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Interview

Krebspatienten könnte laut einer deutschen Forscherin mit Methadon wesentlich geholfen werden. Bild: ClipDealer

Methadon gegen Krebs: Unispital fehlt der Beweis

Von: Sacha Beuth

20. Juni 2017

MEDIZIN Kürzlich zeigte das ARD-Magazin «Plus/Minus» einen Beitrag, in dem eine deutsche Ärztin durch Abgabe von Methadon die Behandlung von Krebs wesentlich verbesserte. Doch ihre Kollegen und die Pharmaindustrie geben sich unbeeindruckt. Michael Weller (54), Direktor der Klinik für Neurologie am Unispital, kennt die Gründe.

Der «Plus/Minus»-Beitrag über Methadon als unterstützendes Mittel bei der Krebsbehandlung (siehe Box) sorgt auf hiesigen Social-Media-Plattformen für riesiges Aufsehen. Hat die deutsche Chemikerin Claudia Friesen tatsächlich eine weltbewegende Entdeckung gemacht?

Michael Weller: Das glaube ich nicht. Dafür wurden noch zu wenige ernsthafte Versuche unternommen, die bisherigen Ergebnisse und Erkenntnisse in einer klinischen Studie zu untermauern. Es ist auch ethisch fragwürdig, wenn man bei Krebspatienten zu früh grosse Hoffnungen weckt, wo vielleicht gar keine sind. Ausserdem habe ich noch nie erlebt, dass ein Mittel bei allen Krebsformen funktioniert. Darin dürfte auch der Grund liegen, warum die Ergebnisse von Frau Friesen in der Fachwelt zum Teil skeptisch betrachtet werden.

Liegt der Grund hierfür nicht vielmehr darin, dass Pharmakonzerne mit Methadon viel weniger Geld verdienen als mit eigenen Krebsmitteln, die das Tausend- bis Zehntausendfache kosten?

Nein. Man darf der Pharmaindustrie auch kritisch gegenüberstehen, aber in diesem Fall wird sie zu Unrecht zum Sündenbock gestempelt. Sie versucht, eigene Mittel zu entwickeln, die gezielt gegen Krebs wirken. Diese Forschung ist extrem kostspielig. Von 20 Projekten schafft es am Schluss vermutlich nur eines zur Zulassung. Das bedeutet auch, dass dieses Mittel dann die Kosten für die Fehlversuche tragen muss. Man kann der Pharmaindustrie somit nicht verübeln, dass sie Methadon ignoriert. Das Mittel gibt es ja schon, wenn es auch für einen anderen Zweck entwickelt wurde. In dieser Situation ist eigentlich eher die öffentliche Hand wie der Schweizerische Nationalfonds oder Patientenorganisationen wie die Schweizerische Krebsliga gefordert.

Mehrere Krebspatienten, die mit Methadon behandelt wurden, haben aber dessen positive Wirkung bestätigt. Sogar eine Frau, die an einem als unheilbar geltenden Glioblastom litt. Alles nur Zufall?

Zumindest ist es kein Beweis für eine allgemeine Wirkung. Damit ein Mittel als Medikament zugelassen wird, muss es grob gesagt fünf Testphasen überstehen. Die erste ist das Zellkulturexperiment, die zweite der Tierversuch, die dritte die Verträglichkeit beim Menschen, die klinische Phase 1. In der vierten – der klinischen Phase 2 – muss man einen Hinweis auf die Wirksamkeit bekommen und Kriterien der Wirksamkeit klar definieren. Zu guter Letzt folgt dann als fünfter Punkt die klinische Phase-3-Stufe, in der durch einen Vergleich mit der bisherigen Standardbehandlung eine Resultatverbesserung gezeigt werden muss. Für derartige onkologische Studien ist je nach Krankheit eine unterschiedliche Zahl an Patienten nötig, in der Regel zwischen 200 und 1000, bei seltenen Krankheiten dürfen es auch weniger sein. Dieses normierte Vorgehen stellt sicher, dass nur gesichert wirksame Medikamente breit zum Einsatz kommen und erstattet werden. Frau Friesen müsste nun den Schritt in eine Phase-2-Studie wagen.

Die Universität Zürich bzw. das Unispital könnten Frau Friesen darin unterstützen. Sie müssten doch nicht nur ein Interesse, sondern auch die finanziellen Mittel dafür haben.

Die Universität Zürich verfügt selbst nicht über Mittel zur Durchführung von klinischen Studien. Auch wir müssen für alle unsere eigenen Projekte Geldmittel einwerben und würden nicht unsere eigene Forschung ohne Weiteres einstellen, weil andernorts über eine neue erfolgreiche Krebstherapie berichtet wird. Wenn Zürich aber zur Teilnahme an einer gut geplanten klinischen Studie zu Methadon beim Glioblastom eingeladen würde, würden wir das sicher in Erwägung ziehen.

Führt eigentlich die Einnahme von Methadon auch zu Nebenwirkungen, und falls ja: Wie äussern sich diese?

Das ist grundsätzlich eine Frage der Dosis. Grösstes Problem bei Opiaten ist die Verstopfung, gelegentlich kann es auch zu Kopfschmerzen kommen. Über die psychischen Langzeitfolgen wird gestritten. Eine physische Abhängigkeit ist ebenfalls möglich. Je nach Lebenserwartung der Krebspatienten – da gehe ich mit dem TV-Beitrag überein – dürfte dies das kleinere Übel sein, zumal auch Chemotherapie und Bestrahlung beträchtliche Nebenwirkungen haben können.

Infos zum Krebs und zum «Plus/Minus»-Beitrag

Jedes Jahr erkranken rund 40 000 Personen in der Schweiz neu an Krebs, und jedes Jahr sterben über 16 000 Personen an einer Krebsform, was Krebs zur zweithäufigsten Todesursache in unserem Land macht. Kein Wunder, besteht ein grosses Interesse nach einem Heilmittel. Die Ulmer Gerichtsmedizinerin Claudia Friesen ist überzeugt, eines gefunden zu haben. In einem Beitrag der ARD-Sendung «Plus/Minus» vom 12. 4. 2017 hebt sie Methadon hervor, das die Chemotherapie wesentlich unterstützen soll. Bei Zellkultur-Experimenten konnte sie dokumentieren, dass Krebszellen bei einer Chemotherapie mit Methadonzugabe vollständig abgetötet werden konnten, während bei einer Therapie ohne Methadon die Zellen nur zu 10 Prozent ansprachen. Den ganzen ARD-Beitrag gibts hier.

 

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