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Interview

Die Deutsche Jana Waser (o.r.) und der Italiener Francesco Genova (u.r.) bilden das aktuelle Co-Präsidium des Ausländerinnen- und Ausländerbeirats (ABR). Sie vertreten die Interessen der ausländischen Bevölkerung in der Stadt Zürich. Die Mitglieder des ABR, v.l.n.r: Anita Platzer, Frerk Froböse, Jana Waser, Yuxiang Xu, Brittany Rodriguez, Chantico Ledesma Alba.Bilder: PD

Sprachrohr für die Ausländer

Von: Ginger Hebel

28. Dezember 2021

Politik: Der Ausländerbeirat vertritt die Zürcherinnen und Zürcher ohne Schweizer Pass und vermittelt dem Stadtrat Anliegen und Bedürfnisse. Interessierte dürfen sich ab Januar für die Neuwahl bewerben.

Jana Waser und Francesco Genova bilden das aktuelle Co-Präsidium des Ausländerinnen- und Ausländerbeirats (ABR). Sie vertreten die rund 140 000 Ausländerinnen und Ausländer, die in der Stadt Zürich leben, darunter 170 Nationalitäten.

 

In Zürich bilden Ausländerinnen und Ausländer einen Drittel der Bevölkerung. Sie haben kein Stimm- und kein Wahlrecht. Wofür setzt sich der Ausländerbeirat konkret ein?

Jana Waser & Francesco Genova: Der ABR ist in Arbeitsgruppen zu den Themen Alter & Gesundheit, Berufs- & Arbeitsleben, Kommunikation & Teilhabe, Schule & Elternhaus sowie Soziales & Sicherheit organisiert und arbeitet an diesen Themen mit den Departements der städtischen Verwaltung. Einmal im Jahr findet ein Treffen mit dem Stadtrat statt, bei dem wir unter anderem die Situation der Sans-­Papiers in Zürich vorstellten und empfahlen, eine «City Card» zu prüfen, ein «Konsultatives Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer» forderten oder eine Stärkung von ausländischen Eltern mit Wissen über das Schweizer Schulsystem. Seit dem hartnäckigen Engagement des ABR ist Zürich der Städtekoalition gegen Rassismus beigetreten. Auch wurde die Behördeninitiative des Stadtrats sowie das Projekt Schulbotschafter/-innen des Schul- und Sportdepartements lanciert.

Warum engagieren Sie sich im Ausländerbeirat?

Waser: Ich selbst bin in den Jahren der Schäfchenplakate in die Schweiz gekommen, als SRF Reportagen wie «Achtung, die Deutschen kommen» zeigte. Solche Erlebnisse haben mich politisiert. Plötzlich war ich eine Steuern zahlende Ausländerin ohne Stimm- und Wahlrecht mitten in einer direkten Demokratie. Mir war klar, dass ich als Deutsche noch zu den Gewinnerinnen der ausländischen Bevölkerung zähle. Es ist mir wichtig, mich für die Integration von ausländischen Personen einzusetzen und ihnen ein Sprachrohr zu sein.

Genova: Weil ich der Ansicht bin, dass die Ausländerinnen und Ausländer in dieser Stadt gehört werden müssen und ein Sprachrohr brauchen, denn sie sind ein wesentlicher Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Ich möchte ihre Anliegen vertreten.

Mit welchen Problemen sehen sich Ausländerinnen und Ausländer in Zürich konfrontiert?

Waser: Es ist deutlich festzustellen, dass in dieser Bevölkerungsgruppe ein Informationsdefizit vorliegt. Viele wissen nicht, dass es für ihr Problem bereits ein Angebot in der Stadt Zürich gibt, das grösstenteils gratis ist. Ein brennendes Thema ist der niederschwellige Zugang zum Beratungsangebot der Stadt und der Bekanntheit, insbesondere bei Migrantinnen und Migranten. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass man einen grossen Teil der Bevölkerung einfach nicht erreicht. Dies gilt nicht nur betreffend Impfungen, sondern zieht sich schon immer durch alle Lebensbereiche wie Schule, Bildung oder Gesundheit. Auch die politische Partizipation ist ein schmerzliches Thema: So hat rund die Hälfte der 30- bis 39-jährigen Stadtzürcherinnen und -zürcher keinen Schweizer Pass und kann weder wählen noch abstimmen. Gleichzeitig werden 31,1 Prozent der Zürcher Gemeindesteuern von Ausländerinnen und Ausländern bestritten.

Genova: Ein grundlegendes Problem ist nebst dem Rassismus und der Diskriminierung das fehlende Mitspracherecht auf politischer Ebene. Deswegen wäre die Einführung eines Stimm- und Wahlrechts für Ausländerinnen und Ausländer ein wichtiger Schritt in dieser Stadt, um ihnen die nötige Wertschätzung entgegenzubringen. Ein weiteres Problemfeld ist der erschwerte Zugang zum Bildungssystem. Trotz der Anstrengungen der Schulbehörde fehlt es an einem gleichberechtigten Zugang zum Bildungsangebot.

Was sind die grössten Herausforderungen in diesem Amt?

Waser: Viele Belange, die auch Ausländerinnen und Ausländer betreffen, werden auf kantonaler Ebene geregelt. Selbst wenn die Stadt Zürich in der Migrations- und Integrationspolitik modern und weitsichtig agiert, gibt es immer wieder Widerstand auf kantonaler Ebene, wie betreffend Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer oder Personen ohne Schweizer Pass im Polizeidienst. Zum anderen ist es herausfordernd, die unterschiedlichen Interessen der 25 Mitglieder des ABR unter einen Hut zu bringen, Schwerpunktthemen zu setzen und an diesen zu arbeiten.

Genova: Die grösste Herausforderung ist es, die Anliegen der ausländischen Bevölkerung gegenüber den Behörden zu vertreten. Ich bin überzeugt, dass die Mitsprache der ausländischen Bevölkerung für alle ein Gewinn ist. Ausländerinnen und Ausländer werden oft als Problem wahrgenommen, tatsächlich sind wir aber eine wertvolle Ressource für die Gesellschaft. Neben Pflichten sollten wir auch Rechte haben, insbesondere auf ein respektvolles Zusammenleben ohne rassistische und diskriminierende Erfahrungen, vor allem im Kontakt mit der städtischen Verwaltung, der Politik und den Sicherheitsbehörden.

Die Stadt Zürich sucht ab Anfang Januar Kandidatinnen und Kandidaten für die Neuwahlen. Was möchten Sie dem zukünftigen Beirat mit auf den Weg geben?

Waser: Es ist eine einmalige Chance. In diesem Amt wird die Möglichkeit geboten, dem Stadtrat Anliegen der ausländischen Bevölkerung mitzuteilen. Man ist Teil von städtischen Gremien wie der Altersstrategie oder der Frühförderung und kann sich aktiv einbringen.

Genova: Habt Visionen, bleibt hartnäckig, habt Mut, seid stolz auf das, was ihr seid und erreicht habt, beweist Durchhaltevermögen und hört nicht auf zu träumen.

Neuwahlen:

Der Ausländerinnen- und Ausländerbeirat der Stadt Zürich (ABR) besteht seit 2005 und ist eine beratende Kommission des Stadtrates. Er vermittelt Anliegen und Bedürfnisse der ausländischen Bevölkerung in der Stadt Zürich und unterstützt auch die städtische Verwaltung bei integrationspolitischen Fragen. Er leistet Beiträge zu Gunsten der Integration und setzt sich für ein gutes Zusammenleben zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt Zürich ein. Das Engagement der Mitglieder des Beirats ist ehrenamtlich. Die offiziellen Sitzungen werden analog zu den anderen vom Stadtrat bestellten Kommissionen entschädigt. Grundvoraussetzung ist, dass die Kandidierenden keinen Schweizer Pass haben und in Zürich wohnen.

Weitere Informationen:
www.stadt-zuerich.ch/auslaenderbeirat

 

 

 

 

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