das revidierte Schweizer Erbrecht in Kraft. Das «Tagblatt» erklärt zusammen mit Rechtsanwalt David Knecht von Prof. Giger & Partner mittels eines Ratgebers die wichtigsten Neuerungen. Im Fokus stehen Änderungen beim Pflichtteil und bei Schenkungen. 

Weshalb wurde das Schweizer Erbrecht überhaupt revidiert?

David Knecht: Hauptsächlich wollten Bundesrat und Parlament mit der Revision des über hundertjährigen Erbrechts den veränderten Situationen des Zusammenlebens und des Zivilstandes nachkommen. Vor 100 Jahren gab es – zumindest offiziell – keine Konkubinatspaare. Ebenso wenig waren Scheidungen oder der Unterhalt unehelicher beziehungsweise nichtleiblicher Kinder ein Thema. Nun vergrössert der Gesetzgeber dem Erblasser die Möglichkeit, andere Personen oder Institutionen (stärker) zu berücksichtigen.

Seit diesem Jahr entfällt bei einem Nachlass der Pflichtteil an die Eltern vollständig, auch wenn der Verstorbene keine Ehepartner und keine Kinder hinterlässt. Was bedeutet dies?

Nachdem bereits in den 1980er Jahren der Pflichtteil für Geschwister entfiel, wurde auch hier das Gesetz den aktuellen Realitäten angepasst. In der Regel sterben die Eltern eines Erblassers früher als er selbst. Zudem dürften nur die wenigsten Eltern in einem solchen Fall den Pflichtteil wirklich benötigen. In der Praxis dürften von Wegfall des Eltern-Pflichtteils bei kinder- und ehepartnerlosen Verstorbenen vor allem der Konkubinatspartner profitieren. Aber Achtung: Damit Letzterer zum Zuge kommt, muss zu Lebzeiten des Erblassers ein Erbvertrag mit dem Konkubinatspartner erstellt worden sein. Fehlt dieser, erbt der verbliebene Konkubinatspartner – anders als ein Ehepartner – nichts.

Für Nachkommen ist der Pflichtteil von drei Vierteln nun auf die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs reduziert worden. Wie sieht das konkret anhand eines Beispiels aus?

Nehmen wir als Basis einen verbliebenen Ehepartner und zwei gemeinsame Kinder bei einem Nachlass von 400 000 Franken, von dem 200 000 Errungenschaft aus der Ehe und 200 000 Eigengut des Verstorbenen sind. Vor der Revision betrug der Pflichtteil für die Nachkommen Dreiviertel der Hälfte des Eigenguts, also pro Kind 37 500 Franken, plus Dreiviertel von der Hälfte von der hälftigen Errungenschaft, also pro Kind 18 750 Franken. Dies ergibt total pro Kind einen Pflichtteil von 56 250 Franken. Seit diesem Jahr beträgt der Pflichtteil aber nur noch 37 500 pro Kind (200 000 Franken Eigengut minus 50%, davon wiederum die Hälfte Pflichtanteil geteilt durch 2 Kinder zuzüglich 50 % der Hälfte der hälftigen Errungenschaft geteilt durch 2 Kinder).

Trotzdem empfiehlt es sich, nach wie vor im Testament oder Erbvertrag zu regeln, dass die Kinder erst erben, wenn beide Eltern gestorben sind. Warum?

Durch das sogenannte Prinzip der Meistbegünstigung soll verhindert werden, dass vererbte Unternehmen auseinandergerissen oder der verbliebene Elternteil aus der gemeinsamen Liegenschaft ausziehen muss. Das heisst, der verbliebene Elternteil kann über den Nachlass verfügen, hat aber grundsätzlich das Erbe der Kinder zu wahren. Stirbt dann auch der verbliebene Elternteil, beträgt der Pflichtteil für die Nachkommen insgesamt die Hälfte des Gesamtnachlasses. Zuvor waren es Dreiviertel.

Neu entfällt bei laufenden Scheidungen der Pflichtteil für den künftigen Ex-Partner ganz. Wieso diese Änderung?

Bisher war es so, dass erst mit Datum des Scheidungsurteils der Anspruch des vormaligen Partners auf das Erbe entfiel. Das heisst, starb der Erblasser vor Ende der Scheidungsphase, war der Ex-Partner – selbst wenn beide getrennt gelebt hatten – erbberechtigt. Das dürfte in den wenigsten Fällen im Sinne des oder der Verstorbenen gewesen sein. Heute ist der Pflichtteil für den Ex-Partner entziehbar, sofern ein gemeinsames Scheidungsbegehren gestellt wurde oder wenn die beiden Personen mindestens zwei Jahre getrennt gewohnt hatten. Damit soll verhindert werden, dass Scheidungsverfahren von einer Seite wegen der Aussicht auf Erbe verzögert werden können. Allerdings muss besagter Pflichtteilentzug testamentarisch festgehalten werden. Ansonsten bleibt der Erbanspruch des Ex-Partners wie vor der Gesetzesänderung bestehen.

Was ist zu tun, wenn schon vor dem 1. Januar 2023 ein Testament geschrieben und beglaubigt wurde?

Vor Inkrafttreten der Revision erstellte Testamente und Erbverträge bleiben grundsätzlich gültig. Wenn jedoch jemand auf den Pflichtteil gesetzt wurde, gelten wie bei allen anderen Anpassungen die Werte des neuen Gesetzes. Entspricht dies dann nicht mehr dem Sinne des Erblassers, bleibt einem nichts anderes übrig, als die Passagen entsprechend abzuändern oder gar ein neues Testament zu schreiben. Allgemein empfehle ich, spätestens alle zehn Jahre ein Testament zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen, da sich die Umstände und Beziehungen zu Personen mit der Zeit ändern können.

Kann man dies selbständig tun oder ist dafür die Hilfe eines Fachmanns, sprich Rechtsanwalts oder Notars, nötig?

Einfache Anpassungen kann man durchaus selber ausführen. Wichtig sind klare Formulierungen. Weil der Teufel aber nicht selten im Detail steckt, empfehle ich im Zweifel einen Fachmann – etwa den Amtsnotar am Wohnsitz – beizuziehen. Aus meiner beruflichen Erfahrung weiss ich, dass bei Testamenten, die Interpretationsspielraum bieten, Ärger vorprogrammiert ist. Und dann oft kostspielige Verfahren nach sich zieht.

Hat man bezüglich Pflichtteil mehr Handhabe, so wurden die Möglichkeiten bei den Schenkungen nach Abschluss eines Erbvertrags eingeschränkt. Was hat sich genau verändert?

Neu ist jede Schenkung, die keine Gelegenheitsschenkung darstellt, anfechtbar. Unter einer Gelegenheitsschenkung versteht man etwa ein normales Weihnachtsgeschenk, das den Vermögensverhältnissen des Schenkenden und des Beschenkten entspricht. Als Richtwert kann man sich an einem Betrag von maximal 5000 Franken orientieren. Also sicher keine Autos oder Immobilien. Bei Schenkungen gilt nach wie vor, dass die Pflichtteile der Erbberechtigten nicht angetastet werden dürfen.

Manchmal hinterlässt einem ein Erblasser statt eines Vermögens eine Schuldenlast. Gibt es auch hier Neuerungen im Gesetz?

Nein. Wer ein Erbe antritt, übernimmt wie bisher sowohl Vermögen wie Schulden. Ein Erbberechtigter kann aber innerhalb von drei Monaten ab Kenntnis des Todesfalls ein Erbe ausschlagen. Ist nicht klar, ob am Schluss etwas übrig bleibt, kann man innerhalb eines Monats ein öffentliches Inventar beim Bezirksgericht verlangen. Darauf müssen sich alle Gläubiger innert der vom Bezirksgericht gesetzten Frist melden und ihre Ansprüche geltend mache. Tun sie das nicht, entfällt deren Anspruch auf die jeweilige Schuld. Nach Ablauf der Frist können sich die potenziellen Erben immer noch entscheiden, ob sie das Erbe annehmen oder nicht.

zurück zu Interview

Artikel bewerten

Gefällt mir 3 ·  
5.0 von 5

Leserkommentare

Keine Kommentare