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Interview

Wird die Gesellschaft besser, wenn inakzeptable Fantasien virtuell ausgelebt werden können? Die Zukunftsforscherin Marta Giralt geht dieser Frage mit ihrem Projekt nach. Bild: PD

Sexdelikte im virtuellen Raum

Von: Stine Wetzel

23. Oktober 2018

Digitale Technologien vereinfachen den Alltag – haben aber auch ihre dunklen Seiten. Die britische Zukunftsforscherin Marta Giralt ist anlässlich des Digitaltags mit ihrem Projekt Virtual X in Zürich. Mit ihren Sex-Dummies nimmt sie kritisch vorweg, zu was die Pornoindustrie mit neuer Technologie in naher Zukunft fähig sein wird: zum Beispiel zu simulierten Vergewaltigungen.

Sie haben Prototypen entworfen, mit denen Nutzer sexuell interagieren können, während sie einen 3-D-Porno gucken. Mit Ihrem Projekt wollen Sie die Ambivalenz neuer Technologien wie VR (virtuelle Realität) aufzeigen, aber geben Sie nicht auch die ­Vorlage für den Markt?

Marta Giralt: Als ich das Projekt entwarf, gab es Ähnliches bereits – es war einfach noch nicht für jeden zugänglich. Wenn man sieht, wie die Pornoindustrie heutzutage funktioniert, war es nur eine Frage der Zeit, bis das Projekt Wirklichkeit wird. Virtual X ist aber auch eine Kritik am Gesetz: Regulierung hinkt bisher immer hinterher, greift nämlich erst dann, wenn bestimmte Technologien schon einen Konflikt in der Gesellschaft hervorgerufen haben. Solche Auseinandersetzungen könnten viel eher passieren.

Der Konflikt lautet: Ist virtuell ­erlaubt, was es im realen Leben nicht ist? Vergewaltigungen etwa. Sie haben eine Entwicklung vorweggenommen, die beängstigend ist, oder?

Absolut. Aber auch wenn das virtuelle Erleben einer Vergewaltigung schockierend und inakzeptabel klingt, sollten wir bedenken, dass es ein Ventil für Menschen mit solchen sexuellen Fantasien und Begierden sein könnte. Wirklich Angst macht mir eigentlich nur, wenn diese Erlebnisse ausser Kontrolle geraten und zu einer Form sexueller Erziehung werden würden – wie es heute etwa online verfügbare Pornos sind. Extreme VR-Pornos sollten nicht so einfach zugänglich sein, wie es heute Hardcore-Pornoseiten im Internet sind.

Die Frage ist auch, wie derlei Pornografie überhaupt reguliert werden kann. Wer ist in der Pflicht?

Ich finde, dass jeder, der neue Technologien entwickelt, auch für deren Einfluss auf die Gesellschaft und für die Konsequenzen verantwortlich ist. Aber: Sobald man eine Technologie mit dem Internet verknüpft, wird es wirklich kompliziert, sie zu kontrollieren. Hier wären also jene, die auch Porno-Websites regulieren, am Drücker. Nichtsdestotrotz sollte jeder Einzelne eine kritische Haltung zu Technologien entwickeln. Viele Technologien akzeptieren wir so mir nichts, dir nichts in unserem Leben.

Woher kommt Ihr Interesse für neue Technologien und wie die Pornoindustrie sie verwendet?

Ich fand es schon immer beeindruckend, wie die Menschheit Technologie einsetzt, um die unerwartetsten Dinge zu tun. Vor einiger Zeit las ich «Sex and Love with Robots» von David Levy, und fand den Gedanken krass, dass Sexroboter mal eine Bedeutung in unserer Gesellschaft haben werden. Dann begann ich mich mit Pornografie und damit, wie die Pornoindustrie die ersten 360°-Erlebnisse entwickelt, zu beschäftigen. Das hat mich dazu gebracht zu fragen, wie die Technologie in Zukunft aussehen wird, und so kam ich zu meinem Projekt.

Waren Sie überrascht, zu sehen, was die Pornoindustrie mit der neuen Technologie macht?

Ehrlich gesagt, habe ich das erwartet. Ich hatte mich schon vor dem Projekt mit der Geschichte der Pornoindustrie auseinandergesetzt und wusste, welche enge Verbindung diese Industrie zu technischen Entwicklungen hat. Eigentlich ist es erstaunlich, wie sehr die Pornoindustrie Technologien vorantreiben – oder ihnen ein Ende bereiten kann.

Ist das Szenario der künftigen Pornografie, das Sie entwarfen, unvermeidbar?

Leider ja. Seit Pornografie online so einfach verfügbar ist, müssen Produzenten extremer werden und immer unmittelbarere Erlebnisse bieten, um sich von den anderen Firmen abzuheben. Traurigerweise sind Vergewaltigungsszenen in der Pornografie heute sehr verbreitet. Wenn Pornografie in die virtuelle Welt abwandert, wird sich an den heutigen Inhalten wohl nicht viel ändern.

Die zentrale Frage ist: Wird die Gesellschaft ein besserer Ort, weil Nutzer inakzeptable Fantasien virtuell ausleben können, oder geht alles den Bach runter, weil Nutzer zu Praktiken im echten Leben ermutigt werden?

Auf der Suche nach dieser Antwort ist mein Projekt entstanden. Die Wissenschaft kam bisher zu keinem richtigen Schluss, weil die VR-Technik bisher noch nicht perfekt funktioniert: Die Hardware ist immer noch schwerfällig und teuer, Nutzern wird schwindlig, wenn sie aus der virtuellen Realität kommen, die Softwares haben immer noch einen Weg vor sich, bevor sie wirklich komplett reale Abbilder der Realität zeigen.

Wie lautet denn Ihre Antwort auf die Wirkungsfrage? Zuvor wurde diskutiert, ob Gewalt in Videospielen gewalttätig macht. Sieht das nicht beim Hardcore-Porno ähnlich aus?

In vielerlei Hinsicht gibt es Parallelen. Trotzdem denke ich aber, dass simulierte extreme Sexerlebnisse einen anderen Einfluss auf Menschen haben als Videospiele.

Es geht um Grenzen: Wie weit kann (und darf) man mit virtueller Realität gehen. Darin eingelagert ist die Frage, ob virtuelle Realität Wirklichkeit ist oder nicht. Was meinen Sie?

Absolut. Virtuelle Realität ist eine Verlängerung der Wirklichkeit, eine Fantasie, eine andere Welt. Aber die Inhalte haben stets ihren Ursprung im Kopf eines realen Menschen. Auch wenn die Umgebung computergeneriert ist, im Moment des Erlebens bist du komplett umgeben davon, und sie wird zu deiner einzigen Wahrheit (selbst wenn du im Hinterkopf weisst, dass es sich nicht um die reale Welt handelt). Ich denke, solange das Erlebnis überzeugend ist und du komplett darin eintauchen kannst, dann ist es real.

Virtual X ist neben vielen anderen ­zukunftsgewandten Projekten vom 25. bis 27. Oktober (Do 10 bis 22 Uhr, Fr 10 bis 20 Uhr und Sa 10 bis 17 Uhr) in der Ausstellung «Creative Machines» am Digitaltag an der ZHDK auf dem Toni-Areal zu sehen. Die Ausstellung ist kostenlos und Teil der Fachkon­ferenz Expanding Immersive Design.

Sagen Sie uns Ihre Meinung zum Thema: echo@tagblattzuerich.ch

Der zweite Schweizer Digitaltag in Zürich

Am 25. Oktober öffnen etliche Partnerunternehmen des Digitaltags unter dem Motto «Digital gemeinsam erleben» ihre Türen. Die ETH bietet beispielsweise Programmierworkshops für die Bevölkerung an, und Spitäler zeigen, wie sie die Digitalisierung umsetzen. Am Zürcher Hauptbahnhof finden Diskussionsrunden zu den Themenschwerpunkten Gesundheit, Arbeitswelt, Mobilität und künstliche Intelligenz statt. Ausserdem gibts ein moderiertes Bühnenprogramm am HB, dazu einen Livestream. Unter anderem im Programm: ein Hausbau mit der VR-Brille, Talks wie «Ist Gott online?» oder «Ist Facebook die neue Tagesschau?», Physiotherapie-Coach der Zukunft mit Mixed Reality und eine simultane Tanzperformance zwischen Hongkong und Zürich.

www.digitaltag.swiss

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