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Interview

Zeigt, wo man im Zoo Zürich der Verbreitung der Vogelmalaria auf den Grund geht: Direktor Severin Dressen vor einer Mückenfalle bei einer Eulenvoliere. Bild: SB

Tierische Studien mit mehrfachem Nutzen

Von: Sacha Beuth

09. Juli 2024

QUARTALSINTERVIEW Der Zoo Zürich ist aktuell in rund 70 Forschungsprojekte involviert. Viele kommen nicht nur den Zoobewohnern, sondern auch ihren in freier Wildbahn lebenden Artgenossen zugute. Im Quartalsinterview erklärt Direktor Severin Dressen die Zusammenhänge sowie die Vor- und Nachteile zwischen Zoo- und Feldforschung.

Forschung gehört neben Bildung, Naturschutz und Artenschutz seit Jahrzehnten zu den Grundpfeilern eines wissenschaftlich geführten Zoos. Aber ist sie noch zeitgemäss, sprich: Ist dank der heutigen Mittel Forschung vor Ort nicht zielführender?

Severin Dressen: Es braucht beides! Etwas zu erforschen, ist immer sehr komplex. Viele Faktoren haben Einfluss auf die Forschungsergebnisse. Und diese Faktoren lassen sich je nach Umgebung unterschiedlich gut kontrollieren, dadurch beeinflussen sie die Ergebnisse unterschiedlich stark. Das gilt gerade für Forschung im Bereich Biologie. Während sich in einer Laborumgebung die einflussnehmenden Faktoren – beispielsweise das Wetter oder das Vorhandensein von Räubern – sehr gut kontrollieren lassen, ist dies im Feld nicht möglich. Auf das Verhalten von Tieren kann das aber grossen Einfluss haben. Die Feldforschung ermöglicht zwar eine Erforschung im natürlichen Umfeld einer Art, aber was sich wie auswirkt, kann nicht immer klar eruiert werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler forschen daher selten ausschliesslich im Labor oder Feld. Zoos bieten hierbei eine dritte, sehr spannende Forschungsebene, weil sie beide Bereiche in gewisser Weise vereinen. Die Bedingungen in Zoos lassen sich in der Regel gut kontrollieren, dennoch leben die Tiere in ihrem natürlichen Sozialgefüge und möglichst ähnlich wie in der Natur. Das ermöglicht Einblicke, die weder im Labor noch im Feld möglich sind. Auch ist Feldforschung nicht immer in jedem Lebensraum einer Art möglich. Beispielsweise wenn dort Krieg oder sonst gefährliche Zustände herrschen. Zudem sind manche Orte extrem schwer erreichbar, auch in der heutigen Zeit noch. Somit ist Forschung im Zoo auch aus ökonomischen Gründen und der Nachhaltigkeit wegen häufig eine sinnvolle Alternative.

Gerade bei Verhaltensstudien dürfte der Einfluss der Besucher auf das natürliche Verhalten eines Zootieres nicht unerheblich sein, oder?

Tatsächlich ist der Einfluss nicht so gross, wie man im ersten Moment vielleicht meint. Als im Corona-Lockdown der Zoo lange geschlossen war, hat der grösste Teil der Tiere so gut wie kein verändertes Verhalten gezeigt. Den allermeisten Tieren ist es ziemlich egal, ob es Gäste hat oder nicht. Die Tiere orientieren sich innerhalb ihres Lebensraums. Relevant ist, was dort passiert.

Aber wenn in Zoos teilweise ganz andere Bedingungen herrschen, wie können dann die Ergebnisse bei der Forschung an Zootieren für deren freilebende Artgenossen – insbesondere deren Schutz – wichtig sein?

Moderne Zoos wie der Zoo Zürich setzen auf die Nachbildung von Lebensräumen, möglichst in ihrer ganzen Komplexität. So ist der Masoala-Regenwald bei uns im Zoo eine Mini-Nachbildung des Originals, ein Regenwald-Ökosystem mitten in Zürich. Und auch auf der Lewa-Savanne leben die Tiere vergesellschaftet zusammen ähnlich wie im Lewa-Naturschutzgebiet in Kenia. Die neue Pantanal-Voliere ist ebenfalls sehr eng mit dem Original Pantanal-Feuchtgebiet in Südamerika verknüpft, es wird regelmässige Überflutungen geben, die Vögel leben in Schwärmen mit anderen Tieren vergesellschaftet zusammen. Das bietet die Möglichkeit, neue Methoden und Technologien im Kleinen zu testen, zu erforschen, zu optimieren, bevor sie im Grossen angewendet werden. Ein Beispiel dafür ist der Test einer Drohnenkonstruktion zum Sammeln von eDNA (environmental DNA), also Umwelt-DNA, welche bei uns im Ma­soala-Regenwald getestet wurde und wird.

Zum anderen bieten solche Mini-Lebensräume die Möglichkeit, Grundlagenforschung zu betreiben. Also das Generieren von Basis-Wissen zu einer Art. So findet aktuell – ebenfalls im Masoala-Regenwald – ein Forschungsprojekt statt, bei dem es darum geht herauszufinden, ob Geckos schlau sind. Die Intelligenz von Reptilien ist bisher nur wenig erforscht und somit ist jedes weitere Wissen hierzu bedeutsam. Wir können Arten am besten schützen, wenn wir möglichst viel über sie wissen. Aber natürlich gibt es auch ganz konkreten Erkenntnisgewinn, der dann unmittelbar in den Artenschutz im natürlichen Lebensraum einer Art einfliessen kann. Beispielsweise ist die neue Pantanal-Voliere so konstruiert, dass das Balz- und Brutgeschehen der Hyazintharas genau beobachtet und monitort werden kann. Damit lässt sich herausfinden, was die idealen Bedingungen sind, unter denen die Tiere besonders erfolgreich brüten. Das ist Wissen, das ganz konkret in unserem Naturschutzprojekt im Pantanal genutzt werden kann, um dort das Brutgeschehen der Aras optimal durch den Einsatz von künstlichen Mitteln zu unterstützen. Aber auch Technologien, die im Artenschutz eingesetzt werden, können in Zoos zuvor erprobt werden. Etwa die Frage, wie sich Tiere besendern lassen.

Wie ist es umgekehrt? Wie profitieren Zootiere von Studien an ihren Verwandten in freier Wildbahn?

Da gilt das Gleiche wie andersherum. Es gibt Forschungsfragen, die lassen sich nur in der Natur erforschen, und es gibt Forschungsfragen, die müssen unter kontrollierten Bedingungen untersucht werden. So können in der Wildnis vor allem die konkreten Bedürfnisse eines Tieres erforscht werden. Was frisst es? Wann frisst es? Wie viel frisst es? Was meidet es? Was muss ein Lebensraum bieten, damit sich ein Tier, eine Art wohlfühlt? Die Ergebnisse bilden dann die Grundlage für eine artgerechte Haltung in Zoos.

Der Zoo Zürich unterstützt gegenwärtig rund 70 Forschungsprojekte. Wie werden diese finanziert?

Tatsächlich sind es noch mehr als die 70 Projekte. Diese beziehen sich nur auf die Forschungstätigkeiten innerhalb des Zoos (Ex-Situ-Forschung). Für diese Projekte stellt der Zoo in aller Regel die Ressourcen und Infrastruktur zur Verfügung. Die Forschungsprojekte selbst werden von den Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen finanziert. Daneben unterstützt der Zoo Zürich im Rahmen seiner Naturschutzprojekte in aller Welt auch zahlreiche Forschungsarbeiten vor Ort (In-Situ-­Forschung). Beispielsweise die Erforschung der Wander- und Jagdrouten von Pinguinen in der Antarktis oder die Erforschung von Krankheiten bei Amphibien in Kolumbien.

Nach welchen Kriterien unterstützt der Zoo Forschung beziehungsweise lässt diese auf seinem Areal zu?

Entscheidend ist beispielsweise, dass ein Projekt den Arten- und Naturschutz nachhaltig voranbringt. Dazu zählen etwa Projekte, die Erkenntnisse für In-Situ-Anwendungen liefern, also in den Naturschutzprojekten selbst zum Tragen kommen. Aber auch Projekte, die durch neue Technologien und Methoden die Datenerhebung verbessern, das Monitoring erleichtern oder zur Verbesserung des Tierwohls beitragen, zählen dazu. Abgelehnt werden Projekte, die nicht wissenschaftlich robust sind, also bei denen kein effektiver Erkenntnisgewinn zu erwarten ist. Der Zoo Zürich legt ausserdem Wert auf langfristige Kollaborationen.

Was ist aus Ihrer Sicht gegenwärtig das spektakulärste Forschungs-Projekt im Zoo Zürich?

Das bereits zuvor erwähnte Forschungsprojekt der ETH Zürich zur eDNA ist vielleicht das spektakulärste, sicherlich aber eines der bedeutendsten Projekte bei uns im Zoo. Basis hierfür ist das Wissen, dass alle Lebewesen Spuren in der Umwelt hinterlassen, selbst wenn es manchmal nur kleine Bruchstücke ihrer DNA sind. Und diese DNA-Schnipsel kann man sammeln – quasi wie Täter-DNA an einem Tatort. Nur wird sie in diesem Fall nicht zur Verbrechensaufklärung genutzt, sondern um die Anwesenheit einer Art oder vieler Arten festzustellen. Statt wie bisher stundenlang Kamerafallen auszuwerten, Kotproben zu sammeln, Tiere zu sichten und zu belauschen, reichen nun ein paar wenige eDNA-Proben aus dem betreffenden Gebiet und die gesamte Palette der anwesenden Arten kann bestimmt werden.

Bei uns im Masoala-Regenwald testet das Forschungsteam der ETH Zürich seit zwei Jahren Techniken zum Sammeln der eDNA – beispielsweise durch Einsaugen von Luft, durch Wasserproben oder durch Entlangstreifen an Blättern. Dann wird geschaut, ob tatsächlich die DNA aller Tiere, die bei uns in der Halle leben, vorhanden ist. Möglich ist dies, weil der Zoo einen Mini-Regenwald beherbergt, der dem Original ziemlich nahekommt.

Ein weiteres spannendes Projekt, das unsere Gäste live mitverfolgen können, ist das Mückenprojekt. Dazu haben Forschende der Universität Zürich aktuell an mehreren Standorten im Zoo Fallen für die Gemeine Stechmücke installiert. Für gewisse Tiere kann die Art gefährlich werden, da sie Krankheiten überträgt. Sie steht im Verdacht, Überträger der Vogelmalaria zu sein, die auch Pinguine befällt. In Zoos lebende Pinguine sind besonders anfällig für eine Infektion. In einer früheren Untersuchung im Zoo Zürich konnte festgestellt werden, dass 65 Prozent der Stechmücken sich vom Blut von Haussperlingen und Humboldtpinguinen ernähren. Auch konnte festgestellt werden, dass Vogelmalaria in Stechmücken zirkuliert. Bereits bekannt ist zudem, dass einheimische Wildvögel wie Haussperlinge Reservoir-Wirte des Erregers sind, sie erkranken jedoch seltener. Dies lässt darauf schliessen, dass die Mücken die Sperlinge stechen, das Virus aufnehmen und beim nächsten Stich auf die Pinguine übertragen. Mit den Fallen werden die Mücken gefangen und anschliessend wird untersucht, ob sie tatsächlich Träger des Vogelmalaria-Erregers sind und ob anhand ihrer Blutmahlzeit Rückschlüsse auf den Wirt des Erregers gezogen werden können.

Bei anderen Naturschutzorganisationen, etwa StadtNatur Zürich, kann die Bevölkerung an Projekten mithelfen. Gibt es auch im Zoo Zürich derartige Aufgaben für Laien?

Citizen Science – auch Bürgerwissenschaften genannt – ist ein sehr spannender Forschungsansatz, den auch wir im Zoo im Blick haben. Aktuell gibt es kein derartiges Projekt bei uns im Zoo. Was es aber gibt, sind konkrete Überlegungen, wie solch ein Projekt im Zoo umsetzbar wäre. So sollte es für alle Gäste zugänglich sein. Beispielsweise über eine App. Üblicherweise funktionieren Citizen-Science-Projekte so, dass sich interessierte Laien ganz bewusst an diesen beteiligen können. Sie also gewillt sind, Zeit und Ressourcen zu investieren, um möglichst guten Output, gute Ergebnisse zu liefern. Die Gäste eines Zoos sind einerseits sehr divers und sie haben in der Regel nicht die Motivation, sich vor einer Teilnahme erst noch in ein Projekt einzulesen. Forschung, auch Laienforschung, erfordert dennoch eine gewisse Genauigkeit, damit sie funktioniert. Entsprechend müsste ein Citizen-Science-Projekt bei uns im Zoo sehr simpel und selbsterklärend sein.

Ist auch der Zoodirektor in ein Forschungsprojekt involviert?

Im Bezug auf das Thema Forschung konzentriert sich mein Engagement vorab auf den Bau der Forschungsstation, die im Gebäude des bisherigen Exotariums entsteht und durch die unsere Gäste spannende Einblicke in die universitäre Forschung und die spezialisierte Zucht gefährdeter Frösche, Fische, Reptilien und Insekten erhalten. In den Räumen werden wir – in der Schweiz in diesem Ausmass einzigartig – spezifische klimatische Bedingungen für die jeweiligen Arten schaffen können. Wir setzen alles daran, dass die Station plangemäss im Dezember diesen Jahres eröffnet werden kann. Ansonsten fehlt mir leider die Zeit für Forschung – wenn man von einigen Selbsttests im Bereich der Koffeinforschung absieht. Die Forschungsfrage lautet dabei: Wie viel Kaffee muss ein Zoodirektor täglich trinken, damit er alle Aufgaben ideal erfüllen kann (lacht).

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